Ein wenig Info für "Hexen"-Interessierte
Dietmar Nix: Zauberprozesse zu Kreutzburg Seite 1 von 6 (c) Copyright D. Nix 1997
Dietmar K. Nix
Der Drachenmann
Zauberprozesse zu Kreutzburg
Aus: Werratal Nachrichten, Jahrgang 8, Nr. 48 /1997, S. 6-7.
In der Zeit zwischen der Reformation und den Nachwirren des Dreißigjährigen Krieges finden wir ein Phänomen, das unter der historisch nicht authentischen und etwas mißverständlichen Bezeichnung >Hexenverfolgung« traurige Berühmtheit erlangt hat. Nach neuesten Schätzungen fielen ihm im Deutschen Kaiserreich etwa 20.000 Menschen zum Opfer. Jeder konnte vom Zauberverdacht betroffen werden: Arme und Reiche, Alte und Junge, Männer und Frauen, Priester und hohe Amtleute, ja sogar Kinder wurden als Teufelsdiener verdächtigt und hingerichtet.
Anlaß des abergläubischen Zauberverdachts war eine tatsächlich ungewöhnliche Zusammenballung verschiedenster Katastrophen der Frühen Neuzeit, die es in der Erinnerung der Menschen vorher noch niegegeben hatte. Vom 15. Jh. bis zum Beginn des 19. Jhs. dauerte eine tendenzielle Klimaverschlechterung, den Geologen heute als >Kleine Eiszeit« bekannt, die ganzjährig naßkaltes Wetter, Mißernten und Treibeis in der Ostsee mit sich brachte. Getreide und Brot wurden immer teurer und Anfang des 17. Jhs kam es zu schweren Hungersnöten im ganzen Reich. Die Reformation demontierte das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheit der religiösen Lehre, ihr folgten Konfessionskriege und Dreißigjähriger Krieg mit einer Zerstörungsdimension, die nie zuvor gesehen wurde, und die in manchen Gebieten nicht einmal von den modernen Weltkriegen erreicht wurde. Von Truppen verschleppte Seuchen aller Art dezimierten zusätzlich die Einwohnerzahl des Reiches auf schließlich weniger als ein Drittel ihres früheren Umfangs, einige Dorfsiedlungen wurden gänzlich aufgegeben und sind heute nur noch in historischen Karten als >Wüstungen« bekannt.
Die Logik leuchtet ein: jede Wirkung hat eine Ursache, wo Rauch ist, ist auch Feuer. Was also war die Ursache dieser unmöglich noch als zufällig zu bezeichnenden Zusammenballung derartiger Katastrophen? Einige meinten, diese Ursache genau zu kennen. War es nicht der Satan, der das Christentum und das Abendland verderben will, wie es schon die Apokalypse der Bibel zu prophezeien scheint? Katholiken sahen in der Reformation den Teufel wirken und Protestanten sahen die katholische Kirche vom Teufel verdorben. Und je mehr die religiöse Bildung schwand, desto wirksamer wurden Gruselgeschichten, die während der langen dunklen Winterabende erzählt wurden. Eine Quelle hält fest: >Wer das grußelichste darin zu leisten vermochte, der war der Held des Abends«. Und je mehr die Religiosität durch Konfessionsstreitigkeiten und die Verrohung des Krieges schwand, desto mehr Raum entstand für abergläubische Ideen, die Not macht viele Menschen gewissenlos. Ein Dichter der deutschen Romantik, Novalis, sagte dies später so: >Wo keine Götter sind, da walten Gespenster«.
Der seit 1457 aufkommende Buchdruck verbreitete zahllose Schriften und Flugblätter mit sensationellen Meldungen, teilweise aus der Feder auch heute noch berühmter Gelehrter, wie dem französischen Staatstheoretiker Jean Bodin und Professoren verschiedener Universitäten. Die einfachen Bürger fanden darin ihren Aberglauben bestätigt: Was so gelehrte Leute sagen, das kann ja wohl nicht ganz falsch sein. Und die Gelehrten wiederum waren gleichfalls sicher: Was die Mehrheit so viele Bürger glaubt, das kann ja wohl nicht ganz falsch sein.
