Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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an Lecithin

carlos, Monday, 18.12.2006, 16:20 (vor 6929 Tagen)

Servus, Lecithin!
Du gestattest mir bitte, die Diskussion auch hier herüber zu ziehen; okay? Würde mich freuen, mich mit Dir und anderen darüber unterhalten zu können.
Im strengen, wissenschaftlichen Wortsinne hast Du mit Deiner Bewertung natürlich recht. Professor Skinners griffige Emphase oder plakative Hyperbel war indes durchaus gewollt und mit Bedacht gewählt. Gerade überzeichnende Stilmittel dienen oftmals dazu, einen wichtigen Sachverhalt zu verklaren, die Leser zu fesseln, sie zu Nachdenken und Reflexion zu veranlassen. Gegenstücke zur Hyperbel prägen heutzutage doch leider fast alle Kommunikationsebenen und Zusammenhänge: Politische Korrektheit, Duckmäusertum, Verwässerung der Tatsachen, Leisetreterei, Euphemisierung, vorauseilende Selbstzensur oder Diplomatie bis zum Umfallen. Mich persönlich treibt es z.B. regelmäßig zur Weißglut, wenn eine ausgemachte Sauerei nicht als solche, sondern etwa als ?äußerst unschöne Sache? tituliert wird. Einerseits stellt sich ein Unding als solches oftmals erst dann dar, wenn man es rhetorisch überzeichnet, andererseits hat Manès Sperber sinngemäß einmal formuliert: ?Manchmal will mir scheinen, man müßte die Menschen am Kragen packen und sie anbrüllen... leider weiß ich aber auch, daß nicht wenige dann nur noch verständnisloser dreinglotzen als vorher und vielleicht gar noch Angst kriegen...?
Und, bei Lichte betrachtet, läßt sich ja vieles objektivieren, was von Staats wegen an Freiheiten und Rechten so peu à peu zusammengestrichen wird: Vermehrte massive Telephon- und Internetüberwachung, Verhaftung von Journalisten, wie bei ?Cicero? geschehen, faktisches Einsperren der Bewohner in ihre Behausungen, wenn ein amerikanischer Präside vorbeizudefilieren belieben, Kriminalisierung unliebsamer Zeitungen, wie z.B. der ?Jungen Freiheit?, Gebühren für rechtssichere Auskünfte (Ganz so, als sei ich in diesem Staat nicht mehr der Souverän, der Herr im Hause, sondern der Bittsteller), Richter, die immer öfter Urteile aus der leeren Luft heraus fällen, schließlich und endlich all die männerspezifischen Themen, die wir hier diskutieren.
Sicher, echtes Sklaventum zeitigt noch andere Phänomene und Symptome, aber über all die vergangenen Jahrzehnte hinweg betrachtet, hat dieser Staat viele unsere Rechte je und je weiter eingeschränkt. Das Schlimme dran ist, daß die Mehrheit im Lande dies offenbar entweder ohne zu murren zur Kenntnis nimmt und achselzuckend akzeptiert oder eben völlig wegblendet, weil saufen und Party machen wichtiger scheinen. Sklaventum? Untertanenmentalität im Obrigkeitsstaat? Eine Herde Vieh, die zum Fressen auf die Weide getrieben wird, um sie anschließend kräftig abzumelken? Ein reines Zerklauben der Terminologie ändert doch nichts an Tendenzen und Fakten! Revolte? Keine Spur davon... Tendenzen sind also erkennbar, die mittel- bis langfristig den Weg in die Unfreiheit weisen...
Skinner hat vor allem recht, wenn er von den wachen Geistern im Lande lebenslanges Mißtrauen den Mächtigen gegenüber fordert. Eingelullte, friedlich und ruhig konsumierende Massen bilden noch für jeden Polito, egal ob Diktator oder alle vier Jahre mal gewählt, die besten Untertanen. Wie sehr das stimmt, konnte man mitkriegen während der Fußball-WM und den flächendeckenden Rauschzuständen im Lande: Was da in Berlin raschrasch so alles beschlossen wurde... und kaum einer hat?s zur Kenntnis genommen... Der Zustand einer Demokratie ist keinesfalls statisch und ehern; sie muß jeden Tag aufs Neue verteidigt werden!
Sicherlich: Die Demokratie ist wohl die edelste aller denkbaren und souveränen Menschen sich geziemende Staatsformen. Nur: Eine Demokratie kann nur von wahrhaft souveränen Demokraten getragen, bewahrt und vor allem verteidigt werden. Nimmt auf deren Kosten die Anzahl der Flachstirnler und Dummköpfe im Lande - Stichwort Pisa - jedoch zu, dann treffen zwar gedankliches Konzept sowie Staatsform der ?Demokratie? als solche keinerlei Schuld, wohl jedoch die darinnen lebenden Menschen. Demokratie und Freiheit gibt?s nicht zum Nulltarif: Allseitige Freiheit im Wortsinne kann nur gedeihen und fortbestehen, wenn auch jeder einzelne sie verantwortungsvoll ? im Wortsinne! - wahrnimmt: Mit allen Rechten, aber im gleichen Maße auch mit allen Pflichten! Viel zu viele, die von Freiheit schwadronieren, meinen nicht Freiheit, sondern X-Beliebigkeit, Libertinage oder Schrankenlosigkeit... so nach dem Motto, alles ist erlaubt, und nix ist verboten. Und weil genau diese Mischpoke im Lande an Zahl zunimmt, darf man sich getrost auch lautstark Sorgen um die Demokratie generell machen...
Es geht auch nicht darum, irgendwelche Musels böswillig in die Pfanne zu klopfen (obwohl da durchaus auch ein wenig dran ist); es geht zum einen um ein grundlegendes Menschenbild, um unser abendländisches nämlich, und zum anderen darum, was man innerhalb seines persönlichen Radius? daraus macht. Lernt man die deutsche Sprache als Muttersprache, packt sich über Jahre hinweg sorgfältig Bildung in den Kopf, verinnerlicht sich die bei uns geltende Trennung von Staat und Religion, lernt, sich wie ein westlich zivilisierter Mensch zu benehmen, dann kann man es z.B. auch bis zum Sprecher der Tagesthemen bringen. Dies gilt übrigens ausnahmslos auch für alle anderen im Lande: So wenig ich Kurt Beck mag, so recht hatte er doch mit seiner Aufforderung an jenen Arbeitslosen, ?sich zu waschen und zu rasieren?. Der offensichtlich ungut riechende Henrico XY durchschritt doch regelrecht einen metamorphosenähnlichen Prozeß... Auch ich würde niemanden einstellen, der mir daher gekommen wäre, wie Henrico vor seiner Verwandlung...
So... Das wär?s fürs erste...

carlos


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