Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Differenzierte Betrachtung

Markus, Tuesday, 26.11.2002, 14:38 (vor 7833 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Differenzierte Betrachtung von Arne Hoffmann am 26. November 2002 09:49:28:

Hallo Arne,

Soweit ich weiß, durften sie nicht ohne männliche Begleitung zum Arzt.

Ich habe diesbezüglich verschiedene Berichte gelesen und im TV gesehen. Frauen durften von sich aus nicht in Krankenhäuser gehen, nur wenn der Mann es erlaubte und dann in seiner Begleitung. Ein Recht auf Behandlung bestand für sie alleine nicht.
Es war weiterhin so, dass Frauen nicht mehr arbeiten, Mädchen keine Schule besuchen durften. War eine Frau nicht verschleiert, durfte sie von fremden Männern jederzeit verprügelt werden.

Dafür gab es allerdings auch die Begründung, dass Afghanistan nach Jahren des Bürgerkriegs auch "psychisch" am Boden lag und Frauen sich ohne Begleitung vor Vergewaltigern nicht mehr sicher sein konnten.

Das halte ich für sehr fraglich, weil diese Unsicherheit nicht für die Hochburgen der Taliban galt, sondern für die Provinzen. Sicher herrschten dort verschiedene Warlords jedoch in Kabul war Vergewaltigung sicher nicht an der Tagesordnung. Ich persönlich habe etwas Mühe Einschnitte für Frauen mit vermeintlich drohender Vergewaltigung zu rechtfetigen. Unrecht bleibt es in meinen Augen immer noch.

In meinem e-zine INVISIBLE MEN habe ich über längere Zeit auch Beiträge zur Situation in Afghanistan und anderen Ländern veröffentlicht. Das kann ich jetzt nicht alles nachholen. Generell gesprochen: Es ist sehr heikel, ohne nähere Kenntnisse in eine andere Kultur hineinzuschauen, nur darauf zu achten, wie Frauen dort behandelt werden (womöglich noch aus westlicher Perspektive) und dann Thesen über ihre Unterdrückung in diesen Ländern aufzustellen.

Das sehe ich komplett anders. Mein (sicher westliches) Rechtsempfinden, das von einem Leben mit freier Meinungsäußerung geprägt ist, weigert sich solche Umstände einfach so mit einem Hinweis auf eine fremde Kultur zur Kenntnis zu nehmen. Ich persönlich werde mir Misshandlungen und Benachteiligungen nicht mit der Rechtfertigung "fremde Kultur" schönreden. Keine von uns hat sich ausgesucht wo er geboren ist.

In einer zehntägigen Kampagne ab dem 22. November letzten Jahres haben US-amerikanische Männerrechtler darauf hingewiesen, dass die Misshandlung von Frauen in Afghanistan breiten Raum in unseren Medien einnimmt, während die mindestens ebenso brutalen Misshandlungen von Männern Gendercide Watch zufolge einem Schweigetabu unterliegen, ignoriert und verharmlost werden.

Wie du schreibst: "Gendercide Watch". Da unterstelle ich schon mal eine sehr subjektive Beurteilung. Ich persönlich habe ein Problem damit, wenn sich Menschen zum Beispiel für hungernde Kinder in Äthiopien einsetzen und dann andere kommen und meinen das sei ungerecht, weil in Indien auch Kinder verhungern. Manche gehen dann am Ende noch einen Schritt weiter. Berechnen Männer und Frauenquoten von Indien und Äthiopien. Da Äthiopien vor einiger Zeit noch im Krieg war und Soldaten männlich sind, liegt es nahe, dass in Äthiopien im Verhältnis mehr Frauen leben als Männer...im Vergleich zu Indien. Nun kommen dann am Ende Thesen auf, die besagen, dass Hilfe für Äthiopien aufgrund dieses Umstandes ungerecht sei und einen feministischen Gedanken trägt? Sorry. Ich denke nicht auf diese Art und Weise. Es sollte für jeden Menschen legitim sein sich gegen die Art von Missstand zu erheben, die einen am meisten bedrückt. Der Männeranteil auf dieser Welt ist nicht geringer als der der Frauen. Es ist sehr wohl wichtig, dass "Gendercide Watch" hier eine besonderes Auge auf die Männer wirft, die Missstände auch klar anspricht und sich engagiert - für genau das, was ihnen wichtig ist. Der Hinweis aber, wie ungerecht es ist, dass nun anderen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, halte ich persönlich für falsch. Es gibt unzählige Missstände und man kann nicht gleichzeitig alles verändern. Neid halte ich hier aber für ein falsches Zeichen.