Berühmte Dichter wie Shakespeare oder der niederländische Philosophieprofessor Martin Delrio schilderten den Pakt des faustischen Bösewichts mit Satan, das heimliche Bündnis zum eigenen Vorteil, um Schaden über Land und Leute zu bringen. Der Teufel gibt seinem Diener ein auffälliges Hautmal, das den Bund besiegelt, er versammelt seine Anhänger eines satanischen Verwaltungsbezirks in der Donnerstag Nacht zum >Convent«, zu dem sie anreisen auf Besenstöcken und Fabeltieren. Während orgiastischer Ausschweifungen und üppigen Banketten berichten die Satansdiener von ihren Untaten und verabreden neue. Wer nicht genug Unheil gestiftet hat, wird vom Teufel mit der Peitsche bestraft. Einige bringen Kinderleichen mit, die sie nächtens auf Friedhöfen ausgruben, um sie auf dem Convent zu braten und zu kochen und die >Schmeer« daraus zu bereiten, jene Salbe, die ihnen die Fähigkeit zum Flug verleiht.
Der Verfolgungsdruck gegen angebliche Teufelsanhänger und Zauberer ging vor allem von der Bevölkerung selbst aus. In Kurmainz wurde 1627 nach Mißernten zur Finanzierung von Zauberprozessen eine Sammlung veranstaltet, die trotz der Armut jener Notzeit umgerechnet rund 50 Tsd. DM erbrachte, die der Behörde als Vorschuß übergeben wurde. Wenige Jahre zuvor hatte es Attentatsvorbereitungen gegen den Fürstbischof des Landes gegeben, als dieser solche Ansinnen zurückwies und die Rädelsführer verhaften ließ.
Das >Maleficium«, die zauberische Schadenstiftung, war ein Majestätsverbrechen, das überall im Reich in die Zuständigkeit des weltlichen Hochgerichts fiel und obligatorisch mit Todesstrafe belegt war. Für die Prozesse im Eisenacher Oberland galt die Malefizprozeßordnung des Landesherren Johann Casimir zu Coburg von 1628. Als Rahmenrichtlinie galt die Reichsgerichtsordnung >Constitutio Criminalis Carolina«, die in die Rechtssprechung viele moderne Verbesserungen einbrachte, aber leider auch einige Tücken behielt. Nach ihrem Artikel 44 genügte schon der bloße Verdacht auf Zauberei zur Festnahme und zum Folterverhör. Die Bestimmungen der Carolina zum Schutz der Verdächtigen, zum Beispiel strenge Reglementierungen und Einschränkungen der Folter, wurden im Zauberprozeß hingegen vielfach mißachtet. Denn, so die Juristen, Zauberei sei ein >Crimen exceptum« ein außerordentliches Verbrechen, und wenn den Verdächtigen auch noch der Schutz der Gesetze gewährt werde, dann könne man die Zauberei nicht ausrotten (J. Bodin). Zur Verurteilung war der >volle Beweis« nötig. Die Verdächtigungen von einigen Zeugen galten als >halber Beweis« und das Geständnis, protokolliert in der >Urgicht«, ergänzte die zweite Beweishälfte zum vollen Beweis. Wer verdächtigt wurde, kam automatisch zum Torturverhör, wo nur selten nicht die erforderliche zweite Beweishälfte zusammengefoltert wurde. Also waren es neben einer unfairen Tribunalsjustiz fanatischer Juristen vor allem die albernen Schwatzgerüchte in den Dörfern, die zum Todesurteil der Verdächtigen wurden.
