Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Karasek in Babylon

roger, Monday, 26.10.2009, 01:37 (vor 5886 Tagen)
bearbeitet von roger, Monday, 26.10.2009, 01:42

Alt ist er geworden und erschöpft sieht er aus.
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Man sagt, im Alter verengen sich Blickfeld und Weltbild - im schlimmsten Falle bis hin zum Altersautismus. Das heißt für die bedauernswerten Menschen, sie kreisen nur noch um die Rudimente ihrer frühen und frühesten Erinnerungen – die Reste ihres Ich.

Im Zusammenhang mit den Problemen bei der Unternehmensnachfolge schreiben Dr. Georges Bindschedler und Pascal Rub in ihrem Aufsatz "Der Kronos-Komplex" zum Problem Alter:

"Die physische Alterung des Menschen ist ein wesentliches Element der Nachfolgeproblematik. Unternehmerische Tätigkeit hat zwar unbestrittenermaßen wie jede Aktivität gesundheitsfördernden Effekt. Die Tendenz, möglichst lange aktiv und jugendlich zu bleiben, ist eine erfolgreiche Strategie, aber nur bis zu einer oberen Grenze (NZZ 27.9.2005, Nr. 225, S. B3). Physische Gebrechen wie beispielsweise die bei älteren Menschen weit verbreitete zunehmenden Gehörprobleme haben nämlich nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Verhalten des Unternehmers, das mit fortschreitender Zeit die Regelung der Nachfolge erschwert: schwindende Dialogbereitschaft, ja sogar Altersautismus, kann die Folge sein.

Weitere Aspekte sind das bekannte Altersmisstrauen, das sich insbesondere gegenüber dem Nachfolger zeigen kann, der ja vieles neu und anders machen wird. Alte Menschen sind manchmal auch weniger zukunftsorientiert, setzen sich bloß zukunftsnahe Ziele, da sich ihre Lebensperspektive laufend verkürzt.
Das Langzeitgedächtnis nimmt ferner an Bedeutung zu und lässt vergangene Erfahrungen zum Maßstab werden.
Spätestens mit 60 Jahren muss die Nachfolge zum Thema geworden sein."

Hellmuth Karasek ist jetzt 75 Jahre alt und wird in Kürze sein neuestes Werk vorlegen.
Gönnen wir ihm, dass er trotz seines fortgeschrittenen Alters noch hinreichend dazu in der Lage ist, seine persönliche Situation angemessen zu reflektieren. Zweifel sind angebracht. Bei ihm, erst recht bei seinen Lesern.
Doch seit wann ist Karasek ein Mann von Selbstzweifeln und dann noch im Alter? Und so ist er sich dann auch nicht zu schade (vielleicht kann er ja auch gar nicht mehr anders), seine persönliche "Erschöpfung" zur Götterdämmerung des Herrn der Schöpfung, des Männlichen an sich, hochzustilisieren.

Sein Titel: "Wir Männer, die Herren der Erschöpfung".
Man weiß nicht, was mehr an diesem Titel stört: das WIR oder sein Verständnis von Originalität.
Nun denn, man hat sich thematisch platziert, fehlt noch der angemessene Rahmen für die Selbstinszenierung, und was böte sich da mehr an, als auf den unerschöpfliche Fundus der Geschichte zuzugreifen.
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Delacroix hält auf dem Gemälde den letzten Augenblick im Leben des Königs Sardanapal fest: Auf einem breiten Bett ruhend, um sich herum Kostbarkeiten und Tand angehäuft, betrachtet Sardanapal mit Gleichmut, wie in dem Zimmer alles Leben ausgelöscht wird. Diener ermorden seine nackten Konkubinen, ein Mundschenk steht an seiner Seite, er hält ein Tablett mit einer Karaffe, in der sich Gift befindet. Im Hintergrund züngeln bereits die ersten Flammen. Seinem Araberpferd, geschmückt wie eine Frau mit Perlen und Zöpfen wird von einem Diener ein Messer in die Brust gestoßen
http://de.wikipedia.org/wiki/Der_Tod_des_Sardanapal

