Olle Kamellen?
Oswald Spengler: Die Unfruchtbarkeit des zivilisierten Menschen
Die große Wendung tritt ein, sobald es im alltäglichen Denken einer
hochkultivierten Bevölkerung für das Vorhandensein von Kindern "Gründe"
gibt. Die Natur kennt keine Gründe. Überall, wo es wirkliches Leben gibt,
herrscht eine innere organische Logik, ein "es", ein Trieb, die vom
Wachsein und dessen kausalen Verkettungen durchaus unabhängig sind und von
ihm gar nicht bemerkt werden. Der Geburtenreichtum ursprünglicher
Bevölkerungen ist eine Naturerscheinung, über deren Vorhandensein niemand
nachdenkt, geschweige denn über ihren Nutzen oder Schaden.Wo Gründe für Lebensfragen überhaupt ins Bewußtsein treten, da ist das
Leben schon fragwürdig geworden. Da beginnt eine weise Beschränkung der
Geburtenzahl - die bereits Polybios als das Verhängnis von Griechenland
beklagt, die aber schon lange vor ihm in den großen Städten üblich war und
in römischer Zeit einen erschreckenden Umfang angenommen hat - die zuerst
mit der materiellen Not und sehr bald überhaupt nicht mehr begründet wird.
Da beginnt denn auch, und zwar im buddhistischen Indien so gut wie in
Babylon, in Rom wie in den Städten der Gegenwart, die Wahl der
"Lebensgefährtin" - der Bauer und jeder ursprüngliche Mensch wählt die
Mutter seiner Kinder - ein geistiges Problem zu werden.Die Ibsenehe, die "höhere geistige Gemeinschaft" erscheint, in welcher
beide Teile "frei" sind, frei nämlich als Intelligenzen, und zwar vom
pflanzenhaften Drange des Blutes, das sich fortpflanzen will; und Shaw darf
den Satz aussprechen, "daß die Frau sich nicht emanzipieren kann, wenn sie
nicht ihre Weiblichkeit, ihre Pflicht gegen ihren Mann, gegen ihre Kinder,
gegen die Gesellschaft, gegen das Gesetz und gegen jeden, außer gegen sich
selbst, von sich wirft" .Das Urweib, das Bauernweib ist Mutter. Seine ganze von Kindheit an
ersehnte Bestimmung liegt in diesem Worte beschlossen. Jetzt aber taucht
das Ibsenweib auf, die Kameradin, die Heldin einer ganzen weltstädtischen
Literatur vom nordischen Drama bis zum Pariser Roman. Statt der Kinder
haben sie seelische Konflikte, die Ehe ist eine kunstgewerbliche Aufgabe
und es kommt darauf an, "sich gegenseitig zu verstehen". Es ist ganz
gleichgültig, ob eine amerikanische Dame für ihre Kinder keinen
zureichenden Grund findet, weil sie keine season versäumen will, eine
Pariserin, weil sie fürchtet, daß ihr Liebhaber davongeht, oder eine
Ibsenheldin, weil sie "sich selbst gehört". Sie gehören alle sich selbst
und sie sind alle unfruchtbar.Dieselbe Tatsache in Verbindung mit denselben "Gründen" findet sich in der
alexandrinischen und römischen und selbstverständlich in jeder anderen
zivilisierten Gesellschaft, vor allem auch in der, in welcher Buddha
herangewachsen ist, und es gibt überall, im Hellenismus und im 19.
