Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Macht hat kein Geschlecht

DschinDschin, Wednesday, 10.01.2007, 19:28 (vor 6906 Tagen)

Arne Hoffmann bespricht in seinem Blog GENDERAMA einen Artikel von Heide Oesterreich.

Zum Thema Gender Mainstreaming äußert sich auch Christine Bauer-Jelinek.


Vorsicht vor kastrierenden Lesben

Backlash-Publizisten haben die zweite Stufe der Rakete in die Vergangenheit gezündet: Sie wollen nicht mehr nur alte Geschlechterbilder konservieren,
sondern diffamieren nun auch die ProtagonistInnen der Gleichstellungspolitik

VON HEIDE OESTREICH

die taz

Manufactum, das Kaufhaus für Leute, die sich Bakelit-Lichtschalter und Dachshaar-Rasierpinsel zurückwünschen, hat neuerdings auch die passende Ideologie im Angebot: In zwei in Leinen gebundenen Aufsätzen tut der FAS-Redakteur Volker Zastrow auf sechzig Seiten kund, dass hinter der Fassade moderner Gleichstellungspolitik Lesben zum Angriff auf die "normale" Hausfrau und Mutter blasen. Und "Gender-Mainstreaming" bedeute, dass IdeologInnen die männliche Identität zerstören wollen. "Politische Geschlechtsumwandlung" sei das Ziel. Die Herrschaftsübernahme kastrierender Lesben steht kurz bevor. Mit 6,80 Euro ist das Buch "Gender" für Manufactum-Verhältnisse ein Schnäppchen. Vielleicht sollte der geneigte Kunde sich dann auch schon mal mit handgeschmiedeten Mistgabeln aus westfriesischem Kohlenstoffstahl für die Geschlechtsverteidigung eindecken.

Im Kuriositätenkabinett Manufactum liegt das Werk gar nicht mal so schlecht. Doch leider sind die Texte auch in der FAZ erschienen. Zumindest diese Redaktion fand es offenbar normal, dass ein Autor mangels Argumenten nahezu ausschließlich zu (größtenteils persönlichen) Diffamierungen greift. Frauenpolitikerinnen wie die SPD-Europaabgeordnete Lissy Gröner verträten nur Interessen von Lesben, heißt es da. Und diese stimmten "in der bedeutsamen Frage von Ehe und Familie mit denen anderer Frauen keineswegs überein". Ach, wirklich nicht? Nur Lesben wollen Karriere machen? Und Lesben wollen keine Kinder? Im Gegensatz zu allen "anderen Frauen"?

Von der mittlerweile üblichen Backlash-Literatur à la Matussek und Schirrmacher unterscheidet die Zastrow-Texte nicht der grundlegende Wunsch, die Geschlechterverhältnisse zu restaurieren. Zastrow hat vielmehr die zweite Stufe der Rakete in die Vergangenheit gezündet: Nun wird es nach längerer Zeit wieder schick, die Instrumente und ProtagonistInnen der Gleichstellungspolitik selbst zu diffamieren.

Gesellschaft & Politik
Macht hat kein Geschlecht

Welt der Frau

Wir brauchen einen Männerminister, fordert Christine Bauer-Jelinek.

Die Expertin für Machtfragen erläutert, warum es Zeit ist, dass Männer und Frauen mehr voneinander lernen und um ihre Interessen fair kämpfen. Christine Haiden

Welt der Frau: Frau Bauer-Jelinek, Sie sagen, nach wie vor gebe es wenig Bewusstsein darüber, dass auch Frauen Macht ausüben. Woran liegt das?
Bauer-Jelinek: Vor allem daran, dass wir unter dem Machtbegriff ausschließlich die Macht der Männer in Politik und Wirtschaft verstehen. Wenn nun Frauen in solche Machtpositionen kommen, wollen sie nicht wie die Männer werden und versuchen, einen weiblichen Weg zu finden. Eine Frau, die erkennbar sogenannte männliche Machttechniken anwendet, wird schnell negativ beurteilt und mit Vorurteilen belegt. Während die weiblichen Machttechniken, die subtiler und oft emotionaler sind, in der Öffentlichkeit wenig beachtet werden. Wenn beispielsweise Frauen moralisieren statt zu argumentieren, so spielen sie mit dieser Quelle der Macht eine sehr wirksame Karte aus. Sie dünken sich nicht selten als das >bessere Wesen«, dem Manne in Fragen der Ethik überlegen, mit einem direkteren Zugang zu dem, was gut und böse ist. Selten nehmen Frauen diese Angewohnheit als eine Machttechnik wahr, mit der man sehr rasch einen Kampf provozieren kann. Meist glauben Frauen, sie seien eher friedlich und ganz ohne Macht unterwegs.

