Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Fahrenheit 68

susu, Saturday, 16.09.2006, 19:29 (vor 6460 Tagen) @ Scipio Africanus

Deine Beispiele legen den Schluss nahe, dass sich die 68-er generell für
die Beschränkung der Staatsmacht und den Schutz der Privatsphäre des
Bürgers einsetzten. Dem ist jedoch nicht so. Die 68-er zeichneten sich
schon immer durch eine ausgeprägt inkonsistente und in sich
widersprüchliche Haltung aus.

Um ein Beispiel zu nennen : So forderten sie vehement die Entnazifizierung
und eine tiefgehende Aufarbeitung der jüngeren, totalitären deutschen
Geschichte. Gleichzeitig schwenkten sie das rote Büchlein von Mao Tse
Tung, dem Massenmörder, der wahrscheinlich sogar mehr Menschenleben auf
dem Gewissen hat als das Monstrum Hitler. Einen Widerspruch konnten sie
darin nicht erkennen, und bis heute genügen sie ihren eigenen Ansprüchen
nicht. Wo bleibt hier die Aufarbeitung ? Es wäre jetzt mal an der Zeit,
dass die Fischers und Konsorten ihre eigenen Verfehlungen aufarbeiten, so
wie sie es, selbstgerecht und verblendet, von ihren eigenen Vätern
gefordert haben.

Zum einen gab es da tatsächlich (mal wieder) unterschiedliche Positionen und viele K-Gruppen hingen tatsächlich einem Maoismus nach. Andererseits distanzierte sich z.B. Dutschke schon 67 sowohl vom Maoismus als auch von den Osteuropäischen Sozialismen Stalinistischer Prägung. Ein Stasi-Spitzel berichtete (Dafür ist die Gauck-Behörde gut *g*) in einem Dossier über Dutschke er habe regelmäßig vom "Scheiß-Sozialismus der DDR" gesprochen. Um mal bei deinem Beispiel Fischer zu bleiben, der wandte sich 77 "desillusioniert" von den radikalen Gruppen ab. Und hat dazu öffentlich geredet und geschrieben, auch und gerade über seine Verfehlungen. Dazu kommt, daß er zur Sponti-Szene gehörte, die im Gegensatz zu den K-Gruppen der Meinung war, eine umfassende Veränderung der Verhältnisse könne nicht durch Parteien, sondern nur durch Spontane Aktionen der Bevölkerung hervorgebracht werden. Ein zentraler Aspekt war da das Straßentheater. Eine gewisse Selbstgerechtigkeit erkenne ich da auch, prinzipiell hat das wenig mit 68 zu tun, sondern mit der allgemeinen Problematik unaufgearbeiteter Machtbeziehungen, die ich erst bei Foucault in den 70ern finde und innerhalb eines Außerphilosophischen Diskurses erst mit der "Hamburger Schule" und auch da also in der Popkultur finde. Diese Selbstgerechtigkeit ist nicht auf die 68er beschränkt sondern findet sich auch bei Konservativen.

In der damaligen Zeit um 1968 waren die 68-er eine ausserparlamentarische
Opposition, bevor sie den Gang durch die Institutionen antraten. Daher ist
ihre damalige oppositionelle Haltung gegenüber der Staatsmacht logisch.
Heute jedoch sind die 68-er etabliert und zu einer Stütze der herrschenden
Ordnung geworden. Deshalb neigen sie auch dazu, die Staatsmacht
auszudehnen, denn sie haben ihre wesentlichen Ziele erreicht. Um ihre
Besitzstände zu wahren, sind sie dem Etatismus verfallen.

Sie haben ihre wesentlichen Ziele erreicht? Welche? Ich guck gerade mal nach draußen, ob von mir unbemerkt die klassenlose Gesellschaft ausgebrochen ist, aber ich seh nix. Ich habe auch nichts davon gemerkt das die Grünen die Staatsmacht ausdehnen wollen. Vieleicht habe ich das Program nicht verstanden, aber gib mal Beispiele... Wenn du sagen willst, daß die Protagonisten von 68 teilweise ihre Meinungen von damals revidiert haben. - Ist das ein Vorwurf? Und ist es ein Vorwurf an das Program von 68, wenn es von einigen die es befürworteten später abgelehnt wurde? Mach mal klar was du kritisierst:
a) Die Ziele von 68
oder
b) 68er, die diese Ziele aufgegeben haben, oder gar das Gegenteil fordern

Heute werden aber politische Entscheidungen im Hinblick auf
gesamtgesellschaftliche Leitbilder getroffen. Diese Leitbilder sind eben
oft nicht repräsentativ für das Leben der Bürger, sondern die Politik
versucht, durch normative Gesetzgebung gesellschaftspolitische Leitbilder
zu verwirklichen, die auch und wesenlich das Private betreffen.
Diese Tendenz ist die Konsequenz aus dem Anspruch, alles eine öffentliche
Angelegenheit werden zu lassen.