Es scheint so, als ob besonders abgelegene Siedlungsgebiete in strukturschwachen Mittelgebirgswäldern von diesen Gerüchten dominiert wurden. Während in den großen Reichsstädten Köln und Amsterdam nur 73 bzw. 53 Prozesse wegen Zauberei verhandelt wurden, waren es in den dünn besiedelten Gebieten des protestantischen Eisenacher Oberlands oder der katholischen Eifel jeweils rund 500 Prozesse. Das Amt Creutzburg war mit 10 Prozessen daran beteiligt. Einige der dortigen Prozeßfälle zeigen beispielhaft die Mechanik dörflicher Gerüchteküche.
Barbara Glorisch, eine Magd in Creutzburg, wird als Zauberin verdächtigt, weil das Kind ihrer Herrin kurz nach der Geburt krank wird. Wahrscheinlich ist sie auch deshalb verdächtig, weil Barbara immer wieder darüber zu klagen hat, daß ihre Herrschaft ihr den versprochenen Arbeitslohn schuldig bleibt. Aber schon ihre Eltern galten als kundig im Segensprechen und Zaubern. (1583, Geständnis, Todesurteil vollstreckt)
Jobst Heydenreich aus Creutzburg-Buchenau wird im Alter von 60 Jahren von einer Frau verdächtigt, der Wagenlenker auf der Fahrt zum Hexentanzplatz gewesen zu sein. Angetrunken im Wirtshaus spottet Jobst, der Teufel habe ihn so schlau gemacht. Daraufhin wird er als >Drachenmann« beschuldigt, ohne gegen diese Beleidigung Anzeige zu erstatten. (1657, Geständnis, Todesurteil vollstreckt)
Im Fall Barbara Pinkernagel hat der erste Zeuge ein Loch im Ziegeldach seines Hauses gefunden. Ein zweiter Zeuge beobachtet, wie am hellichten Tage sein Schornstein umfällt. Daraufhin ist eine dritte Zeugin sicher, daß Barbara >einer Kuh in das Horn gefitzt und ihre Haut angehoben hat.« (1658, Geständnis, Todesurteil vollstreckt)
Anna Thiel, Ehefrau des Schäfers aus Creutzburg, ist 55 Jahre alt, als sie von anderen Creutzburger Frauen als Zauberin verdächtigt wird. Der Grund des Verdachts: Sie geht mit niedergeschlagenen Augen einher und grüßt die anderen Frauen nicht. (1660, Geständnis, Todesurteil vollstreckt)
Anna Lünich aus Creutzburg gibt Nachbarskindern frisch gebackenes Brot. Weil diese zuviel davon auf einmal in sich hineinschlingen, bekommen sie Magenschmerzen. Die Nachbarn wissen es besser: Anna ist eine Hexe, die sich auf dem Teufelsconvent dazu verschworen hat, Zauberkrankheiten unter den Menschen zu verbreiten. (1660, Tod im Folterverhör)
Nach dem Brand des Amtshauses zu Creutzburg im Jahre 1632 wurden die Verdächtigen inhaftiert im Klostertor. In Berka an der Werra dienten Weinhaus und Kirchenturm als Kerker, in Eisenach das alte Rathaus vor der Georgenkirche und die Stadttürme. Die Hofbehörden in Eisenach übten eine strenge Kontrolle aus über die Verfahren. Bei jeder wichtigen Etappe eines Zauberprozesses mußte an den zuständigen Schöffenstuhl in Jena Bericht erstattet werden. Der Hinrichtungsbefehl wurde den Hofbehörden selbst erlassen, der Termin wurde von dem für das Eisenacher Oberland zuständigen Amtmann Grimm in Kaltennordheim festgelegt nach Rücksprache mit dem Nachrichter (Henker) aus Stadtlengsfeld. Zu den zahlreiche Richtstätten konnten viele Verurteilte nach den Foltern nur noch auf dem Schinderkarren gebracht werden. Die Stadt Eisenach hatte ihre Richtplätze am Marktplatz sowie an Nikolaitor und Predigertor; in Creutzburg lag die Hinrichtungsstätte an der Straße nach Kassel, einem Ort der lange Zeit unter dem Namen >am Gericht« bekannt war. Das Erwürgen oder Ersäufen vor der Verbrennung war eine Gnade, die auf entsprechende Bitte nur geständigen Zauberern gewährt wurde, die durch ihr Geständnis ihre Vergehen bereut hatten. Doch als geständig galt nur, wer seine angeblichen Teufelskumpanen verraten und neue Namen genannt hatte, die nun als Belastungsindiz für weitere Ermittlungsverfahren dienen konnten.