Wir haben offensichtlich noch sehr polare Bilder in uns, was männlich und was weiblich ist, aber auch was Macht in der >Innenwelt« und der >Außenwelt« angeht.
Ja, selbst Vertreterinnen von Gender Mainstreaming und der Frauenbewegung verwickeln sich argumentativ in Zirkelschlüsse. Wir subsumieren unter weiblichen Eigenschaften überwiegend mütterliche Attribute, die die Welt besser machen sollen, und wollen auf der anderen Seite nicht auf die Mütterlichkeit reduziert werden. Wenn man gleiche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen ? halbe-halbe ? anstrebt, dann ist die Vormachtstellung der Frauen für das Gute, Wahre und Schöne nicht mehr gegeben. Wenn Männer die Hälfte der Innenwelt übernehmen sollen, müssen Frauen bereit sein, in der Außenwelt realistisch zu handeln und Verantwortung zu übernehmen ? sie dürften sich nicht zu gut sein, sich draußen auch die Hände schmutzig zu machen. Durch oft geäußerte naive Vorstellungen von Frauen über Politik und Wirtschaft geraten wir immer mehr in einen Argumentationsnotstand, der unserer selbst nicht würdig ist.

Sie würden von diesen Zuschreibungen männlich/weiblich ganz weggehen? Wo brauchen wir den Unterschied?
Auf der einen Seite kommen aus der Wissenschaft Prognosen, dass wir einem androgynen Zeitalter zustreben: Die Geschlechterunterschiede würden sich immer mehr auflösen ? auch körperlich. Auf der anderen Seite beobachten wir im Alltag, dass Männer und Frauen gleichermaßen Rollenvielfalt leben. Das heißt, wenn eine Frau in die Disko oder auf ein privates Fest geht, dann will sie sich vielleicht weiblich anziehen und die Erotik spielen lassen. Wenn sie aber im Beruf als Geschäftsführerin zu einer Verhandlung geht, dann hat sie gelernt, sich an die Spielregeln des Marktes zu halten, wenn sie erfolgreich sein will. Betrachten wir einmal genauer, was wir unter >weiblich« verstehen. Die Attribute drehen sich immer um Erotik oder Mütterlichkeit ? diese brauchen wir in unserem Sexual- und Beziehungsleben und mit kleinen Kindern. Es ist nicht einzusehen, was Weiblichkeit im Beruf an Vorteilen bringen soll. Wir stellen uns ja auch nicht vor, dass ein Macho mit herausragenden männlichen Eigenschaften besonders geeignet wäre, um in Väterkarenz zu gehen.

Frauen an der Macht
Momentan wundert man sich über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Man staunt über ihr >staatsmännisches« Verhalten und diskutiert noch immer über ihr Aussehen als Frau, weil wir alle diese Vorstellungen von Weiblichkeit im Kopf haben.
Frau Merkel ist eine der ersten erfolgreichen Frauen, die ihren Auftritt professionell inszenieren ließ und das auch zugibt. Die meisten Frauen ? auch in Top-Positionen ? sind stolz darauf, dass sie alles nach eigenem Geschmack ausgewählt haben, und präsentieren sich dementsprechend >weiblich«. Die Power-Inszenierung von Angela Merkel ist spielregelkonform, sie erzeugt bei Auftritten mit männlichen Staatsoberhäuptern einen gleichwertigen Status durch die entsprechenden >Insignien der Macht«.


DschinDschin

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Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.


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