Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Stark durch Schwäche.

Chato, Saturday, 01.12.2007, 02:41 (vor 6595 Tagen) @ Nikos

Lieber Nikolaos der Fünfte,

das ist in meinen Augen eine ziemlich christliche Sicht. Der Mensch als Geschöpf Gottes "wird" und ist also nicht fertig, denn die ganze Schöpfung ist (für uns!) "nur" ein großes Werden. Für Gott ist sie fertig, klar, weil er ja nicht der Zeit unterliegt, aber für uns ist sie eben (glücklicherweise) nicht fertig, sondern Hoffnung, Zukunft, noch unfertig eben.

Das Unfertigsein des Menschen ist die logische Voraussetzung für jegliche menschliche Freiheit. Wären wir nämlich fertig, dann wären wir einfach das, was wir sind, basta aus, und nichts weiter sonst - und damit logischerweise vollkommen unfrei im Hinblick auf das, was wir sind. Das Unfertigsein bedeutet aber auch, daß wir voller Mängel sind. Und die spüren wir an uns und an all den anderen Menschen, was großes Leid erzeugt.

Durch unser prinzipielles Unterworfensein unter die Zeit als Erfahrungsmodus der Wirklichkeit sind wir sterblich, aber frei. Wenn wir aber sterblich sind, dann wären wir eigentlich ebenfalls unfrei (begrenzt nämlich in der Zeit, also mit Anfang und eben auch einem Ende), sofern das tatsächlich alles wäre. Wenn menschliche Freiheit sich überhaupt verwirklichen kann, dann nur deshalb, weil wir 1. sterblich sind und 2. nicht sterben müssen. Dieses verrückte Paradox ist nach unserem christlichen Glauben durch Jesus Christus aufgehoben worden. Der Buddha hat nur das endgültige Erlöschen anstreben können, nicht ewiges Sein. Das ist weniger, nicht mehr als ewiges Sein! Du weißt, ich war lange Jahre Buddhist, ich weiß genau, von was ich hier rede, auch wenn es hier nicht im Einzelnen dargelegt werden kann. Wie auch immer: So ist auf jeden Fall meine Entscheidung!

Die menschliche Schwäche anzuerkennen, ist für einen Menschen schlicht und einfach ehrlich, und natürlich ist Ehrlichkeit eine unverzichtbare Voraussetzung, um ewiges Leben zu erlangen. Lügner müssen unbedingt sterben, weil Lüge nicht ewig bestehen kann und darf. Aber das Anerkennen meiner Grenzen bedeutet doch nicht, daß ich ewig in diesen Grenzen bleiben möchte! Im Gegenteil! Nur, ich selbst kann eben nicht raus aus ihnen, bloß weil ich das möchte. Was tust du in 2000 Jahren? Weißt du es schon? Ich auch nicht. :-)

Ein Mensch, der meint, er sei "fertig", ist im selben Moment ein sehr, sehr schwacher Mensch und bleibt das auch für immer, wenn er diesen Irrtum nicht rechtzeitig einsieht. Ein Mensch, der meint, er sei stark, meint aber auch, daß er fertig sei. Und darin irrt er sich eben total. Deshalb können wir nur demütig sein, denn wir sind Geschöpfe und haben uns nicht selbst gemacht. Wir müssen sorgfältig und sehr viel lernen, sonst verplempern wir unsere knappe Zeit, und was wir zu lernen haben und was nicht, das sagt eben der, der lehrt: der Lehrer also, der, der uns "hergestellt" hat, damit wir was von ihm lernen. Nur so herum hat die Sache natürlich überhaupt einen Sinn!

Umgekehrt lügt ein Mensch, der meint, er sei schwach, der aber trotzdem "fertig" sein möchte, seine tatsächliche Schwäche in Stärke um, verstrickt sich dadurch immer mehr in diese seine Lüge und geht am Ende an ihr zugrunde. Das ist genau das, wovon Nietzsche redet. Mit dem christlichen Glauben hat es aber absolut nichts zu tun. Der christliche Glaube ist das Stärkste auf der Welt, was es überhaupt gibt, weil er etwas vollkommen Heroisches tut, was er aus dem, worin er sich befindet (der Zeit nämlich), eigentlich überhaupt nicht zu tun in der Lage wäre.

Niemand gibt sein Leben her für eine Zukunft, die gar nicht seine eigene ist - außer er ist völlig verrückt. Wer sein Leben hergibt für andere, der tut es deshalb, weil er weiß, daß dieses Leben vorläufig ist und in etwas ruht, das nicht der Zeit unterliegt. Nur dieser gelassene Heroismus erlaubt es überhaupt einem Menschen, bewußt und entschieden in eine Dunkelheit hineinzuspringen, in der er absolut nichts erkennen kann. Wer keinen Glauben hat, der kann das nicht - muß es aber irgendwann natürlich trotzdem tun, weil wir ja in der Zeit sind und deshalb ein jeder von uns einmal sterben muß. Deshalb ist dies DIE entscheidende Frage der menschlichen Existenz. Jesus Christus hat sie endgültig beantwortet am Kreuz. Seitdem ist die Sache restlos klar, jedenfalls für einen Christen, der kein Feigling, sondern tatsächlich ein solcher ist.

Der Papst hat heute übrigens zufälligerweise genau darüber etwas in seiner zweiten Enzyklika veröffentlicht. Ein sehr schwieriger, sehr theologischer Text, in dem es aber unter anderem genau darum geht.

Gruß vom
Nick dem Neunten *g*

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Wenn wir Toren wüßten, daß wir welche sind, wären wir keine.


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