Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Sind Frauen von Natur aus korrupt?

Arne Hoffmann, Monday, 17.02.2003, 16:54 (vor 7742 Tagen) @ Oberkellner

Als Antwort auf: Re: Sind Frauen von Natur aus korrupt? von Oberkellner am 16. Februar 2003 19:25:14:

Howdy,

Ist das Pease-Buch eigentlich zu empfehlen? Arg frauenkritisch kann es ja eigentlich nicht sein, sonst würde es sich nicht seit Monaten in den oberen Rängen der Bestsellerlisten halten.

Bingo. :-)

Womöglich ist die zitierte Stelle die einzige vernünftige im ganzen Buch, und man ärgert sich nur, wenn man's sich gekauft hat.

Das Buch hat sicherlich unfreiwillig (?) aufschlussreiche Höhepunkte wie diese Stelle: "Es ist toll, eine Frau zu sein, weil man einen Mann in aller Öffentlichkeit ohrfeigen kann, da sowieso jeder davon ausgeht, dass die Frau im Recht ist." Insgesamt habe ich es aber damals in einer Rezension für die INVISIBLE MEN eher kritisch beurteilt:

--- Tatsächlich ist dieses Buch ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite ist es erfreulich, dass es versucht, gegen das Gespenst der politischen bzw. feministischen Korrektheit Stellung zu beziehen. Dass dieser Kampf nicht ganz leicht ist, bekunden die Autoren ja auch selbst: In praktisch jeder auch noch so entlegenen Kultur dieser Erde üben Männer eine bestimmte Form von "Herrschaft" aus, und dennoch wird wie selbstverständlich davon ausgegangen, dass "das Patriarchat" kulturell, statt biologisch bestimmt sei. 98 Prozent aller Piloten sind männlich und trotzdem unterliegt es in deren Berufsvereinigungen einem Schweigetabu, dass Männer vielleicht wirklich andere biologische Grundvoraussetzungen besitzen als Frauen. Noch zur aktuellen Jahrtausendwende steht für 80 Prozent aller Männer die Arbeit und für 80 Prozent aller Frauen die Familie an erster Stelle. Und doch gilt es als ausgemacht, dass Frauen nur deshalb nicht im selben Maße wie Männer in gesellschaftlichen Führungspositionen anzutreffen sind, weil sie diskriminiert und von männlichen Seilschaften am Aufstieg gehindert werden. Hier wäre in der öffentlichen Diskussion etwas mehr Realitätsnähe statt Ideologie eine gute Sache.

Problematisch ist, dass dieses Buch vollständig ins andere Extrem umschlägt. Es begnügt sich nicht damit zu widerlegen, dass allein kulturell bestimmte Ursachen für die Unterschiedlichkeit der Geschlechter wenig wahrscheinlich sind, sondern nimmt die absurde Gegenposition ein, dass das gesamte menschliche Verhalten ausschließlich durch die Hormonchemie bestimmt werde und sich der heutige Mensch vom Neandertaler quasi in nichts unterscheide. Dabei zeigt sich: Wenn man als Werkzeug nichts anderes als einen Hammer hat, erscheint einem alles, was man findet, wie ein Nagel. Ähnlich bemüht wirken zahlreiche Schlußfolgerungen der Autoren, die zudem in der Regel drei gemeinsame, eng miteinander verbundene Fehler aufweisen: Erstens werden sehr oft Dinge einfach nur behauptet und nicht belegt. An die Stelle von Belegen treten oft von dem Autorenpaar erfundene Geschichten und Anekdoten. Zweitens erspart man sich vor allem bei solchen Behauptungen die Belege, die ohnehin als Geschlechterklischees in unseren Köpfen verankert sind. Und drittens ist es schon putzig, wenn sich die Autoren sehr bemüht dagegen wehren, als frauenfeindlich wahrgenommen zu werden, während ihr Text an zahlreichen Stellen von einer geradezu ätzenden Männerfeindlichkeit durchtränkt ist.