Nein. Die Gesetzgebung hat seit jeher Leitbilder gefördert. Das Ehegattensplitting ist ein Beispiel dafür. Und die Politik der Globke-Ära.

Es ist eben gerade nicht so, wie du behauptest. Der Staat und ihre
Repräsentanten, und hier vor allem und zuerst die durch 68-er Verwerfungen
geprägten Repräsentanten, versuchen das Private, insbesondere auch das
Geschlechterverhältnis, zu gestalten. Gerade bei der Debatte um Eva Herman
und ihrem Buch wird dieser Widerspruch deutlich, dass nämlich die
propagierten Leitbilder keineswegs so unangefochten das Ideal der Menschen
darstellen, wie das immer wieder behauptet wird.

Halt. Tritt Herman für eine liberalisierung ein? Sie redet von "der naturgegebenen Aufgabe" u.ä. Und wieder verweise ich hier auf das Forum: KlausZ fordert eine "Richtschnur", während ich von den "Forenlinken" inklusive mir keine Forderung nach einheitlichen Lebensentwürfen gesehen habe.

Konkret heisst das an diesem Beispiel, dass die als Ideal propagierte,
erfolgreich berufstätige Mutter nicht überall als erstrebenswert
betrachtet wird. Gemäss deiner Theorie müssten die Linken die konservative
Auffassung respektieren und als private Entscheidung schützen. Doch was
geschieht ? Konservative Lebensmodelle werden als rektionär und
ewiggestrig diffamiert. Die 68-er "respektieren" das Private genau so
lange als privat, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Reine Taktik.

Nein. Als ewiggestrig bezeichne ich eine Einstellung, die konservative Lebenmodelle stark privilegieren will. Und ich würde gern mal eine Textstelle sehen, bei der ich die Entscheidungsfreiheit angegriffen hätte.

Ihre Liberalität ist im Kern immer noch die stalinistische. Eine
Kalaschnikov an die Schläfe und die Forderung : Los, liberalisiert euch.

Ja, die 68er waren ja in der Masse stalinistisch...

Ihre gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen sind in der Regel liberal,
wie beispielsweise die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher
Lebenspartnerschaften mit der Ehe. Die angewandten Mittel, um die
politschen Ziele zu erreichen oder das Erreichte zu erhalten, die sind
ausgeprägt autoritär. Liberal ist nach meinem Verständnis aber nur, wer
sowohl in seinen Zielen wie auch in seinen Mitteln liberal denkt und
handelt.

Welche autoritären Mittel werden gegenwärtig zur Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe angewandt oder geplant?

Es gibt im deutschsprachigen Raum keine nennenswerte linksliberale Kraft.

Ich würde hier Teile der Grünen und Teile der FDP nennen.

So ist es auch mit den 68-ern. Sie haben die Republik verändert, so sagen
sie. Spricht man sie auf Missstände an, dann zerfranst die Disskussion
augenblicklich. Die 68-er sind keine homogene Gruppe, waren so verschieden
u.s.w.

Wer ist verantwortlich ? Niemand. Oder die Anderen. Wer hat Macht ?
Niemand. Vorname : Claudia. Oder Joschka, oder wie auch immer.

Die Frage ist, ob die Misstände durch die Veränderungen die von 68 ausgingen verursacht wurden. Und viele der Vorwürfe, die gegen 68 erhoben werden, richten sich gegen Misstände, die schon zuvor bestanden haben und die zum Teil durch die 68 bekämpft wurden. Und gerade im Hinblick auf staatliche Regulierung des Zusammenlebens läßt sich meines Erachtens nach keine negative Bilanz ziehen. Ich empfehle jedem, der gegenteiliges behauptet, sich mal ein Straf- oder Familienrecht aus den 50ern zu greifen.

susu


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