Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Wie Alice Schwarzer Frauen und Männer miteinander versöhnen will

Joachim, Tuesday, 03.12.2002, 22:13 (vor 8411 Tagen)

Frieden seiner Masche: Wie Alice Schwarzer Frauen und Männer miteinander versöhnen will

Die Ikone der Emanzipation wird 60 Jahre alt - Sie ist zwar noch nicht am Ziel, aber weiser geworden

Alice Schwarzer ist in ihrem Leben vielen Männern begegnet. Die meisten hatten sehr muskulöse Oberarme - vom Zurückrudern in der Diskussion mit ihr über die wohl älteste aller menschlichen Beziehungen, die zwischen Männern und Frauen. Im Auf und Ab dieses zeitlosen, zeitgemäßen Streits ist die Dame ein verdammt junger Hüpfer. Heute wird sie 60 Jahre alt.

VON CLAUDIA LEPPING

Alice Schwarzer - ist sie die bekannteste Frau Deutschlands? Zumindest ist das nicht auszuschließen. Denn wohl keine andere ist so unerbittlich, wenn es darum geht, gegen jede mögliche und pauschale Benachteiligung des weiblichen Geschlechts aufzubegehren: Weil nicht bleiben darf, was sich einfach ergeben hat, weil es eben nicht vom Himmel gefallen und deshalb zu ändern ist. Aber was ist dieses "es"? Sind Frauen und Männer nun partout über einen Kamm zu scheren? Müssen alle alle gleich behandeln, und muss jeder jedes erreichen? Nein, wehrt Alice Schwarzer ab, so ja nun auch nicht. Mit diesen Forderungen würde sie ohnehin nur jene Männer (und Frauen?) bestärken, die sie Männerschreck oder frustrierte Tucke titulieren oder noch deutlich unter die Dekolletélinie gehen.

Alice Schwarzer kämpft mit Vorschlaghammer und Florett - je nachdem, wen sie vor sich hat und wie wichtig ihr der Streit ist. Wer aber glaubt, sie würde dabei das Maß ihrer Kampfeslust dosieren, liegt falsch. Verbissen hat sie sich in nahezu alle, auch vermeintlich unwichtigen Themen. Es geht ihr um das große Ganze - aber eben auch mal leise statt laut. Mal ausgesprochen, mal geschrieben. Die Frau des Worts, eine Macht für sich: Denn Alice Schwarzer ist "Emma". 1977 rief sie dieses Kind, ihr Kind, ins Leben - das weltweit einzige unabhängige Frauenmagazin. Die Themen: Kindesmissbrauch, Gewalt in der Ehe, Diätenwahn, Pornografie, Abtreibung, Erniedrigung im Beruf, ungleicher Lohn für gleiche Jobs, Vereinbarkeit von Familie und Beruf. 1971 hatte sie eine "Stern"-Nummer arrangiert, in der sich 374 Frauen mit Namen und Foto bekannten, abgetrieben zu haben. Die Diskussion über den Abtreibungsparagrafen, über den Weg aus der Illegalität, begann. Punktsiege für Alice Schwarzer.

Darüber hinaus schrieb sie Bücher. Das Neuste ("Alice im Männerland. Eine Zwischenbilanz") ist gerade frisch auf dem Markt erschienen und steht in der Reihe ihrer gebundenen Beipackzettel zum Frauen-alltag: "Der kleine Unterschied und seine großen Folgen" und "Eine tödliche Liebe".

Schiere Sachlichkeit bleibt gelegentlich auf der Strecke. "Emma" und Alice kämpfen schließlich auch um Marktanteile, um Auflage und darum, jüngere Frauen in der Flut von konkurrierenden Medien- und Freizeitangeboten für ihre Sache zu gewinnen. Da gehört Klappern zum Geschäft, um die junge Generation zu begeistern: So nannte Alice Schwarzer die an sich recht hübschen Frauen-Akte des renommierten US-Fotografen Helmut Newton "sexistisch und pornografisch". Und das Flaggschiff der feministischen Gegenbewegung muss für vergleichenden Spott herhalten: Verona Feldbusch. "Sehr hübsch, reichlich kess und ein wenig dumm - na und?" - gegen "sehr intelligent, reichlich unnachgiebig und ein wenig zu verkniffen - jawohl!" Die Welt also sollte Verona Feldbusch mit Alice Schwarzers Augen sehen - und in dem Glamourgirl eine mit Silikon prall gespritzte, seelenlose Barbie erkennen. Ist das euer Vorbild?, wetterte die Vorkämpferin: Wollt ihr das? Und nicht wenige Männer riefen lässig: Ja! Feldbusch nahm den "Zickenkrieg" an. Aber warum hatte Alice Schwarzer ihn nötig?

Ist es mangelnde Dankbarkeit der jungen Generation? Die einfach nicht wertschätzt, mit welcher Vehemenz die 60-Jährige um die Emanzipation ihrer selbst und anderer Benachteiligter kämpft? Die einfach von Errungenschaften profitiert? Ja, vieles ist selbstverständlich geworden, endlich. Aber jede Errungenschaft ist gefährdet, wenn sie nicht klug verteidigt wird, sagt Alice Schwarzer: Also tut etwas! Wie es also um die Frauenbewegung bestellt ist? Sie war mal in, sie war mal out, Alice Schwarzer aber war immer da. Letztlich aber muss die Wegbereiterin dieses großen Experiments eingestehen, dass Gleichberechtigung bis heute nur funktioniert, wenn Männer sie einer Frau zugestehen - wenn Männer nachgeben.

Frieden seiner Masche also? Alice Schwarzer ziert sich erst gar nicht mit der Bescheidenheit des Siegers. Sie hat noch nicht gewonnen, drum lässt sie nicht locker. Ihr Handlungsspielraum, sagt sie, ist immer so groß wie ihre Fantasie. Und sie fantasiert gerne. Darüber, dass Frauen zeigen können, was sie draufhaben. Da bricht dann auch der Charme dieser Frau durch, den sie allzu oft hinterm Schutzschild versteckt. Apropos: Neulich in einer Talk-Show ging es um Verletzbarkeit. Ja, räumte sie ein, sie ist verwundbar, habe aber auch viele Verletzungen überstanden und eben daraus Kraft geschöpft. Das fing schon damals an, als ein Mann sie während eines Urlaubs bedrängte und sie vergewaltigen wollte. Nur weil sie auf ihn einredete und für kurze Zeit ablenkte, konnte sie ihm barfuß über die spitzen Steine der Felsküste entkommen. Noch lange hatte sie Angst vor ihrer körperlichen Schwäche.

Stark ist sie erst geworden. Und sie lobt die Männer. Immer. Häufiger. Vor allem die Jüngeren hätten ungemein viel zum Positiven verändert. "Jeder Dritte ist für die Emanzipation der Frauen. Und nur noch jeder andere Dritte dagegen. Die sollten wir aussterben lassen." Ach, Alice.

Aktualisiert: 03.12.2002, 06:06 Uhr

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