Ein Scheiterhaufen war eine teure Hinrichtung, deren Kosten die Höhe eines durchschnittlichen Jahreseinkommens erreichen konnte. Nachdem mancherorts verarmte Bezirke wegen der Zauberprozeßkosten sogar zahlungsunfähig geworden waren, wurde es Anfang des 17. Jhs. üblich, die Prozeßkosten durch Vermögenskonfiskation von den Hinterbliebenen oder Verwandten einzutreiben. In Kurköln ist nachweisbar, daß manche Juristen in den Tribunalen den größten Teil dieses Vermögens unter sich aufteilten und der Hofbehörde falsche Abrechnungen erstellten. In einer von Hunger geprägten Zeit war es Brauch, daß das Gericht während des Verfahrens, bei der Urteilsverkündung und am Hinrichtungstag ausschweifende Gastmähler mit den feinsten Leckerbissen und Weinen aufgetischt erhielt, die als Prozeßkosten verrechnet wurden. In Kurtrier waren manche der Schöffen Gastwirte, die an langen Verhandlungen und vielen Hinrichtungsterminen großes Interesse hatten. Sogar in den damaligen Spielen der Kinder finden wir ein Spiegelbild der Erwachsenenwelt: Es werden Zauberer gejagt und dabei ein großes Gelage verzecht. Wer als Zauberer erwischt wird, muß dann das Gelage bezahlen.
Während in der Kurkölner Eifel, Kurmainz oder dem Trierer Land vor allem mangelnde behördliche Aufsicht und lynchjustizartiger Aufruhr in der Bevölkerung Gründe für die vielen Opfer von Malefizurteilen wurden, kann dies für das Eisenacher Oberland kaum gesagt werden. Der Verfolgungsdruck aus der Bevölkerung wurde von den Behörden gewissenhaft in >ordentliche« Gerichtsprozesse umgesetzt, die ständig kontrolliert wurden. Die entschiedene Verfolgung vermeintlicher Zauberei schien wie ein Medizin zu sein gegen die Katastrophen der Zeit. Auch wenn man nicht sicher sein konnte, ob die Nebenwirkungen dieses Medikaments nicht womöglich schädlicher waren als die Krankheit selbst, so versprach es immerhin noch mehr Hoffnung als das untätige Erdulden von Schäden, für deren Ursache man keine andere Erklärung fand. Bei den vielen Opfern von Hunger, Seuchen und Krieg, so einige Juristen, kam es auf die Opfer ihrer Justiz auch nicht mehr an. Aus vielen umliegenden Orten pilgerten zahlreiche Hinrichtungstouristen zu den Scheiterhaufen und erwärmten sich an dem Sicherheitsgefühl, daß mit Hilfe der Justiz energisch gegen die Ursachen für die bedrückenden Leiden ihrer Zeit gekämpft werde.
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Wolfgang,
09.07.2008, 20:12
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Wolfgang,
09.07.2008, 20:14
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Christine,
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Christine,
10.07.2008, 00:35
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Student(t),
10.07.2008, 04:17
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Wolfgang,
10.07.2008, 04:49
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- Hexerei-Vorwurf auch heute noch in Deutschland erhoben... -
Wolfgang,
10.07.2008, 04:49
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Wolfgang,
09.07.2008, 20:14