Die Bedeutung der Väter
Der abwesende oder domestizierte Vater
Zwei Essays sind herauszuheben, die Entwicklungen auch der Bundesrepublik provokant zuspitzen. Der eine behandelt das Verschwinden des Vaters beziehungsweise der Vater-Imago in den europäischen Gesellschaften; der andere nimmt die in der Politik noch immer gängige "Rhetorik des Allgemeinmenschlichen" freundlich auf die Schippe und versucht begriffsgeschichtlich zu klären, was Humanismus war und wieder sein könnte.
Unter Vater-"Imago" verstanden Freud und später C. G. Jung (die Geschichte ist kompliziert) die plastische "innere Vorstellung", eine Art Urbild, das in einer Gesellschaft vom Vater besteht. Der Konflikt zwischen (omnipotentem) Vater und revoltierenden Söhnen war ja von Freud zur Urszene von Kultur überhaupt stilisiert worden. Diese nun freilich nicht mehr mörderische, aber immer noch spannungsgeladene Auseinandersetzung zwischen Vater und Sohn findet in einer vaterlosen Gesellschaft nicht mehr statt - und damit begibt sich die nachwachsende Generation natürlich auch der Möglichkeit, in der Auseinandersetzung mit dem Älteren selbst Kontur (und eine Instanz wie das Gewissen!) zu gewinnen. Die ersatzweise gewählte Orientierung an Medien wie MTV und Viva, an Turnschuh-Marken, an Computerspielen oder den Sprachmarotten und Kleidermoden der Gleichaltrigen scheint jedenfalls nicht weit zu führen.
Liessmanns Diagnose ist vernichtend: Der Vater als Außeninstanz, als Repräsentant von Gott, Geld, Gesetz, von Arbeit, Religion, Recht und vielleicht auch Tradition existiert nicht mehr. Der bemühte progressive Vater, der sich von der Frau domestizieren lässt und als treusorgender Softie mütterliche Aufgaben übernimmt, genießt wenig Achtung bei den Kindern und verfehlt die Kompetenzen, die er als soziale Figur einst hatte. Er repräsentiert nicht mehr die Realität, die Außenwelt, die Sphäre, in der Geld verdient wird und andere, nicht ganz so freundliche Regeln gelten wie daheim bei Muttern. Stattdessen sehen wir beruflich stehen gebliebene Väter, die ihre Kinder nach dem Funktionieren des neuesten Computerprogramms fragen müssen.
Da sich gleichzeitig auch die Rolle der früher für Intimität und Nähe zuständigen, heute berufstätigen Mutter zunehmend verflüchtigt, bleibt ein großes Vakuum. Der Wunsch der Kinder nach einer starken Person äußert sich immer indirekt. Liessmann spürt ihn noch in Kafkas anklagendem Brief an den Vater auf, der verdeckt ja einen Wunsch nach Aufgehobensein ausspricht; und er entdeckt ihn in eher skurrilen Vater-Imagines wie den Herren Mao oder Ho Chi Minh, den Idolen der Studentenbewegung.
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Barbarus hic ergo sum, quia non intellegor ulli.
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