Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Feminismus und Sexualität: Sally Tisdale

Mus Lim ⌂, Sunday, 06.09.2009, 20:45 (vor 5957 Tagen) @ Mus Lim

Sally Tisdale

Aus ihrem Buch "Talk dirty to me - eine intime Philosophie des Sex"

Sie meint, es gebe zwei Denkrichtungen, für die Sex gefährlich beziehungsweise eine Naturgewalt ist, die nur innerhalb bestimmter Grenzen zugelassen werden darf: "In ihrer öffentlichen Form zeigt sie (= die zweite Denkrichtung, Anm.) sich im konservativ-feministischen Diktum, daß Sex in einer sexistischen Kultur alle Frauen verletze und keine Frau ein freies Sexualleben führen könne, solange diese Kultur nicht zerstört worden sei. Diese Überzeugungen enthalten natürlich ein Körnchen Wahrheit."

"Sex besitzt die einzigartige Fähigkeit, das Individuum sowohl zu brutalisieren wie zu besänftigen. Wenn wir uns von der Sexualität abwenden, wenden wir uns von uns selbst ab, und auch von anderen; Angst vor Sex heißt Angst vor anderen. Solange wir das Land der Sexualität nicht durchqueren, gibt es eine Menge anderer Territorien, mit deren Erkundung wir noch nicht einmal beginnen können."

"Ich kannte nicht einmal die Bezeichnungen für einen Teil dessen, was sich in meinen sexuellen Phantasien abspielte, aber eins wußte ich mit Sicherheit: Wirklich emanzipierte Frauen, die das Joch der Heterosexualität abgeworfen hatten, dachten nicht einmal an die Dinge, die ich sogar tun wollte."

Als sie 1992 den ersten Text über Sex und ihr Interesse an Pornographie veröffentlichte, kamen entsprechende Reaktionen: "Mehrere Briefeschreiberinnen, die sich selbst als konservative Feministinnen bezeichneten, stützten sich mehr auf Kraftausdrücke als auf Analyse; ihre Beschimpfungen waren drastisch und bösartig. Ich war fassungslos über ihre Wut und ihre Giftigkeit, die so viel beträchtlicher waren als die Vorbehalte, die ich in meinem Artikel gegen die konservativ-feministische Position in Sachen Pornographie geäußert hatte. Sie waren bedeutend wütender und äußerten diese Wut persönlicher als etwa jene, die ihre Abonnements gekündigt hatten. Als Gruppe waren sie insofern interessant, als sie meine offenen Ausführungen über Pornographie mit der Pornographie selbst gleichsetzten. (Zensur, ganz gleich, ob durch Gesetz oder durch gesellschaftliche Sanktionen, macht es nicht nur unmöglich, über das zensierte Thema zu sprechen, sondern auch über die Zensur selbst.) Es war klar, daß es sich um etwas viel Tiefergehendes handelte als um eine politische Meinungsverschiedenheit."

"Die meisten Leute fänden es in Ordnung, jemandem Geld dafür zu geben, daß er oder sie einem den Rücken massiert, wären jedoch gleichermaßen der Meinung, daß man derselben Person keinesfalls Geld dafür geben sollte, einem den Penis zu massieren. Zwei Frauen dürfen sich auf die Wangen küssen, aber nicht auf den Mund. Ein Mann darf die Hand einer Frau halten, seine Hand jedoch nicht auf ihre Brust legen . weil in jedem dieser Fälle etwas angefangen hat, was wir als Sex bezeichnen. Eine Grenze wurde überschritten, eine neue Definition ist angebracht. Definiere Sex. Definiere seine Anfänge, seine Grenzen, sein Ende, den Unterschied zwischen einer angenehmen Berührung und einer anderen, zwischen etwas, was schön und erlaubt und etwas, was schön und schlecht ist."

"Ich lebe in einer Welt, die vom Inzest besessen ist und deren Mannequins wie Kinder aussehen, in der es Demonstrationen gegen Erotika und für die Todesstrafe gibt, in der man Bikinis und Make-up für kleine Mädchen kaufen kann, einem Säugling aber in der Öffentlichkeit nicht die Brust geben darf; ich lebe in einer Welt, die umgestaltet wurde, um Platz zu schaffen für Raketen, Wolkenkratzer und Atom-U-Boote, heiße, summende Phalli, die durch die dunklen Wasser der Tiefe schneiden."

