Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Jeder muss etwas für die Gesellschaft tun

Joachim, Monday, 12.08.2002, 19:23 (vor 8522 Tagen)

Von Rainer Kellers und Sandra Schmitt

Reform und Finanzierung der Bundeswehr sind auch im Wahlkampf Themen. Welche Aufgaben sollen die Streitkräfte erfüllen? Wie viel dürfen sie kosten? Die Rundschau gab die Fragen an Jugendliche weiter, die sich bald für oder gegen Bundeswehr entscheiden müssen.


Bundeswehrsoldaten: Sollte die Wehrpflicht beibehalten werden?
Wehrpflicht beibehalten?

Das zentrale Thema der Diskussion mit den 22 Jugendlichen - sie alle sind Schüler des St. Ursula Gymnasiums in Brühl - ist schnell ausgemacht: Macht es immer noch Sinn, an der Wehrpflicht für alle Männer festzuhalten, obwohl sich die Aufgaben der Bundeswehr radikal verändert haben? Durchaus, meint die 18-jährige Vera und nennt ein oft gebrauchtes Argument der Militärs: "Die Wehrpflicht ist ein Heranführen an die Bundeswehr", Werbung für eine längere Verpflichtung. Tobias pflichtet seiner Klassenkameradin bei. Er habe sich schon dafür entschieden, zum Bund zu gehen. "Das ist auf jeden Fall eine Erfahrung wert. Ich kann es mir sehr interessant vorstellen."

Auch David möchte zum Bund. Der 18-Jährige, der mit seinen Rastalocken und der Strickmütze eher wie ein Verweigerer aussieht, überlegt sogar, Zeit- oder Berufssoldat zu werden. Einziger Wermutstropfen: "Dann müssten die Haare ab." Davids Vorschlag lautet, die Wehrpflicht beizubehalten, aber gegenüber dem Zivildienst deutlich zu verkürzen - "um die Bundeswehr attraktiver zu machen".

Etwas anders sieht das Dominik. In ruhigen Worten legt er dar, dass er - im Gegensatz zur Mehrheit der Schüler - "keinen Sinn in einer Wehrpflichtigenarmee" sieht. Beim Zivildienst tue man etwas Sinnvolles, beim Bund jedoch "sitzen die Rekruten herum, tun nichts anderes als zu saufen". "Sicher", schaltet sich Daniela ein, "der Vorteil einer Berufsarmee wäre, dass die Leute hinter dem stehen, was sie machen." Das Problem sei nur, genügend Leute zu finden.

Und vor allem, wirft Katharina ein, würden sich bei einer Berufsarmee Leute verpflichten, "die man nicht unbedingt da haben will - etwa Rechtsradikale." Tobias schließlich meint, dass ein Berufsheer effektiver als eine Wehrpflichtigenarmee sei, man brauche aber die allgemeine Pflicht, um durch Zivildienstleistende die Lücken im Sozialsystem zu stopfen. "Der Zwang zu verweigern ist blöd", nimmt Daniela das Argument auf. "Man sollte es allen - auch Frauen - ermöglichen, frei zu wählen, entweder zum Bund zu gehen, ein Soziales oder Ökologisches Jahr zu machen." Ein Vorschlag, der konsensfähig ist in der Runde.

Frauen in die Bundeswehr?

Ermöglichen oder verpflichten? Sollten Frauen genau wie Männer zum Wehrdienst verpflichtet werden? Überraschend der Konsens auch hier: Zwar will sich keine der elf jungen Frauen des Kurses freiwillig zur Bundeswehr melden, doch alle stimmen überein, dass Wehrpflicht oder Zivildienst auch für Frauen gelten müssten. "Es ist ungerecht, dass den Jungs ein Jahr für die Ausbildung verloren geht und Mädels direkt lospowern können", findet Vera. Allerdings müssten Frauen dann auch alle Karrieren bei der Bundeswehr offen stehen.