Frauen wurde das Recht auf Ausbildung, auf Arbeit und auf freie Bewegung im öffentlichen Raum genommen. Männer in Afghanistan werden öffentlich zusammengeschlagen, von ihren Familien getrennt, zum Kriegsdienst zwangsverpflichtet, in Arbeitslagern geschunden, willkürlich hingerichtet, gefoltert und massenweise umgebracht.

Natürlich sind diese Menschenleben nicht weniger wert als die von Frauen. Auch diesbezüglich erinnere ich mich an einige Berichte, die genau darauf hingewiesen haben. Es gab mal eine Zeit in der die Medien andauernd von Ghandi oder Mandela berichteten. Männer die für ihre Überzeugungen gefoltert wurden, ins Gefändnis kamen. Die Medien berichteten ständig darüber - obwohl es sicher auch diverse Frauen gab, die den Widerstand propagierten. Ich denke nicht, dass es sonderlich produktiv ist, Unrechtsbekämpfung allgemein geschlechterpolitisch zu betrachten.

Unter anderem sei die gesamte Region mit Landminen durchseucht - denen Frauen zu 10 Prozent zum Opfer fielen (Männer zu 60 und Kinder zu 30 Prozent).

Weißt du, einerseits wird mit dem "anderen Kulturkreis" gerechtfertigt, dass Frauen ihre Häuser nicht verlassen dürfen, nun werden Zahlen von Minenopfern aufgestellt, die belegen sollen, dass Männer und Kinder mehr leiden als Frauen? Kann ich leider nicht ganz nachvollziehen. Wie soll eine Frau, die in ihr Haus eingesperrt ist, auf eine Mine treten? Nur wenn diese die böse Schwiegermutter vergraben hat. ;-)

Unter Übergriffen der "religious police" litten Männer ebenfalls etwa sechsmal so häufig wie Frauen. Von der UNO über die Weltgesundheitsorganisation WHO bis zum hohen Flüchtlingsrat der Vereinten Nationen tun aber praktisch sämtliche bedeutenden internationalen Organisationen so, als ob nur das Leiden des weiblichen Geschlechts zähle.

Auch hier denke ich, dass eine Frau, die im Haus zu bleiben hat, dies nur selten verlassen darf, auch weniger Möglichkeiten hat hier gegen fundamentales Taliban-Recht zu verstoßen. Das klingt für mich persönlich wie eine These, die besagt, dass Häftlinge die besseren Autofahrer sein müssen, da sie klar nachweisbar weniger Strafzettel bekommen und weniger Verkehrsunfälle haben. Wann verliess denn die afghanische Frau ihr Haus? Wann war ihr das erlaubt? Maximal wenn sie zum einkaufen wollte. Ansonsten war ihr Platz das Heim - alles andere konnte mit Gewalt durchgesetzt werden.


[quote]Diese Aktionswoche hat allerdings nichts bewirkt. Wenig später erließ die US-Regierung ein Hilfsprogramm speziell für "Frauen und Kinder in Afghanistan". Hat sich in den Medien bestimmt gut gemacht.
[/quote]

Ich glaube wirklich, dass der Grund hier weniger die Unterdrückung des Mannes war. Ich denke der Grund dafür war einfach der, dass man bei afghanischen Frauen global von unterdrückten Personen sprechen konnte, weil jede Frau nach Auslegung der Scharia, sich in dieses unterdrückte Weltbild zu fügen hatte. Für Männer aber global, kann eine solche Aussage für Afghanistan nicht getroffen werden, weil es unter den Männern eben auch die Drahtzieher, die "Gestapo"-Leute und die Tyrannen gab. Ich denke das ist der feine Unterschied. Sicher gibt es in Afghanistan Frauen, die ihre Einschnitte sogar für richtig empfinden, die fest in ihrem Glauben davon überzeugt sind, dass der Mann über sie zu richten hat. Nur selbst diese extremen Frauen, die vielleicht selbst unverschleierte Frauen mitgeschlagen haben, hatten nie eine gewichtige Position, weil die einer Frau aufgrund des Geschlechts dort, nie zugestanden hätte.

Herzlicher Gruß
Arne

Versteh mich hier bitte nicht falsch. Ich bin auch der Meinung, dass vielen Männern in Afghanistan Unrecht widerfahren ist, auf das auch aufmerksam gemacht werden muss. Nur halte ich Unrechtsbekämpfung unter dem neidischen Blickwinkel der Geschlechtertrennung für sehr fragwürdig. Ich erinnere mich auch an diverse Berichte über Männer, die in den USA hingerichtet werden soll(t)en und würde hier nun auch keine Rufe von Feministinnen akzeptieren, die hier versuchen Geschlechterpolitik daraus zu machen.

Liebe Grüße,

Markus


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