Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Viel Verständnis für häusliche Gewalttäter(innen)

Christine ⌂, Saturday, 25.10.2008, 13:41 (vor 6268 Tagen) @ Student(t)

Hier nun der Beitrag von Franklin:

Mit zweierlei Maß gemessen

Wer die Berichterstattung der Medien über häusliche Gewalt intensiv verfolgt, stolperte neulich über einen Artikel, der sich auf der Internetseite des "Stader Tageblatts" fand.
Er verdammt die Menschen, die Gewalt im familiären Rahmen ausüben, nicht etwa. Nein, er bringt ihnen sogar enorm viel Verständnis entgegen. Der Verfasser versucht nachzuvollziehen, warum manchen Menschen in gewissen Situationen die Hand ausrutscht und sie Familienmitglieder schlagen.

Das ist eher ungewöhnlich, wo es für die Übeltäter bei häuslicher Gewalt doch normalerweise "kein Pardon" gibt und ihnen umgehend die "rote Karte" gezeigt wird, auch wenn gar nicht fest steht, ob sie sich überhaupt schuldig gemacht haben.

Des Rätsels Lösung: dieser Artikel im "Stader Tageblatt" befasst sich mit der Gewalt gegen Ältere und Pflegebedürftige. Diese Personen werden vor allem von Frauen betreut, so dass es diese sind, die in der Mehrzahl der Fälle Gewalt gegen Ältere ausüben: Nach US-amerikanischen Studien (Eastman 1985; U. Schneider 1990, beide zitiert nach Gemünden 1996) "sind die Täter überwiegend Frauen, meist die Töchter oder die Schwiegertöchter"; auch in den Pflegeeinrichtungen arbeiten überwiegend Frauen. Aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung sind die Opfer zu 80 Prozent ebenfalls Frauen.

Sensibler Umgang mit den Täterinnen

Das dürfte erklären, warum das "Tageblatt" derart zartfühlend mit den potenziellen Täterinnen umgeht. Das beginnt bereits in der Überschrift: "Sensibel: Gewalt in der Pflege". Wenn es hingegen um die angeblich allgegenwärtige Gewalt der bösen Männer gegen Frauen und Kinder geht, ist noch kaum jemand "sensibel" an dieses Thema herangegangen. Im Gegenteil: Da wird gemeinhin die dickste Keule ausgepackt, und man ist sich nicht vor den gröbsten Verallgemeinerungen über "brutale Männer" und ihre verwerfliche Neigung zur Gewalt zu schade.

Welch ein Unterschied zu unserem Journalisten aus Stade, der das Thema derart "sensibel" angeht, dass er nicht einmal die Haupt-Tätergruppe beim Namen nennen mag: "Im familiären Bereich wird Gewalt gegen alte Menschen in erster Linie durch jene ausgeübt, die als nahe stehende Familienmitglieder kontinuierliche Hilfe und Pflege leisten. Ausübende und Betroffene sind eng miteinander verbunden. Aggressionen können entstehen und zu verbalen, psychischen oder körperlichen Gewalttätigkeiten führen."

Ausübende und Betroffene sind also eng miteinander verbunden. Es können Aggressionen entstehen, logisch. Nun, das kann immer und überall passieren, wenn Familienmitglieder aufeinander hocken. Nur: Warum lesen wir Sätze wie diese bloß nie, wenn versucht wird, Gewalt von Männern gegen andere Familienmitglieder zu erklären oder nachzuvollziehen (sofern man sich überhaupt die Mühe macht, dies zu tun)? Weil außer männlicher Gewaltneigung, Alkoholkonsum und übersteigertem Kontrollbedürfnis keine anderen Erklärungsansätze zum Tragen kommen (dürfen)?

Kaum jemand stellt sich bei Männergewalt jemals die Frage, ob nicht auch Überforderung, schwierige soziale Verhältnisse oder familiäre Belastungen die Ausübung von Gewalt gefördert haben könnten. Von einer irgendwie gearteten Mitverantwortung des weiblichen Opfers, und sei sie auch noch so gering, ganz zu schweigen!

Täterinnen oder überforderte Opfer der Umstände?

Wie anders sieht die Angelegenheit aus, wenn man "sensibel" an die Ursachenforschung herangeht. Flugs verwandeln sich die Menschen, die Gewalt ausüben, in bedauernswerte Opfer der Umstände: "Zu knapp bemessene Zeit, schlechte Bezahlung und eine oft unzureichende Ausbildung können die an sich schon schwere und belastende Arbeit der Pflege verschärfen und zu Überforderung und Gewalt führen."

Die Ärmsten. Wer wird da nicht Verständnis dafür haben, dass ihnen gelegentlich die Hand ausrutscht vor lauter Stress? Wer will sie da noch wirklich zur Verantwortung ziehen, die unzureichend ausgebildeten, überlasteten und dazu noch schlecht bezahlten Pflegekräfte?

Es zeigt sich hier wieder einmal: Sobald es brenzlig wird und die Gefahr besteht, Frauen könnten für irgendetwas zur Verantwortung gezogen werden, naht stets die Rettung in Form übergeordneter Umstände, auswegloser Notsituationen und schwer beeinflussbarer Sachzwänge, die die Ärmsten geradewegs in die Fänge des Bösen treiben.

Irgendwann, nach einer Reihe vertrackter logischer Winkelzüge, liegt der Schwarze Peter zum Schluss dann doch wieder beim Mann oder beim "Patriarchat". Warum auch werden Altenpflegerinnen nur so schlecht bezahlt und ausgebildet? Ist es nicht diese Ausbeutung der Arbeitskräfte in einem dieser typischen, unterbewerteten Frauenberufe, die entscheidend mit beiträgt zum verständlichen Frust der Pflegerinnen? Jenen Frust, der ihre Gewalt gegenüber den Pflegebedürftigen wiederum fast schon nachvollziehbar macht?

Womit am Ende dann doch wieder eines fest steht: Im Zweifelsfall sind irgendwie immer die Männer schuld.

Link: www.tageblatt.de/db/main.cfm

Bei MANNdat hier zu finden: http://manndat.abplesk01.de/index.php?id=537

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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein


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