Das Sujet mag jetzt auf den ersten Blick thematisch nicht so recht passen, aber Karasek wäre nicht Karasek, wenn ihn das von seinem Versuch einer allegorische Metamorphose des Sardanapal hin zum Herrn der Schöpfung an sich abhalten könnte, zumal wenn das Objekt der Begierde "Der Tod des Sardanapal" von Eugene Delacroix auch noch veritable 395 x 495 cm misst. Da fühlt sich auch ein Herr Karasek angemessen präsentiert. Und dann legt er los:

Seit einigen Jahren sind wir Männer nur noch die Herren der Erschöpfung. Und sehr verunsichert.

Eine Bezeichnung wie „meine Frau“ hatte eine ganz andere Bedeutung als die Formel „mein Mann“, jedenfalls solange, und das war bis vor Kurzem, Männer ihren Ehefrauen eine Erlaubnis erteilen mussten, wenn sie einer Arbeit nachgehen wollten. Und da es egal ist, wie der Besitzer aussieht, sein Eigentum aber sehr wohl taxierend angeschaut und mit dem bewundernden Ausruf „Donnerwetter!“ kommentiert werden darf, wird es immer wieder Männer mit Macht, Geld, Reichtum geben, die sich Frauen leisten können, die dreißig, vierzig Jahre jünger sind. Solange sie sich die Frauen leisten können! Frauen haben es da schwerer, da hilft keine Gleichberechtigung.

Sich Frau leisten können! Besonders durch die Faszination, die Macht ausübt. Als besonders brutales Beispiel, ja, als Symbol dieses exekutierten Machtanspruchs, galt mir das Bild „Der Tod des Sardanapal“ von Delacroix. Es zeigt, beherrschend, aber doch im Hintergrund, auf einem Lotterbett, einem blutroten Diwan mit fließender Decke liegend einen Herrscher mit Krone, den Kopf mit vollem orientalischem Bart in den hochgewinkelten rechten Arm gestützt. Er beobachtet. Und der Bildbetrachter sieht den Herrscher mit einem gewissen neidisch wollüstigen Schauder. Er muss ihn aus diesem Blickwinkel wahrnehmen, denn so ist das Bild inszeniert.

Da sind Sklaven, genauer: Eunuchen mit muskulösem Körper dabei, mit Dolchen, die sie gezückt haben, wunderschöne, nackte junge Frauen mit weißrosiger Haut und blühenden Leibern abzustechen, ebenso wie edle Pferde und edle Hunde, die mit Geschmeiden geschmückt und aufgeputzt sind wie die geopferten Frauen, die Armreifen und erlesene Fußfesseln tragen. Die Eunuchen haben den Befehl, erst das lebende Inventar des Herrschers – also Hunde, Pferde, Frauen – und dann ihn selbst zu töten. (...)

Vielleicht aber zeigt sich in den Wiedererweckungsbemühungen alter, schrecklicher Männermythen wie der von Sardanapal in Wahrheit etwas ganz anderes. Der Aufbruch der Gleichberechtigung, ihr langer Marsch durch die männlich beherrschte Gesellschaft und ihre Institutionen, ist längst weiter fortgeschritten, als es sich die männliche Fantasie eingestehen wollte.
Die darauf mit sadistisch-reaktionärer Wut reagierte. In der Ehe und vor den Familiengerichten ist die Frau längst gleichgestellt, unsere Kinder werden inzwischen fast ausschließlich in Kindergärten und Schulen von Frauen betreut, ob sie nun Buben oder Mädchen sind, sie werden im Geist der emanzipierten Frauen erzogen. In Schulleistungen überflügeln Mädchen längst die ihre Orientierung verlierenden männlichen Heranwachsenden, im Beruf sind viele Frauen so erfolgreich, dass es nur eine Frage kurzer Zeit sein kann, dass sie auch gleich bezahlt werden.