"Da kann ich nur zustimmen", sagt Daniela nachdrücklich. Frauen könnten mittlerweile selbst bestimmen, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Das könne kein Argument gegen die Dienstpflicht für Frauen sein. Sie hat nur Bedenken, dass Frauen in der Bundeswehr zu Unrecht "für nicht voll genommen werden". Denn es gebe sicher viele Frauen, "die besser als Männer dazu geeignet sind, durch den Schlamm zu robben".

Wehrgerechtigkeit

Also statt Wehrpflicht eine allgemeine "Dienstpflicht" für beide Geschlechter. Das wäre, so argumentieren die Schüler, gerechter angesichts der Aussicht einer in Zukunft schrumpfenden Mannschaftsstärke der Bundeswehr. Schließlich werden schon heute nicht alle Wehrtauglichen tatsächlich eingezogen. Einen radikaleren Vorschlag hat Dominik. Ginge es nach ihm, müsste die Wehrpflicht komplett abgeschafft und stattdessen ein verpflichtendes Soziales Jahr für Männer und Frauen eingeführt werden.

Das allerdings hält Katharina für unsinnig. Es bringe nichts, in Krankenhäusern oder Altenheimen Leute zu haben, "denen der Wille fehlt, die Sache ordentlich zu machen". Und dann schimpft sie auf die Moral ihrer Generation: "Immer mehr Jugendliche haben zu gar nichts Bock." Das empört auch Vera. Sie findet, dass jeder die Verpflichtung habe, etwas für die Gesellschaft zu tun. "Man kann sich doch nicht aus allem heraushalten."

Auslandseinsätze

Sich nicht aus allem heraushalten. Diese Einstellung bleibt auch vorherrschend, als sich das Gespräch den Auslandseinsätzen der Bundeswehr zuwendet. Unabhängig davon, ob eine Wehrpflichtigenarmee den neuen Herausforderungen überhaupt gewachsen ist herrscht bei den 22 Jugendlichen weit gehend Einigkeit darüber, dass Friedenseinsätze im Ausland notwenig seien. Deutschland müsse sich dabei an der Seite seiner Partner in den verschiedenen Bündnissen engagieren, argumentiert Sebastian. "Europa muss sich gegenseitig helfen - in wirtschaftlicher wie militärischer Sicht", meint auch Dominik. Und Vera sagt: "Wir sind nicht mehr ein Land, das alleine steht, wir sind Europa, eine Gemeinschaft. Wir müssen auch militärisch zusammenstehen." Der 11. September habe gezeigt, dass Terroranschläge überall passieren können. "Auslandseinsätze sind der beste Weg, etwas gegen den Terror zu tun."

Die einzige, die nicht zustimmen will, ist Katharina. "Ich bin grundsätzlich nicht der Ansicht, dass sich jedes Land in Konflikte anderer Länder einmischen sollte. So kann man nicht unbedingt etwas bewegen." Das Schlusswort hat David, der als künftiger Zeit- oder Berufssoldat selbst in die Lage käme, sein Leben in Ländern wie Afghanistan zu riskieren. "Dem Gedanken sehe ich kritisch entgegen. Ich glaube aber nicht, dass das Risiko sehr hoch ist..."

Fazit

Ein einheitliches Fazit zu finden, fällt nicht leicht nach anderthalb Stunden teils kontroverser Diskussion. Eines jedoch lässt sich deutlich feststellen: Friedenstauben sind selten geworden an deutschen Schulen. Vorbei sind die Zeiten, da Schüler auf die Straßen gingen, um gegen den Golfkrieg oder das Wettrüsten zu demonstrieren.

Pragmatismus und Pflichtgefühl gegenüber dem eigenen Land sowie der Weltgemeinschaft scheinen bei vielen vorherrschend zu sein. Jeder, so der überraschend einmütige Tenor, müsse seinen Beitrag leisten - im Privaten wie auf staatlicher Ebene

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