Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Halb so wild...

Ralf, NRW, Thursday, 30.08.2007, 02:46 (vor 6687 Tagen) @ Gastleser

http://www.zeit.de/2007/35/Aufsteiger?page=all

Der Artikel ist durchaus nett geschrieben und nett zu lesen. Guckt man genauer hin, erscheint er mir allerdings etwas aufgebauscht, zumindest in dem Sinne, dass der Artikel versucht, den Eindruck zu erwecken, dass es sich bei dieser "Abgrenzung des Bürgertums" um eine neue und ständig stärker werdende Entwicklung handeln würde.

Das scheint mir nämlich allenfalls sehr begrenzt der Fall zu sein - es ist im wesentlichen eine ganz normale und schon immer dagewesene Situation. Die Zahlen, mit denen der Artikel das ganze "untermauert", sagen bei genauerem Hinsehen meist nicht viel aus.

Zur Heirat:

Hätte die Apothekerin vor 40 Jahren anders gehandelt? Halte ich für unwahrscheinlich. Dass der Anteil der Männer, die "nach unten" heiraten, stark zurückgegangen ist, ergibt sich durch die starke Zunahme des Anteils gut gebildeter Frauen eigentlich automatisch. Was die "soziale Durchlässigkeit" (hier: Aufstiegsmöglichkeiten durch Heirat) angeht, ändert sich für Männer dadurch übrigens gar nichts. Das einzige, was ich dabei im Prinzip gelten lassen kann, ist der Satz: "Je mehr Ärztinnen, Juristinnen, Managerinnen sich jedoch mit Ärzten, Juristen und Managern zusammenfinden, desto mehr wächst die Zahl der gut bezahlten Doppelverdiener am oberen Ende der Gesellschaft"; wobei es aber auch bei Ärzten, Juristen und Managern keineswegs nur Doppelverdiener gibt.

Zu den Wohngegenden:

Uralter Hut. Nimmt man als typisches Beispiel (zumindest für Westdeutschland) etwa die Hochhaussiedlungen am Stadtrand, wird man etwa feststellen, dass die fast alle in den späten 50ern bis frühen 70ern entstanden sind, und spätestens irgendwann in den 80ern ihren Ruf als "Problemviertel" erworben hatten. Also absolut nix Neues.

Zum Markenkult:

Wäre mir ganz neu, dass der in der Unterschicht schwächer ausgeprägt wäre! Und "neu" oder "zunehmend"? Nach meiner Erinnerung stammt zumindest der Markenkult unter Jugendlichen ebenfalls aus den 80ern.

Ob das Beispiel mit der Schokolade jetzt so der Bringer ist? Billige und teure Schokolade hat es schon immer gegeben. Mag sein, dass sich der Trend zum Luxus bei Schokolade verschärft hat, keine Ahnung; abstrahiert vom konkreten Schokoladenbeispiel erinnert mich das ganze aber an die Zeit, als "Yuppie" ein brandaktuelles Modewort war - also auch wieder die (späten) 80er, alles andere als "neu".

Fazit: Der Artikel ist in meinen Augen keineswegs falsch, aber die meisten der dort beschriebenen Sachen galten auch schon vor 20 (oder auch vor 100) Jahren. Mag sein, dass sie kurz nach dem 2. Weltkrieg mal etwas an Bedeutung verloren hatten (die "Stunde Null" war das sicher auch nicht, aber vielleicht die "Stunde nullkommafünf" oder so :-)), weil zum Besipiel viele Erbschaften vernichtet waren (der Punkt ist in dem Artikel gar nicht erwähnt, obwohl er mMn auf jeden Fall dazu gehört) und viele Lebensläufe durcheinander geraten waren, in langen Friedenszeiten erscheint mir das aber völlig normal.

Gruß Ralf

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*** Ich bin doch nicht genderblödgestreamt! ***


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