Ein typisches Beispiel ist ein Szenario, das auf Seite 74 geschildert wird: Wenn eine Frau sich vor Schmerzen krümme, vierzig Grad Fieber und trotz Bettdecke Schüttelfrost habe, denke sich ihr männlicher Partner nichts anderes als "Wenn sie sowieso gerade im Bett ist, schläft sie vielleicht mit mir". Auf welcher Grundlage diese ominöse "Erkenntnis" durch Forschungen entstanden sein soll, wird (natürlich) nicht berichtet. An einer anderen Stelle heißt es, wenn 90 Prozent aller Gefängnisinsassen männlich seien, liege das daran, dass Männer handeln würden ohne zu denken. Abgesehen davon, dass jeder Krimonologe bei dieser plumpen These die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würde, fehlt auch hier (natürlich) jeder Beleg. Bezeichnend für das ganze Buch ist ein kurzer Absatz auf Seite 340, in dem sich sehr geballt die Worte "wahrscheinlich", "vermutlich", "bestimmt" und zweimal "sicher" finden, wobei diese Sicherheit in Wahrheit rein spekulativ ist. In Anbetracht des Umstandes, dass die Autoren ständig die wissenschaftliche Unerschütterlichkeit ihrer Thesen betonen, wären Fakten statt Mutmaßungen ein feiner Zug gewesen.

"Unsere Gesellschaft verherrlicht in der Regel in Filmen, Büchern und in der Werbung all das, was Frauen anmacht, und verdammt das, was Männer anmacht, als pornographisch und ordinär." Das ist eine zutreffende Beobachtung, nur leider fallen die Autoren selbst auf diesen Mechanismus hinein. Dem von ihnen gezeichneten Bild zufolge ist ein Mann ständig geil, intellektuell minderwertig, gewaltbereit und untreu. "Männer geben ihrem Penis einen Namen, weil sie nicht wollen, dass ein völlig Fremder 99 Prozent der Entscheidungen für sie trifft." lautet eines der Bonmots in diesem Buch, und eine kleine Scherzfrage geht so: "Woran erkennt man, dass ein Mann bereit ist, Sex zu haben? Er atmet."

Um nur einmal ein paar Thesen aus diesem Buch zusammenzustellen (wobei ich mir eine Widerlegung spare, da ich diese schon ausführlich in "Sind Frauen bessere Menschen?" vornehme):

"Die meisten Männer können besser sehen als denken."
"Männer haben einen weitaus stärkeren Sexualtrieb als Frauen und können praktisch immer und überall."
"An einem guten Tag kann ein Mann fünfmal nacheinander mit einer Frau schlafen."
"Männer sind ständig auf der Suche nach neuen Frauen, während Frauen außerordentlich treu sind."
"Praktisch alle sexuellen Normabweichungen treten nur bei Männern auf."
"Wenn Männer unter Druck stehen, fallen sie in andere Länder ein; Frauen hingegen fallen in Einkaufszentren ein."
"Ihr hoher Testosteronhaushalt macht aus Männern wandelnde Zeitbomben."
"Während Jungen verbale oder körperliche Gewalt anwenden, versuchen Mädchen, den Konflikten aus dem Weg zu gehen oder sie zu entschärfen."
undsoweiter.

Allan und Barbara Pease sind ausgebildete Kommunikationswissenschaftler und keine Anthropologen oder Geschlechterforscher. Auf der Amazon-Website zu diesem Buch weisen verschiedene Leser, die von Biologie augenscheinlich sehr wohl Ahnung haben, nach, was die Autoren alles falsch verstanden oder unter den Tisch haben fallen lassen. In diesem Zusammenhang ist es hochinteressant, wie stark das Bedürfnis zu sein scheint, Vorurteile über die Geschlechter pseudowissenschaftlich zu "belegen" - und wie groß das Interesse der Leserschaft ist, ihre Vorurteile auf diese fragwürdige Weise bestätigt zu bekommen. ---

Herzlicher Gruß

Arne


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