Wer glaubt noch an den Rechtsstaat und die Gewaltenteilung?
Ich habe gestern einen BGB geschenkt bekommen, Sie wissen schon, diese Beck-Texte im dtv für 5 Euro. Nach der Lektüre der Einleitung bin ich sehr nachdenklich geworden:
Allgemein verbreitet ist die Vorstellung, dass der Gesetzgeber das Gesetz setzt, der Richter hingegen das Gesetz auslegt. Dem ist aber ganz und gar nicht so. Um das zu belegen zitiere ich Prof. Dr. Helmut Köhler aus seiner Einführung zum „Bürgerliches Gesetzbuch“:
"Die Bindung des Richters an das Gesetz besagt nach heutigem Verständnis, daß der Richter seine eigenen rechtspolitischen Vorstellungen nicht an die Stelle der Entscheidung des Gesetzgebers setzen darf. Die unmittelbare Bindung an das Gesetz endet freilich dort, wo das Gesetz keine ausreichende Antwort auf die sich stellende Rechtsfrage gibt, das Gesetz also lückenhaft ist. [...] Insbesondere kann sich mit dem Wandel der Anschauungen auch der Norminhalt wandeln. Der Richter ist unter diesen Umständen befugt, rechtsschöpferisch tätig zu werden, also Rechtsregeln zu entwickeln, die über das geschriebene Gesetz hinausgehen. [...] Bei dieser Tätigkeit ist er freilich immer noch an das ‚Recht‘ gebunden, also an die Gesamtheit der in der Gesellschaft geltenden rechtlichen Wertungen und Prinzipien, insbesondere an die verfassungsmäßige Ordnung. Innerhalb der Zivilgerichte kommt naturgemäß dem obersten Gericht, heute dem Bundesgerichtshof, bei der Rechtsfortbildung die führende Rolle zu, weil es auch seine Aufgabe ist, für die Einheit der Rechtsprechung zu sorgen. [...] Soweit Normen des nationalen Rechts aufgrund von EG-Richtlinien erlassen wurden, sind Zweifelsfragen dem Europäischen Gerichtshof zur verbildlichen Auslegung vorzulegen. Damit soll eine einheitliche Rechtsanwendung innerhalb der Gemeinschaft sichergestellt werden.
Ist der Gesetzgeber mit den Ergebnissen der richterlichen Rechtsfortbildung nicht einverstanden, kann er korrigierend eingreifen. Tatsächlich verhält es sich aber meist so, daß der Gesetzgeber die Rechtsprechung zum Anlaß nimmt, das Richterrecht gesetzlich zu verfestigen und zu vertiefen. [...] Im Allgemeinen ist ein hohes Maß an Akzeptanz der Rechtsprechung in der Gesellschaft zu verzeichnen." [1]
Beim Familienrecht ist zunächst die „Düsseldorfer Tabelle“ zu nennen. Dabei setzen Richter hinter verschlossenen Türen und ohne demokratische Kontrolle die Transferhöhe von Männern zu Frauen fest. Der Einwand, dass Frauen auch Unterhalt an ihre Exmänner zahlen, gilt nicht. Erstens zahlen nur sehr wenige Frauen Unterhalt, zweitens geht die Justiz sehr nachsichtig mit unterhaltspflichtigen Frauen um, wie im Abschnitt Unterhalt gezeigt wird, und drittens ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung geändert wird, sobald eine nennenswerte Zahl von Frauen Unterhalt zahlen müsste.
Das nächste Problem sind die Lücken, die der Gesetzgeber absichtlich offen lässt. Der Unbestimmte Rechtsbegriff „Kindeswohl“ ist wohl der zentrale Begriff im Familienrecht, aber wegen seiner Unbestimmtheit gibt er keine ausreichende Antwort auf die Rechtsfragen im Familienrecht. Damit stellt der Gesetzgeber den Schutz (oder die Zerstörung) der Familien in das Belieben der Richterschaft.
Spannend ist auch der Hinweis, dass ein „Wandel der Anschauungen“ auch den „Norminhalt“ der Gesetze wandeln kann. Die Politik muss nur ein Gender-Ministerium schaffen (dem „Ministerium für alle außer Männer“ wurde Genderismus als „durchgängiges Leitprinzip und Querschnittsaufgabe“ verordnet) und schon ist der Norminhalt von Art. 6 Art. 1 GG „gewandelt“, oder sollte man sagen „abgewickelt“? Der „besondere Schutz der staatlichen Ordnung“ ist damit für Ehe und Familie aufgehoben, ohne dass dies vom Parlament explizit beschlossen und somit für die Bürger dieser Gesellschaft nachvollziehbar wäre. Der Art. 6 Abs. 1 GG ist somit das, was Islamwissenschaftler „abrogiert“ nennen.
In Zusammenhang mit EU-Richtlinien ist an das Subsidiaritätsprinzip zu erinnern, ein Grundprinzip für demokratische Strukturen. Die Familie bestimmt die Lebenswirklichkeit der Menschen am unmittelbarsten, doch wird das, was unter Familien verstanden werden soll, immer weiter vom Bürger entfernt entschieden. Im Abschnitt Genderismus wurde gezeigt, dass diese familienfeindliche Ideologie über UN und EU eingeführt wurde. Das sind Entscheidungsebenen, worauf der einzelne Bürger keinen unmittelbaren Einfluss mehr hat, aber über die Familienpolitik sein privates Lebensumfeld bestimmt. Diese strukturelle Veränderung, dass der Bürger immer weniger Einfluss auf politische Entscheidungen hat, bedeutet einen Verlust von Demokratie und die Tatsache, dass der Bürger immer weniger sein privates Lebensumfeld frei gestalten kann, bedeutet einen Verlust von Freiheit.
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[1] "Bürgerliches Gesetzbuch", 60. Auflage 2007, Beck-Texte im dtv, 3-423-05001-2; Einführung von Prof. Dr. Helmut Köhler; Letzter Abschnitt "Die Fortbildung des Gesetzes"
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Mus Lim,
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Wolfgang A. Gogolin,
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