Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Re: Gewalt ist bei uns nicht nötig

point / Thomas , Sunday, 20.01.2002, 19:22 (vor 8723 Tagen) @ Jörg

Als Antwort auf: Re: Gewalt ist bei uns nicht nötig von Jörg am 17. Januar 2002 22:38:52:

Gewalt ist in der Tat (ausser natürlich in individuell-akuter Selbstverteidigung, dann aber konsequent) momentan nicht gerechtfertigt.[/i]
Hm, irgendwie irritiert mich dieser Satz ein wenig: Warum betonst Du die
Konsequenz der Gewaltanwendung in einer Situation der Selbstverteidigung?

Weil viele Menschen keine Ahnung haben, worüber sie sprechen, wenn sie von Kampf, Gewalt und Opfer sein reden, und sich deshalb nie realistisch mit tatsächlich auf sie ausgeübter Gewalt auseinandersetzen (konnten/mussten). Bis es passiert. Dann wird die Realität von Gewalt schlagartig und für immer klar.

Die meisten Menschen ohne Eigenerfahrung haben z.B. die unbewusste Idee, daß ein Gewalttrauma irgendwie nach - wenn auch langer - Zeit "abheilen" könnte, dass das Leben also letztlich wieder so werden könnte wie vor dem Geschehen.

Das ist leider falsch. Man kann nur lernen damit zu leben, daß einem für immer Vertrauen genommen und Angst gegeben wurde; dies natürlich in Abhängigkeit von der Schwere der Gewalt. Und das kann sich ein Unbetroffener einfach nicht vorstellen. Er vergleicht so ein Erlebniss unwillkürlich mit selbst erlebten schmerzhaften Erlebnissen, wie von der Freundin verlassen werden, oder einem aufgeschlagenen Knie. Und da heilt die Zeit, u.a. durch neue, schöne Erfahrungen, so ziemlich alle Wunden.

Bei Gewalttraumata nie. Es ist in gewisser Weise ein *endgültiger* Verlust für die Lebensqualität. Wer es erlebt hat, weiss das. Und deshalb bin ich auch in diesem einen Punkt, obwohl, ansonsten zu mancherlei Relativierung bereit, absolut kompromisslos gegen Gewalt, gleich unter welchem Deckmäntelchen , ob von rechts oder den sog. Autonomen, ob von Polizisten oder Türken, von Emanzen oder Frauenmisshandlern, sie sich verbirgt.

Deshalb will ich mit allen notwendigen Mitteln eine solche Traumatisierung konsequent verhindern bevor sie passiert - sowohl bei mir selbst und in Nothilfe für andere. Das ist keine Theorie, sondern in meinem Leben des öfteren passiert. Und um das mit dem geringstmöglichen Einsatz von Zerstörung bewirken zu können, trainiere ich. Denn nur dann, wenn überhaupt, hast Du wenigstens eine ganz geringe Chance, ohne Schadens-Eskalation den Angriff sicher genug zu unterbinden.

Warum ist Gewalt nur momentan nicht gerechtfertigt?

Das "nur" hast Du geschrieben, nicht ich... ;-)

Und das stimmt ja wohl. Weisst Du, was übermorgen sein wird? Ich nicht.

Gewalt (einschließlich der psychischen Gewalt) ist meines Erachtens generell nicht gerechtfertigt.

Aktiv *initierte* Gewalt niemals - da geb ich Dir uneingeschränkt recht. Aber: Leider gibt es gegen momentane Gewalt kein anderes Mittel als momentane noch grössere Gewalt. Bei einem *wirklich* entschlossenen Angriff wird es Schaden geben - Du kannst bestenfalls noch beinflussen, ob es Dich oder ihn trifft. Wer Dir was anderes erzählt, weiss es nicht besser oder lügt. Und deshalb (nicht nur, aber auch) sollte man sich imho mit seiner eigenen Gewaltlust und -Fähigkeit sehr wohl *vorher* auseinandersetzen.

Ich bin sogar der Meinung, daß unserer modernen Gesellschaft eine echtes kulturelles Umgehen mit der Gewalt fehlt, ein Einbinden in sozialunschädliche Werte. Wir haben dieses universell-menschliche Phänomen sublimiert ins TV oder in Reinform in die Illegalität, auf die Strasse, zu den Hooligans z.B., verdrängt. Das ist aber keine Lösung. Gewaltlust muss man zunächst mal bewusst annehmen, ans Licht holen, schadlose Wege zum Ausdruck suchen, aber nicht so tun, als ob man sie nach dem Motto "Will ich nicht sehen - existiert nicht" folgenlos beiseiteschieben könne. Das rächt sich.

In vielen sog. primitven Kulturen spielte der Kampf, die Auseinanderersetzung mit der eigenen Angst als Initiationsritus und als Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls des Stammes etc. eine grosse Rolle. Wir alle haben das auch noch immer im Blut (S-Bahnsurfen, Bungee etc.). Aber unsere angeblich so überlegene "Kopf-Kultur" erlaubt es uns nicht. Deshalb kommt imho Gewalt so oft in indirekter, hinterlistiger Form, Mobbing, Freundschaftsverrat, als "strukturelle Gewalt", oder bei gegen sich selbst gerichteter Aggression als psychosomatische Störung zum Ausdruck.

In einer Demokratie kann sich die "Wahrheit" sehr viel schneller durchsetzen
als beispielsweise in einer Diktatur, in der die Freiheiten des Einzelnen
und damit auch die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsverbreitung
stark eingeschränkt werden.

Im ersten Moment will man natürlich zustimmen... aber ist dem wirklich immer so? Mir kommt z.B. als Überlegung, daß in einer gesättigten demokratischen Gesellschaft mit all ihren wirtschaftlich/politischen Verflechtungen ein Prozess wie der der Männerdiskriminierung z.B. lange Zeit garnicht ins öffentliche Bewusstsein gedrungen ist, weil es anscheinend keine Opfer gibt, bzw. die Täter auch noch zu Opfern stilisiert werden; ja, sogar die Opfer selbst glauben zum grossen Teil, sie seien eigentlich die Täter...(ein echtes Meisterstück übrigens an Gehirnwäsche...wer auch immer etwa insgeheim glaubt, das Frauen als politischer Gegner doch nicht so ernst zu nehmen seien, sollte hierüber mal gründlich nachdenken. Die Erweckung dieser Einstellung ist imho Teil der geschickten Kampagne: Die Feministinnen schimpften zwar offiziell über diese Frauen-Diskriminierung; in Wahrheit aber dürften sie heilfroh gewesen sein, daß mancher Mann sie vollkommen unterschätzt hat ;-).

In einer ganz offensichtlichen Frauendiktatur über die Männer hingegen (konstruieren wir mal für den Moment eine solche), wäre klar, wer Opfer ist. Daraus folgt eine relativ schnelle und starke Entwicklung von -> Solidarisierung -> Untergrund -> Kampf -> Umsturz.

Bitteschön: Nicht, daß ich deshalb eine Diktatur preferieren würde.;-) Ich gebe nur zu bedenken, daß die real existierende Demokratie (also nicht eine theoretische, ideal-perfekte Herrschaft des Volkes) durchaus auch Mechanismen aufweist, die gegenaufklärerisch wirken können und einen gesellschaftlichen Missstand *gerade durch* die relativen Freiheiten erst garnicht in einen "revolutionsfähigen", explosiven Zustand anwachsen lassen.

Es wird sozusagen immer etwas Dampf übers intellektuelle Überdruckventil abgelassen - Hauptsache, es ändert sich nicht wirklich etwas. ;-)

bye
Thomas


gesamter Thread:

 

powered by my little forum