Jahrhundert so gut wie zur Zeit des Laotse und der Tscharvakalehre eine
Ethik für kinderarme Intelligenzen und eine Literatur über die inneren
Konflikte von Nora und Nana. Kinderreichtum, dessen ehrwürdiges Bild Goethe
im Werther noch zeichnen konnte, wird etwas Provinziales. Der kinderreiche
Vater ist in Großstädten eine Karikatur - Ibsen hat sie nicht vergessen;
sie steht in seiner "Komödie der Liebe".Auf dieser Stufe beginnt in allen Zivilisationen das mehrhundertjährige
Stadium einer entsetzlichen Entvölkerung. Die ganze Pyramide des
kulturfähigen Menschentums verschwindet. Sie wird von der Spitze herab
abgebaut, zuerst die Weltstädte, dann die Provinzstädte, endlich das Land,
das durch die über alles Maß anwachsende Landflucht seiner besten
Bevölkerung eine Zeitlang das Leerwerden der Städte verzögert. Nur das
primitive Blut bleibt zuletzt übrig, aber seiner starken und zukunftreichen
Elemente beraubt. Es entsteht der Typus des Fellachen.Wenn irgend etwas, so beweist der allbekannte "Untergang der Antike", der
sich lange vor dem Einbruch der germanischen Wandervölker vollendete, daß
Kausalität mit Geschichte nichts zu tun hat. Das Imperium genießt den
vollkommensten Frieden; es ist reich, es ist hochgebildet; es ist gut
organisiert; es besaß von Nerva bis Marc Aurel eine Herrscherreihe, wie sie
der Cäsarismus keiner zweiten Zivilisation aufzuweisen hat. Und trotzdem
schwindet die Bevölkerung rasch und in Masse hin, trotz der verzweifelten
Ehe- und Kindergesetzgebung des Augustus, dessen lex de maritandis
ordinibus auf die römische Gesellschaft bestürzender wirkte als die
Niederlage des Varus, trotz der massenhaften Adoptionen, der
ununterbrochenen Ansiedlung von Soldaten barbarischer Herkunft, um Menschen
in die verödende Landschaft zu bringen, trotz der ungeheuren
Alimentationsstiftungen des Nerva und Trajan, um die Kinder unbemittelter
Eltern aufzuziehen.Italien, dann Nordafrika und Gallien, endlich Spanien, das unter den
ersten Kaisern am dichtesten von allen Teilen des Reichs bevölkert war,
sind menschenleer und verödet. Das berühmte und bezeichnenderweise in der
modernen Volkswirtschaft immer wiederholte Wort des Plinius: latifundia
perdidere Italiam, iam vero et provincias, verwechselt Anfang und Ende des
Prozesses: der Großgrundbesitz hätte nie diese Ausdehnung gewonnen, wenn
das Bauerntum nicht vorher von den Städten aufgesogen worden wäre und das
Land zum mindesten innerlich bereits preisgegeben hätte. Das Edikt des
Pertinax von 193 enthüllt endlich den erschreckenden Stand der Dinge: In
Italien und den Provinzen wird jedem gestattet, verödetes Land in Besitz zu
nehmen. Wenn er es bebaut, soll er Eigentumsrecht darüber erhalten. Die
Geschichtsforscher brauchten sich den übrigen Zivilisationen nur ernsthaft
zuzuwenden, um die gleiche Erscheinung überall festzustellen ...Oswald Spengler, Der Untergang des Abendlandes, München 1917
... könntest du das hier einstellen? Wenn nicht, tät ich gerne verlinken, wenn das für dich o.k. ist...
Jägerin der verlorenen Schriften - Hemsut
gesamter Thread:
- Olle Kamellen? -
B.,
13.01.2009, 18:23
- Olle Kamellen? -
Hemsut,
13.01.2009, 18:31
- Olle Kamellen? -
B.,
13.01.2009, 18:50
- Olle Kamellen? -
Hemsut,
13.01.2009, 20:59
- Ja natürlich, gerne! -
B.,
14.01.2009, 18:39
- Ja natürlich, gerne! -
Hemsut,
14.01.2009, 18:48
- Ja natürlich, gerne! -
Forenbetrachter,
14.01.2009, 19:01
- Ja natürlich, gerne! - Hemsut, 14.01.2009, 19:11
- falsch (oT) - Zeitgenosse, 14.01.2009, 22:17
- Ja natürlich, gerne! -
Forenbetrachter,
14.01.2009, 19:01
- Ja natürlich, gerne! -
Hemsut,
14.01.2009, 18:48
- Ja natürlich, gerne! -
B.,
14.01.2009, 18:39
- Olle Kamellen? -
Hemsut,
13.01.2009, 20:59
- Olle Kamellen? -
B.,
13.01.2009, 18:50
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Borat Sagdijev,
13.01.2009, 21:10
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 01:01
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Student(t),
14.01.2009, 02:41
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung - Zeitgenosse, 14.01.2009, 08:11
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Borat Sagdijev,
14.01.2009, 14:42
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 16:03
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung - Borat Sagdijev, 15.01.2009, 17:30
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 16:03
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Student(t),
14.01.2009, 02:41
- Kausalität ist eine menschliche Erfindung -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 01:01
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Student(t),
13.01.2009, 22:05
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 01:02
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Chato,
14.01.2009, 02:58
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 08:12
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Student(t),
14.01.2009, 13:29
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Chato,
14.01.2009, 15:32
- Glaube "furchtbar einfach" ? - Max, 14.01.2009, 19:40
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Student(t),
14.01.2009, 20:52
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Narrowitsch,
15.01.2009, 01:04
- Glaube "furchtbar einfach" ? - Gott, 15.01.2009, 01:08
- Glaube "furchtbar einfach" ? - Chato, 15.01.2009, 12:01
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Narrowitsch,
15.01.2009, 01:04
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Chato,
14.01.2009, 15:32
- Glaube "furchtbar einfach" ? -
Student(t),
14.01.2009, 13:29
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 08:12
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Chato,
14.01.2009, 02:58
- Olle Kamellen? Nein, immer wieder aktuell! -
Zeitgenosse,
14.01.2009, 01:02
- Das Buch - B., 13.01.2009, 23:36
- Olle Kamellen? -
Hemsut,
13.01.2009, 18:31