Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Nur wenig OT: Osten «zivilgesellschaftlich unentwickelt»

Maesi, Saturday, 25.08.2007, 13:33 (vor 6692 Tagen) @ chrima

Hallo chrima

Neoliberal heisst doch nichts Anderes, als den Einfluss des Staates
begrenzen zu wollen.


Da fehlt leider ein entscheidender Teil: Neoliberal heißt doch nichts
Anderes, als den Einfluss des Staates auf die Wirtschaftsabläufe
begrenzen zu wollen.

Keineswegs. Der von Dir monierte 'fehlende' Teil ist eine Ergaenzung bestimmter antiliberaler Kreise. In der liberalen Auffassung ist der Einfluss des Staates nicht nur auf Wirtschaftsablaeufe strikt zu begrenzen sondern auch auf alle anderen Parameter der individuellen Selbstentfaltung. Dass (Neo-)Liberalismus sich nur auf die Wirtschaft zu beschraenken habe, war nie Bestandteil liberalen Gedankenguts. Aber Du kannst hier ja gerne liberale Quellen zitieren, die eine solche Beschraenkung des Liberalismus postulieren.

Kleines Beispiel hierzu: Im liberalen Staatsverstaendnis wird eine staatliche Einflusskompetenz auf die Frage, wie in Familien Erwerbs- und Familienarbeit aufgeteilt werden sollen, strikt zurueckgewiesen; sowas gehoert nur in die Entscheidungskompetenz der unmittelbar Beteiligten selber, naemlich der Familie. So wie Du es umformulierst, wuerde eine staatliche Einflussnahme auf die Familie von liberalem Gedankengut nicht bloss toleriert sondern sogar ausdruecklich gutgeheissen, was aber wieder den Freiheitsgedanken, der dem Liberalismus zugrundeliegt, diametral entgegensteht.

sonst heisst es nichts,


Eben. Über ein Einmischen des Staates in z.B. gesellschaftspolitische
Entwicklungen sagt das was heutzutage als Neoliberalismus bezeichnet wird
nichts aus.
Es besteht kein Widerspruch zwischen den inzwischen ja auch in "liberalen"
Kreisen gestellten Forderungen nach Frauenförderung innerhalb der Partei
und dem heutigen Neoliberalismus.

*LOL* Ein guter Trick, chrima! 'Was heute als Neoliberalismus bezeichnet wird', das ist die euphemistische Umschreibung dessen, was heute vorzugsweise linke Kreise darunter verstehen. Das ist aber eben nicht das Wesen des Liberalismus selbst sondern lediglich eine Meinung von dessen politischen Gegnern.

Richtig ist, dass der Liberalismus solche Forderungen zulaesst. Das Aufstellen von Forderungen ist ja Bestandteil der Freiheit der Buerger. Da Frauenprivilegierungsmassnahmen jedoch normalerweise die Freiheit der Nichtfrauen beeintraechtigt, weil sie meist mit den Steuergeldern aller (also auch der Nichtfrauen) finanziert werden sollen, steht der Liberalismus grundsaetzlich solchen Forderungen ablehnend gegenueber. Eine Frauenfoerderung auf rein privatwirtschaftlicher Basis kann der Liberale jedoch durchaus tolerieren; schliesslich steht es ja auch Maennern frei, Maennerfoerderung aufzubauen. Klug sind solche geschlechterapartheidlichen Machenschaften jedoch keineswegs; und wenn sie erhebliche Teile der Gesellschaft umfassen, dann beeintraechtigen sie wiederum die Freiheit aller.

Nochmals: bring wenigstens eine ernstzunehmende liberale Quelle, die Deine Behauptungen ueber Liberalismus stuetzt. Bei Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten, Gruenen etc. wirst Du zweifellos viele solche Quellen finden - aber die sind ja auch nicht liberal.

es hat auch nichts mit Geld zu tun.


Bitte?

Ja, kaum zu glauben, nicht wahr? Liberalismus in seiner klassischen Variante hat tatsaechlich direkt nichts mit Geld zu tun. Es ist eine Weltanschauung, die dem Individuum eine maximale Freiheit zugesteht, ihm aber auch die gesamte Verantwortung fuer diese seine Freiheit uebertraegt. Nicht mehr und nicht weniger. In einer solchen liberalen Gesellschaft wird derjenige, der Vermoegen akkumulieren kann und auch will, natuerlich diese Freiheit nutzen. Es besteht aber keineswegs eine Verpflichtung, das zu tun. Wer allerdings einem alles durchdringenden Materialismus anhaengt, der kann natuerlich nur noch die Freiheit des Geldes sehen, weil Geld nichts anderes ist als ein Gegenwert fuer alles materiell Vorstellbare. Den ganzen, grossen immateriellen Rest, den der klassische Liberalismus einschliesst aber eben keineswegs dem Individuum aufzwingt, faellt dabei unter den Tisch. Insofern sagt die Definition von 'Neoliberalismus', welche die antiliberalen, meistens linkspolitischen Kreise anwenden, eher etwas ueber ebendiese Kreise aus als ueber die derart verunglimpfte Weltanschauung. Ich gebe jedoch unumwunden zu, dass auch viele Liberale dem Materialismus anhaengen, was dann wiederum die linke Interpretation ein Stueck weit verstaendlich macht. Das Pikante ist dabei, dass die materialistischen Linken den materialistischen Liberalen ausgerechnet jenen Materialismus vorwerfen, dem sie in ueberwaeltigender Mehrheit selber auch anhaengen.

Geld allein regiert die Welt. Dieser Meinung sind alle Materialisten, egal ob linker, rechter oder sonst irgendwelcher Provenienz. Waere es anders, dann waeren sie keine Materialisten. Das ist auch die historische Tragoedie saemtlicher Nacheiferer Marx'. Dadurch, dass sie sich dem Materialismus unterwerfen, unterwerfen sie sich auch dem Geld. Kein Wunder, dass in sozialistischen Staaten, Geld eine ebensogrosse Rolle spielt wie im (materialistisch-)liberalen Staat. Bloss, dass im Sozialismus die Hoheit ueber das Geld dem Staat als Vertreter der kollektivistischen Gesellschaft zugesprochen wird, waehrend im Liberalismus die Hoheit ueber das Geld weitestgehend den Individuen ueberlassen wird. Immerhin hat man als Individuum im liberalen Staat die Wahl, den Materialismus hinter sich zu lassen - ob man es auch tut, steht natuerlich auf einem anderen Blatt. Im Sozialismus hingegen ist der Materialismus integraler Teil der Weltanschauung seit Marx; wer als Sozialist den Materialismus ablehnt, ist kein Sozialist mehr - zumindest nicht im marxschen Sinne.


Gruss

Maesi


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