"Durch ein Vergrößerungsglas betrachtet, ist nichts unnatürlicher als die heterosexuelle Kleinfamilie. Keine andere gesellschaftliche Einrichtung steckt zwei grundsätzlich verschiedene Menschen zusammen, ohne Netz, ohne Unterstützung, ohne daß noch jemand da wäre, bei dem man Liebe und Verständnis finden könnte. Die Ehe trennt, wo das menschliche Lebewesen sich seiner Natur entsprechend zusammenschließen würde."

"Prüderie ist im wesentlichen Verachtung. Prüderie sieht den Menschen als ewig unreif, als Kind oder, präziser, als schwachsinnig - lenkbar, beeinflußbar, unzuverlässig. Wenn es nicht Sex ist, dann sind es Alkhohol, Glücksspiel oder andere Versuchungen, die uns vom rechten Weg abbringen. Das Leben, das wir führen sollen, wird nie als Versuchung gesehen; der Wunsch, das Richtige zu tun, eine Familie zu gründen, Karriere zu machen oder anderen zu helfen, ist nie verlockend genug, um uns angesichts anderer, unmittelbar befriedigenderer Vergnügen bei der Stange zu halten."

"Nur ein sehr kleiner Teil der erhältlichen Pornographie stellt Gewalt dar, und selbst bei dieser handelt es sich um die festgelegten Darstellungen von Bondage und SM. Unsere übrige Kultur trieft dagegen vor Gewalt. Es ist merkwürdig - und vielsagend - , daß kaum aufzutreibende Pornographie mehr Einfluß haben soll als Nachrichten, Werbung und manche Fernsehfilme, die zu den besten Sendezeiten laufen."

"Die Idee, Brutalität in der Pornographie zu untersagen, klingt zunächst großartig. Aber sie fällt in sich zusammen, sobald wir die wirkliche Welt betreten. Viele Frauen fahren auf Bilder ab, die andere brutal finden. Ich wüßte niemanden, dem ich zutrauen würde, den Begriff zu definieren. Brutalität hat viele Gesichter, und viele haben alltäglich Einfluß auf uns. Nehmen wir folgenden Werbespot: Die schmale, blasse Hand einer Frau mit blutrot lackierten Fingernägeln reibt und reibt mit einem weißen Tuch. Ihre Bewegungen sind matt und liebevoll. Sie putzt den Sockel einer weißen Toilette, und während sie sie streichelt, spricht sie über die Probleme, die damit verbunden sind, 'mit Männern zusammenzuleben', und wie schwierig es ist, 'das Badezimmer sauberzuhalten', wenn Männer und Jungs phallisch so präsent sind. Sie hat sich so weit erniedrigt, wie sie sich erniedrigen kann, und sie will, daß wir mit ihr zufrieden sind. Das geht mir gegen den Strich, das ist das Frauenbild, das mich dazu veranlaßt, mit meiner Tochter über die Geschichte des Sexismus zu sprechen."

"In der Pornographie ist Sex wundersamerweise tatsächlich losgelöst von Fortpflanzung, Ehe und dem heterosexuellen Paar; allesamt haben sie, wie die meisten Feministinnen zugeben würden, ihren Beitrag zur Unterdrückung der Frau geleistet. In der Pornographie gibt es viele und viele verschiedene Orgasmen, und der Geschlechtsverkehr ist nur ein Teil, manchmal ein kleiner Teil, des Sex. Allein schon der Sex, der sich nicht auf den Geschlechtsverkehr konzentriert, ist eine sehr wichtige Darstellung. In der Pornographie haben Leute unterschiedlichen Alters und unterschiedlichen Aussehens Sex miteinander. Pornos behandeln Tabus offen und oft mit Humor, legen Wert auf das Vorspiel und bieten eine breite Darstellung von Erotik."

"Frauen wie Catherine MacKinnon und Andrea Dworkin haben sich mit einem politischen Lager verbündet, das sich unter anderem gegen die freie Entscheidung bei der Familienplanung, gegen die Rechte der Homosexuellen und gegen die Gleichheit der Geschlechter ausspricht. Dworkins gespenstische Antisex-Prosa liest sich für mich wie überkandidelter Groschenschund. Sie sieht von oben auf mich herab und droht mir mit dem Zeigefinger: Böses Mädchen, Finger weg! Ich habe diese Worte schon zu oft gehört."

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