Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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"Das Weib schweige in der Gemeinde" - ein haltloses Hierarchisten-Sprüchlein (Allgemein)

Manifold ⌂, Thursday, 19.04.2012, 22:34 (vor 4392 Tagen)
bearbeitet von Manifold, Thursday, 19.04.2012, 22:42

Gleichberechtigungsphobe Hierarchisten wie Flint, Bero und DvB schmeissen gerne mit diesem angeblichen Ausspruch des Apostel Paulus um sich, um ihr geschlechterhierarchistisches Weltbild vermeintlich christlich zu legitimieren:

“Wie in allen Gemeinden der Heiligen lasset eure Weiber schweigen unter der Gemeinde; denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, daß sie reden, sondern sollen untertan sein, wie auch das Gesetz saget. Wollen sie aber etwas lernen, so lasset sie daheim ihre Männer fragen. Es stehet den Weibern übel an, unter der Gemeinde reden.”

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass dieses geflügelte Hierarchisten-Sprüchlein tatsächlich von Apostel Paulus selber stammt. Viel wahrscheinlicher ist es, dass dieser Spruch erst später nachträglich eingefügt wurde.

Dies aus mehreren Gründen:

1) Es widerspricht dem Rest der Paulusbriefe, welche klar belegen, dass Paulus nicht nur mit predigenden Frauen und Frauen als Diakoninnen zusammengearbeitet hat, sondern deren Hilfe entscheidend für sein eigenes Überleben war und er deren Arbeit zustimmend lobte (siehe dazu Römer 16:1-15; 1 Tim. 3:11).

Der katholische Kirchenvater Origenes bestätigte im 4. Jahrhundert, dass Frauen in der christlichen Frühgemeinde Ämter mit Autorität inne hatten (Gryson 1976:134), was einem angeblichen Sprachverbot völlig widerspricht.

Folgerichtig schreibt der Theologe Wayne Meeks:

"Women ... are Paul's fellow workers as evangelists and teachers. Both in terms of their position in the larger society and in terms of their participation in the Christian communities ..." (Rodney Stark: "The Rise of Christianity", S. 109)

(Übersetzung: "Frauen ... waren die partnerschaflichen Mitarbeiter als Prediger und Lehrer. Dies betraf einerseits ihre Position in der Gesellschaft und andererseits ihre Teilnahme an der christlichen Gemeinde ...".

2) Und Paulus schrieb:

„Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.“

Dies passt nicht zu eurem "Paulus", welcher den Frauen angeblich das elementare Recht zu sprechen verbieten möchte.

3) Jesus Christus hat Zeit seines Lebens niemals den Frauen das Gebot auferlegt, dass sie gefälligst schweigen sollen, vielmehr wählte er Frauen aus, seine Wiederauferstehung zu verkünden und den anfänglich ungläubigen Jüngern zu übermitteln. So eine entscheidende Aufgabe überlässt man nicht Leuten, die zum Schweigen verurteilt wurden.

In diesem Geiste des Evangeliums erlaubten deshalb die Quäker folgerichtig schon im 17. Jahrhundert den Frauen genau die gleichen Teilnahmerechte in der Glaubensgemeinde wie den Männern - was schliesslich sogar zum ersten modernen, vom Quäker Joseph Cooper vorangetriebene Frauenwahlrecht führte (S.74).

Eine zusammenfassende Darstellung des Disputs und somit die Schlussfolgerung, dass diese Phrase wahrscheinlich nicht von Apostel Paulus stammt und dass deren Gültigkeit somit umstritten ist, findet man mit fundierten, externen Quellen belegt hier auf Wikipedia:

http://en.wikipedia.org/wiki/Paul_of_Tarsus_and_women#Theory_of_an_egalitarianism

http://en.wikipedia.org/wiki/First_Epistle_to_the_Corinthians#Authorship

Sein Weltbild auf Phrasen zu bauen, welche unter dem Verdacht stehen, von Unbekannten nachträglich eingefügt worden zu sein und welche den grundlegenden Geist des Evangeliums und auch zahllosen Aussagen des Paulus widersprechen, ist wenig überzeugend für andere und zeugt nur von einer zwanghaften Realitätsverweigerung.

Generell sind die hierarchistischen Bibelzitate im Vergleich zu jenen, welche die Gleichwertigkeit der Menschen propagieren, stark in der Minderheit. Ich zitiere dazu den amerikanischen Theologen John Ortberg:

"Und die Mehrheit der biblischen Aussagen
stellt eindeutig klar, dass Männer und
Frauen gemeinsam nach Gottes Ebenbild
geschaffen sind und dass sich das auch in
der Gleichheit ihres Dienstes ausdrückt."

Sich stattdessen auf eine Minderheit der biblischen Aussagen zu stützen, welche eine hierarchische Position bevorzugen, ist respektlos vor der Autorität der Bibel als Ganzes, denn man stellt ein willkürliches Teilstück über das Ganze und bricht eine der grundlegenden Regeln der biblischen Hermeneutik, welche besagt, dass wenn eine Position durch die Mehrheit der biblischen Aussagen klar belegt wird, soll diese Position auch vertreten werden.

Siehe dazu einer seiner Texte, welcher umfassend auf die Stellung der Frau in der Bibel eingeht:

http://rostan.net/forum/Ortberg%20Artikel.pdf

Man merkt beim Lesen jenes Dokuments schnell, dass die Bibel und das Christentum das geschlechterhierarchistische Weltbild nicht so sehr stützt, wie es Hierarchisten wie Flint, Bero und der braunlinke DvB gerne hätten - im Gegenteil.

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Weitere "Argumente" der Hierarchisten habe ich ausführlich, sachlich und faktenbasiert im Kommentarbereich von "Die moralischen Grundlagen des Maskulismus" widerlegt - dort kam es zu einer riesigen Diskussion zwischen mir und drei Hierarchisten:

http://sonsofperseus.blogspot.com/2011/10/die-moralischen-grundlagen-des.html?showComment=1318875540228#c859805535210...

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"Zur Durchführung seines Zieles erachtet der Maskulismus [...] als aufrichtig und sinnvoll: [...] das ursprüngliche Anliegen einer wirklichen Gleichberechtigung beider Geschlechter." - Michail A. Savvakis


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