Die Ideologie, dass Frauen die besseren Menschen sind, wirkt, selbst wenn man darüber nur den Kopf schüttelt (es gibt keine „besseren“ Menschen, es gibt nur Menschen), wie eine notwendige Reaktion auf das jahrtausendealte Vorurteil, dass Männer die Besseren, die Größeren, die Schlaueren sind und dass ihnen daher das Sagen zukommt. Männer geben nicht mehr (allein) den Ton an, auch wenn sie noch so tun, sich so aufspielen, sich so inszenieren, als täten sie's.

Frauen können besser allein leben als Männer, sie leben länger, was schon deshalb gut ist, weil sie, allein gelassen durch den Tod des Partners, ohne Frage, mit dem Single-Leben besser fertig werden, besser zurande kommen.
Da wir, zumindest im Mitteleuropa der vergangenen fünfzig Jahre, Konflikte nicht mehr kriegerisch ausfechten, bedarf es des Ideals des Kriegers im Grund überhaupt nicht mehr. Jedenfalls spielt es im Bewusstsein keine Rolle mehr. Da Schwerstarbeit, in der Industrie wie in der Landwirtschaft, im Handel wie im Transport, durch Maschinen ausgeführt und durch Computer weitestgehend gesteuert wird, spielt auch der bisher scheinbar ewige Vorteil der größeren Muskelkraft des Mannes keine entscheidende Rolle mehr – außer beim Boxsport und beim Fußball (auf Letzterem beharrt er, obwohl nur die deutschen Frauen es zuletzt zur Weltmeisterschaft gebracht haben).

Er kennt keine Familie mehr, jedenfalls nicht in den bürgerlichen Kreisen, in denen er sich zu Hause fühlt, die die Geburt eines „Stammhalters“, also eines Jungen, höher schätzen würde als die einer Tochter, die längst auch einen Stamm führen kann, wenn's drauf ankommt: Der einzig wirklich wahre König Europas, der von England, ist eine Königin. Frauen treffen, obwohl das Männer nicht zugeben möchten, die Partnerwahl, Frauen im Bürgertum sind die Herren der Familienplanung. Es ist keine (öffentliche) Frage mehr, wer oben oder unten liegt, ob man das nun wörtlich oder bildlich verstehen will.

Die Männer, wir Männer, sind verunsichert, kein Wunder, wenn sich tausend Jahre alte Sitten, Gebräuche, Regeln und Gesetze, Gewohnheiten und Rollen so gründlich verändern. Und das, so scheint es, irreversibel, sollte sich die Idee des Islam nicht durchsetzen oder nicht, wie hoffentlich bald im Iran, den Bedingungen aufgeklärter Gesellschaften anpassen.

Seit einigen Jahren sind wir die Herren der Erschöpfung. Wir erleben eine Gleichheit der Geschlechter als work in progress, bei der man sich Rückschläge, aber keinen Rückschritt, vorstellen kann und will.
(...)

Vorabdruck aus: "Ihr tausendfaches Weh und Ach, Was Männer von Frauen wollen“ (Verlag Hoffmann und Campe), ab 22 Euro.
http://www.welt.de/vermischtes/partnerschaft/article4908716/Wir-Maenner-die-Herren-der-Erschoepfung.html

Das Ende des Textes erspare ich uns, mir und vor allem Hellmuth Karasek. Wer möchte, kann es unter dem angegebenen Link nachlesen. Nur so viel: Wer nach der Lektüre des Textes glaubt, es könne nicht mehr tiefer gehen ... Irrtum!

Spannend die Frage, wieweit Herr Karasek von der letzten Stufe des Altersautismus noch entfernt ist. Man sagt, er spräche in letzter Zeit mit sich selbst. Böse Stimmen wollen "Ja Mammi" verstanden haben. Wer soll das glauben?

gruß roger

--
fight sexism - fuck 12a GG


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