Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Mona Lisa2

Maesi, Wednesday, 11.04.2007, 01:42 (vor 6827 Tagen) @ Odin

Hallo Odin

Es ging ursprünglich um Multikulti... schade, daß du das vergessen hast.

Ich hab's nicht vergessen. Du hast behauptet, dass Feministen von Multikulti nicht begeistert seien. Ich habe daraufhin zwei Passagen aus Pamphleten der Feministischen Partei DIE FRAUEN gepostet, aus denen implizit hervorgeht, dass sie selbst anderer Meinung dazu sind. Wer sich zu einem 'gleichwertigen Mit- und Nebeneinander aller menschlichen Lebensweisen' bekennt, der kann IMHO nicht gegen Multikulti sein - zumindest in der Theorie nicht. Natuerlich koennte man noch weiter hinterfragen, was die von mir zitierten Feministen unter Multikulti ueberhaupt verstehen. Das aber haette den Rahmen dieses Freds bei weitem gesprengt. Wer deren Parteiprogramm komplett durchliest, wird jedoch diese Frage weitgehend beantwortet bekommen.

Den obigen Text kann ich unterschreiben - außer der Passage mit der
Verschleierung. Warum dieses hervorheben? Könnte man genauso die
Beschneidung von Männern hervorheben oder den Wehrdienst. Auch hier
mangelt es an Gleichwertigkeit

Was die Gleichwertigkeit angeht, hat diese natuerlich auch irgendwie mit der von weiten (vorab linken) Kreisen proklamierten Auspraegung von Multikulti zu tun. Ohne Gleichwertigkeitsaxiom auf der kulturellen Ebene gibt es schlichtweg dieses Multikulti nicht. Die inflationaere Verwendung des Begriffs ist fester Bestandteil linksmaterialistischer Rhetorik und springt einem auch beim Parteiprogramm der Feministischen Partei DIE FRAUEN sofort ins Auge, was uebrigens deren ideologische Verwandtschaft zu den Linken ganz klar dokumentiert. Da aber (nicht nur) die Feministen sich jeglicher weitergehenden Bewertung von Lebensweisen, Ethnien, Religionen etc. aus gutem Grund verweigern, haengt dieses Gleichwertigkeitsaxiom im luftleeren Raum. Man behauptet Gleichwertigkeit, ohne sie in der Praxis durch konkrete Bewertungen herzuleiten, was aus logischer Sicht voelliger Humbug ist.

Die Gleichwertigkeit aller Menschen als solches ist ein voellig abstrakter Begriff, aus dem dann die Menschenrechte abgeleitet werden. Diese Gleichwertigkeit ist nur gegeben, wenn man den Menschen auf sein Menschsein als solches reduziert - dort, und nur dort ist die Gleichwertigkeit gegeben. Die Beschraenkung auf genau diesen engen Kontext war den zahlreichen Vaetern der Menschenrechte voellig klar; sie hatten sich ja philosophisch auch recht intensiv damit auseinandergesetzt, was ich bei den meisten modern daherschwafelnden Leuten schon mal heftig bezweifle.

Das konkrete Individuum besteht aber nicht bloss aus dem Menschsein sondern auch aus weitergehenden Faehigkeiten, aus Charakterzuegen, aus seinen spezifischen Emotionen usw., all das, was es von anderen Individuen mehr oder weniger stark unterscheidet und es zu eben jenem einzigartigen menschlichen Individuum macht, das es ist. In der Realitaet werden wir die menschlichen Individuen trotz der abstrakten Gleichwertigkeit in ihrem Menschsein als ungleichwertig einstufen: jeder von uns mag gewisse Menschen, andere nicht und die ueberwaeltigende Zahl der Menschen ist uns gleichgueltig, weil wir sie nicht kennen. Wir nehmen also unwillkuerlich eine Einschaetzung jedes Individuums, dem wir begegnen, vor. So gesehen halten wir alle in unserer privaten Einschaetzung die menschlichen Individuen ganz eindeutig NICHT fuer 'gleichwertig', egal was wir auf der rein abstrakten Ebene des Menschseins auch immer proklamieren moegen.

Es geht den Feministen sowie den Multikulti-Anhaengern jedoch um mehr, naemlich nicht bloss um die Gleichwertigkeit der Menschen an sich sondern auch ihrer Lebensweisen. Damit aber wird man bei nahezu allen Menschen auf Widerspruch stossen; die meisten werden die eigene Lebensweise und normalerweise auch die Kultur, die ihnen vertraut ist und in der sie leben, gegenueber anderen Lebensweisen bzw. Kulturen bevorzugen, sie also als hoeherwertig einstufen. Eine objektive Bewertung verschiedener Lebensweisen oder meinetwegen Kulturen ist in der Praxis ganz einfach unsinnig, womit auch deren Gleichwertigkeit unsinnig ist.

Mir ging es also einfach darum, dass die dogmatische Proklamation von Gleichwertigkeit in allen moeglichen und unmoeglichen Bereichen eine sehr gefaehrliche Angelegenheit ist. Sie impliziert und erzwingt eine Bewertung von Menschen, deren Lebensweisen, deren Geschlechts, deren ethnischer, religioeser und kultureller Zugehoerigkeit. Was wir im privaten Bereich natuerlich alle tun, wird damit neu auf eine politische Ebene gestellt. Das kann gar nicht gut gehen, weil die an sich private Bewertung anderer Individuen durch jeden von uns gar nicht politisch aushandelbar ist. Eine solche weitgehende Gleichwertigkeit politisch zu proklamieren ist somit unsinnig und kann gar nicht anders als zu Konflikten fuehren, wenn Menschen die politisch verordnete Gleichwertigkeit (aus welchen Gruenden auch immer) nicht teilen.

So bleibt das Gleichwertigkeitsgeschwurbel nicht bloss der hier aufgefuehrten Feministen weitestgehend inhaltsleer, da kaum jemand danach handelt, oder aber es geraet sogar zur Gesinnungsdiktatur, in der die private Gesinnung jedes einzelnen auf Kompatibilitaet zur oeffentlich installierten Kollektivgesinnung geprueft wird. Egalitaerer, unhinterfragter Zwangskollektivismus eben, der auch nicht besser wird, wenn man ihn mit salbungsvollen Phrasen unterlegt. Der 68er-Spruch 'das Private ist politisch' zeigt sich auch hier wieder in seiner ganzen fatalen Konsequenz...

Fazit: Die Frage ist nicht, ob Menschen aller Rassen und Geschlechter gleichwertig sind oder nicht, sondern ob diese Frage auf ueberindividueller Ebene ueberhaupt Sinn ergibt. Sinn (im gesamtgesellschaftlichen Kontext) ergibt sie nur auf der strikt reduzierten Ebene des Menschseins; versucht man sie auf weitere Eigenschaften der Menschen (Zugehoerigkeit zu Ethnien, Religionen, Kulturen, Sprachfamilien, Berufen oder gar auf individuelle Faehigkeiten und Eigenschaften) auszudehnen, wird sie sinnlos, da ein direkter Vergleich gar nicht mehr moeglich ist und sich infolgedessen auch jegliche Bewertung eruebrigt - ohne Moeglichkeit zu einer Bewertung allerdings kann es prinzipiell weder Gleichwertigkeit noch Ungleichwertigkeit geben.

Gruss

Maesi


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