Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Kränze, Abtreibung & Ehesakrament (lang)

Garfield, Friday, 17.08.2007, 13:42 (vor 6699 Tagen) @ Hummer

Das hat verschiedene Gründe. Es ging in dem Text ja nicht nur um Abtreibungen, sondern auch um Schwangerschaftsverhütung. Die war in früheren Zeiten zumindest schwieriger, für viele Menschen sogar unmöglich. Kondome gibt es zwar schon länger, aber erstens waren sie weniger sicher und zweitens wohl auch unangenehmer in der Anwendung, bevor man bessere Materialien wie z.B. Latex erfand. Außerdem waren Kondome für viele Menschen in früheren Zeiten einfach nicht bezahlbar.

Die einzige sichere und für jedermann erschwingliche Form der Schwangerschaftsverhütung war somit Verzicht auf Geschlechtsverkehr, was den meisten Menschen aber auch damals schon schwer fiel.

Aber es gab bis in das 19., für nicht wenige Menschen sogar bis in das 20. Jahrhundert hinein noch einen Grund, wieso Schwangerschaftsverhütung und Abtreibung für sie kein wichtiges Thema war:

Man lebte und arbeitete damals vielfach in Familienverbänden. Und viele Arbeitsabläufe waren wenig technisiert, weshalb man viele Arbeitskräfte benötigte. Das war vor allem auf dem Land der Fall. Dort wurde jede Hand gebraucht, und so akzeptierte man dort oft auch uneheliche Kinder. Alte Menschen wurden nicht etwa vom Hof gejagt, nein - sie erledigten dann eben leichtere Arbeiten oder paßten auf die kleinen Kinder auf. Somit waren Kinder obendrein noch eine gute Altersvorsorge.

Es war also gar kein Problem, wenn ein Kind nach dem anderen geboren wurde. Kinder kosteten damals nicht viel, sie arbeiteten schon früh mit und trugen so zum Lebensunterhalt der Familien bei, und es starben auch mehr Kinder als heute durch Krankheiten. Wenn man zuviele Kinder hatte, konnte man sie sogar z.B. an Handwerker oder Bauern als Arbeitskräfte verkaufen.

Als sich der Kapitalismus herausbildete, änderte sich das schnell. Das begann zunächst in den Städten. Während man vorher innerhalb der Familien oft zusammen gearbeitet hatte und sich allein daraus schon die Notwendigkeit des Zusammenhaltens ergab, lief es nun immer öfter so, daß man nur noch zusammen wohnte, aber nicht mehr zusammen arbeitete. Vor allem junge und leistungsfähige Menschen fragten sich nun natürlich immer öfter, wieso sie mit ihrem mageren Lohn eigentlich noch Eltern, Großeltern und Geschwister miternähren sollten. Es kam auch immer öfter vor, daß Menschen für die Arbeit in einer Fabrik weit entfernt von ihren Familien wohnten. Größere Entfernungen waren ja früher auch nicht so schnell zu überbrücken wie heute. Das führte zur Auflösung der Familienstrukturen, und das wiederum brachte verschiedene Probleme mit sich. Eines dieser Probleme bestand darin, daß Kinder nun immer öfter nur noch Ballast waren. Bald gab es auch noch Schulpflicht, was den Eltern nun zusätzlich zu den Kosten für Kleidung und Nahrung auch noch die Kosten für Unterrichtsmittel aufdrückte. Obendrein fielen die Kinder als Arbeitskräfte aus, wenn sie in der Schule waren. Und wo man Kinder weder als willkommene Arbeitskräfte noch als Altersvorsorge gebrauchen konnte, waren auch die Männer weitaus weniger bereit, Frauen mit unehelichen Kindern als Partnerinnen zu akzeptieren.

So wurden Schwangerschaftsverhütung und auch Abtreibung überhaupt erst wichtige Themen. Während der Kaiserzeit hielt man noch einigermaßen den Deckel darüber. Abtreibung war sowieso verboten, Verhütungsmittel wurden von der Kirche auch kritisiert - damit wollte ein anständiger Bürger nichts zu tun haben.

Als der Kaiser dann weg und die Republik ausgerufen war, sahen viele Menschen die Chance zu weiteren Veränderungen. Nun kam alles ans Tageslicht, was schon im Kaiserreich vor sich hin gegärt hatte. Jetzt wurde die Ehe in Frage gestellt, manche Leute forderten eine Art Ehe auf Zeit; und jetzt begann man eben auch, Abtreibung und Schwangerschaftsverhütung offen zu diskutieren.

Freundliche Grüße
von Garfield


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