Szenen aus dem Plenarprotokoll zum Weltfrauentag
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin Humme, ich erlaube mir eine Anmerkung, gleichzeitig als Anregung für die Debatte. Wenn es uns gelänge, den Begriff Gender-Mainstreaming durch einen Begriff zu ersetzen, der auch der deutschsprachigen Minderheit im Lande sofort verständlich wäre,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
sodass die bei Nennung des Stichworts eine Vorstellung davon hätte, worum es eigentlich geht, könnten wir für den Internationalen Frauentag 2007 einen ersten konkreten nachweisbaren Fortschritt melden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das Wort hat nun die Kollegin Ina Lenke für die FDP-Fraktion
(Beifall bei der FDP)
Ina Lenke (FDP):
Herr Präsident, ich würde gern aufklärerisch tätig werden. Wir haben hier im Bundestag in den letzten 50 Jahren Frauenförderung betrieben. Wir haben Frauen in allen Lebenslagen gefördert. Was mit dem Begriff Gender-Mainstreaming gemeint ist, ist etwas ganz anderes und viel Besseres; das betrifft nämlich auch die Männer.
(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist nur noch nicht beim Präsidenten angekommen!)
Wir wollen auch die Männerdiskriminierung abschaffen.
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Auch im öffentlichen Dienst, der aufgrund der Arbeitsplatzsicherheit eigentlich beste Rahmenbedingungen für die Karriere von Frauen bereithält - der Erste Erfahrungsbericht der Bundesregierung zum Bundesgleichstellungsgesetz, der heute mitberaten wird, liegt endlich vor -, sind die Ergebnisse bescheiden: In den Dienststellen der Bundesverwaltung liegt der Frauenanteil bei 45 Prozent. Bei der Teilzeit liegt der Frauenanteil - Frau Humme, Sie haben das gelesen - bei 91 Prozent. Sogar im öffentlichen Dienst ist das Einkommen von Frauen um 20 Prozent niedriger als das der Männer. Mit der im Gesetz verankerten Quotenregelung ist natürlich auch kein Staat zu machen. Wir müssen lesen:
Die einzelfallbezogene Quote hat bisher keine signifikante praktische Bedeutung erlangt.
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Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend:
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Es kann nicht so bleiben, dass Frauen zwar bis zum 30. Lebensjahr im gleichen Maße wie Männer in Führungspositionen sind, danach aber erbarmungslos an die gläserne Decke stoßen. Das Verhältnis verschiebt sich dann so, dass mehr als drei Viertel aller Führungspositionen von Männern besetzt sind. Dies kann nicht so bleiben. Wir brauchen diese talentierten Frauen ebenso wie die talentierten Männer, und zwar mit gleichen Chancen auf dem Arbeitsmarkt.
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Karin Binder (DIE LINKE):
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Im Jahr 2004 bezogen Männer in Deutschland im Durchschnitt eine Versichertenrente in Höhe von 1 000 Euro. Ihre Kolleginnen dagegen erhielten gerade einmal im Schnitt zwischen 382 und 712 Euro. Die Bandbreite der Zahlen entsteht durch die Unterschiede zwischen Arbeiterinnen und Angestellten wie auch durch das Ost-West-Gefälle. Mehr Informationen können Sie ebenfalls dem Bericht des Statistischen Bundesamtes entnehmen.
[...]
Es mag zynisch erscheinen, aber der Niedriglohnsektor ist eine Frauendomäne.
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Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zum Schluss dieses Tagesordnungspunktes - -
(Widerspruch)
- Entschuldigung!
(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident, so kurz geht die Debatte nicht!)
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob in den Reaktionen die Empörung oder die Erleichterung überwiegt;
(Heiterkeit im ganzen Hause)
aber ich will Ihnen doch wenigstens zur Rechtfertigung des Missverständnisses
(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Vorsicht!)
die Rednerliste zeigen.
(Heiterkeit im ganzen Hause)
Ich merke mir jedenfalls für die Zukunft, durch welche Art von irreführenden Hinweisen Bewegung in die Debatten zu bringen ist.
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Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
[...]
Nehmen wir das Beispiel Privatwirtschaft. In Ihrem Antrag steht, dass Sie die Wirtschaft zu Aktivitäten ermuntern wollen. Was heißt das eigentlich? Ist das eine brillante Formulierung dafür, dass Sie weiterhin nichts tun wollen und trotzdem hoffen, dass sich in der Privatwirtschaft endlich etwas bewegt? Ich finde, das ist nicht nur frauen-, sondern auch wirtschaftsfeindlich; denn die Männerdominanz in der Wirtschaft hat sich in Deutschland wahrlich als Innovationshemmnis erwiesen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Schauen wir uns den Bericht zum Bundesgleichstellungsgesetz an; er zeigt in die richtige Richtung. Der steigende Anteil von Frauen auch in höheren Positionen ist Ergebnis des Gesetzes. Genau so könnte es sich mit gesetzlichen Regelungen in der Privatwirtschaft entwickeln. Damit könnte Deutschland endlich den Anschluss an die Volkswirtschaften erreichen, die durch eine höhere Frauenerwerbstätigkeit deutlich innovativer sind als andere.
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Elke Ferner (SPD):
Christa Müller hat zu Beginn dieser Woche auch gesagt: Feministinnen fordern nur Sachen, die ihnen gefallen. - Ich muss sagen, diese Frau hat entweder die Frauenbewegung der 70er-, 80er- und 90er-Jahre nicht wahrgenommen oder versucht wieder, eine dicke Schlagzeile zu ergattern. Die Frauenbewegung in Deutschland wollte nie einen bloßen Rollentausch, eine Diskriminierung mit umgekehrten Vorzeichen, nie. Wir haben immer gesagt, wir wollen, dass Frauen das bekommen, was ihnen zusteht - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die Hälfte der Führungspositionen in Staat, Wissenschaft und Wirtschaft, die Hälfte der Verantwortung für die Familie, die Hälfte der Kindererziehung, die Hälfte der Hausarbeit und die Hälfte des Ehrenamtes werden die Frauen freiwillig und mit Vergnügen den Männern überlassen; sie wollen nur endlich die Hälfte bekommen, die sie bisher nicht haben.
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Christel Riemann-Hanewinckel (SPD):
[...]
Am vergangenen Sonntag und Montag, wenn ich mich recht erinnere, wurde der Film "Die Flucht" gesendet. Vielleicht haben manche von Ihnen diesen Film gesehen. Darüber will ich aber gar nicht reden. Nach dem zweiten Teil gab es eine Dokumentation. In dieser Dokumentation wurde ein ehemaliger russischer Offizier gefragt, warum sich die russischen Soldaten so verhalten hätten, zum Beispiel Frauen vergewaltigt hätten, ob es Rache war oder was auch immer sonst. Der ehemalige russische Offizier sagte, an einer Vergewaltigung sterbe man nicht, und außerdem müsse man verstehen, dass Männer nach wochenlangen Kämpfen ein physiologisches Bedürfnis hätten. Das sagt ein ehemaliger Offizier 62 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. In diesen 62 Jahren haben wir weltweit über viele Krisenherde und Kriege reden müssen und wieder und wieder über die ungeheuere Gewalt, die Frauen allein dadurch angetan wird, dass systematische Vergewaltigungen als Mittel der Kriegsführung eingesetzt werden.
Frauen sind weder Objekte noch Beute noch sind sie weniger Menschen als Männer. Menschenrechte sind unteilbar.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie gelten für Männer und Frauen, für Mädchen und Jungen. Das scheint aber noch lange nicht Allgemeingut zu sein; deshalb ist die Geschlechterperspektive notwendig und richtig, und zwar nicht nur in Krisengebieten, sondern zu allen Zeiten und an allen Orten.
Wir haben in Deutschland - dazu haben wir hier verschiedentlich schon Ausführungen gehört - einen "Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen" verabschiedet. Dieser Aktionsplan ist bis 2005 umgesetzt worden. Ein wichtiger Punkt, um Verhaltensweisen zu ändern, ist danach vor allen Dingen, dass die Gewalt, die Frauen angetan wird, enttabuisiert wird, dass endlich darüber geredet wird und dass diese Delikte offiziell werden. Ein weiterer wichtiger Punkt war und ist die Benennung des Unrechtes. Wir wissen inzwischen, dass nur durch Veränderung von Strukturen - dazu gehört die Strafbarkeit der Gewalt - Veränderungen im Sinne der Frauen möglich sind.
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7. Familienbericht http://dip.bundestag.de/btd/16/013/1601360.pdf
Seite 234, Familienarbeit: - Väter 70 Std. - Mütter 46 Std.
Siehe auch: http://www.wgvdl.com/forum/index.php?id=12360
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein
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- BPA: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit -
Christine,
09.03.2007, 05:12
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09.03.2007, 06:49
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Maxl,
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