Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Artikel in der "taz" - Anmerkungen

Collantix, Friday, 21.02.2003, 21:29 (vor 7738 Tagen) @ Oberkellner

Als Antwort auf: Artikel in der "taz" - hört sich trotzdem vernünftig an von Oberkellner am 21. Februar 2003 12:49:00:

Hallo zusammen,

Will Geschlechterpolitik nicht stereotypen Vorstellungen oder Wunschbildern von Geschlechtern aufsitzen, muss sie sich diesen empirisch nachgewiesenen Ambivalenzen und Widersprüchen stellen. Ihr Ziel muss sein, im Sinne des Gender-Mainstreaming-Prinzips in allen gesellschaftlichen Bereichen herkömmliche und einengende Geschlechterbilder in Frage zu stellen. Das beginnt schon in der vorschulischen Erziehung. Jungen und Mädchen brauchen hier auch männliche Vorbilder, die ihnen zeigen: Auch Männer haben Fürsorgekompetenz.
Hier kann ich aus eigener Erfahrung sprechen. Als ich vor 9 Monaten anfing, wieder im Kindergarten zu arbeiten, stieß ich zunächst auf Distanz bis Ablehnung. Diese Vorbehalte (die im übrigen auch von Vätern kamen) hatten sich bis auf wenige Ausnahmen im Laufe der Zeit gelegt. Lediglich eine Mutter sprach mir jegliche Fürsorge-Kompetenz ab und suggerierte ihrer Tochter, daß man vor mir Angst haben müsse. Dies war aber ein Einzelfall.
Schwieriger wird es schon, wenn man dann als Mann nicht unbedingt dem allgemeinen Klischee entspricht. Ich kreuzte einmal im Rock Kindergarten auf. Am nächsten Tag hatte ich die Elternbeiratsvorsitzende bei mir im Büro sitzen, weil sich drei Eltern bei ihr massivst über mein Outfit beschwerten.
Letztlich muß ich aber, nachdem ich mittlerweile wieder 3 Monate aus dem Kindergarten weg bin, konstatieren, daß auf der einen Seite beklagt wird, daß zu wenige Männer in diesem bereich arbeiten, andererseits nichts aber auch gar nichts unternommen wird, Männer in diesen Bereich zu holen. Das hat unter anderem damit zu tun,daß man als Mann schneller die Aufmerksamkeit der Kinder auf sich zieht, was einigen Kolleginnen unangenehm aufstößt.
Außerdem hat man als Mann den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs schneller an der Backe als eine Frau. Selbst wenn sich dieser Vorwurf als falsch herausstellt, bleibt dennoch etwas hängen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Erzieher eines Montessori-Kindergartens im Münsterland, der letztlich freigesprochen wurde, sich aber trotzdem einen anderen Beruf suchen durfte.

Daßich im Kindergarten wieder aufgehört habe, hat aber andere Gründe, auf die ich hier nicht eingehen will.

Ergänzend dazu muss endlich ein Förderprogramm für Männer in so genannten Frauenberufen her. Damit würde die Förderung von Frauen in so genannten Männerberufen ergänzt.
Ich stehe solchen Förderprogrammen kritisch gegenüber. Dieses Problem muß anders angegangen werden.Ich kenne genug Männer, die über Umwege in diesen Bereich gefunden haben haben. Das Interesse der Männer, in solchen Berufsfeldern zu arbeiten, ist da! Man muß es nur wahrnehmen und in Schule, Elternhaus, etc. aufgreifen und unterstützen! Dann erübrigt sich jedes, teure Förderungsprogramm (Geld, das an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden kann)! Ich hätte den Beruf des Erziehers nicht ergriffen, wenn meine Mutter mich darin nicht in meinem Tun unterstützt hätte! Das gilt m.E. für Töchter, die in sog. Männerbrufen lernen wollen genauso.
Desweiteren mache ich zur Zeit die Erfahrung, wie angenehm es ist, in einem gemischten Team zu arbeiten. Wir sind ein Team von 10 Leuten in einer Wohngruppe für mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche. Dieses Team setzt sich zu 40% aus Männern zusammen, was in der Einrichtung , in der ich arbeite, und auch in diesem Berufsfeld, absolut selten ist. Sowohl die Kolleginnen als auch die Kollegen äußern sich sehr positiv darüber, wie bereichernd es sei, in einem gemischten Team zu arbeiten. Auch Kolleginnen und Kolegen aus anderen Gruppen und den Therapieabteilung des Hauses kommen gerne zu uns...

Männern, die Erziehungszeit in Anspruch nehmen wollen, könnte auf betrieblicher Ebene mit einem verpflichtenden Papa-Monat der Rücken gegenüber ihren Chefs gestärkt werden.
Es gibt auch genug Studien, die belegen, wie nervlich stabil Frauen und Männer nach der Erziehungszeit sind und somit als Gewinn fürs Unternehmen zu betrachten sind.

Auf die geschlechterpolitische Tagesordnung gehört endlich auch wieder das Thema Arbeitszeitverkürzung - nachdem schon die Chance für eine Debatte der Vorschläge der Hartz-Kommission verpasst wurde. Bereits ein Sechstel der bundesdeutschen Frauen wünschen sich ein Teilzeit-Teilzeit-Modell mit ihrem Partner. Und die niederländische Teilzeitkultur hat dazu geführt, dass sich auch Männer ein Leben jenseits eines Vollzeitjobs vorstellen können.
Daß ich in Vollzeitstellung arbeite, hat schlicht und ergreifend mit der finanziellen Notwendigkeit zu tun...

Diese Ansätze werden aber nur dann Erfolg haben, wenn sie den Alltag der Geschlechterverhältnisse einbeziehen. Geschlechterpolitik kann nur als kritischer Geschlechterdialog angelegt werden. Das heißt: Die Geschlechterpolitik eines Gleichstellungsministeriums müsste gemeinsame Lernprozesse bei Männern und Frauen anstoßen und nicht auf ein Geschlecht fixiert bleiben. Denn diese alte Konfrontationslinie basiert selbst auf Stereotypen.
...und verkörpert letztlich nix anders als eine starre Ideologie! Aber wenn man den Menschen natürlich suggeriert, daß ein Geschlecht schützenswerter ist als das andere, glauben es die Leute auch irgendwann. Das untermauert man doch, indem man die Kommunikationsmodelle von Frauen und Männern gegenüberstellt und dann zum Ergebnis kommt, daß die beiden Geschlechter nicht zusammenpassen.
Logisch, wenn ich jemanden nicht verstehen will, werde ich ihn auch nicht verstehen...

Eine "Ombudsstelle für Chancengleichheit" möchte die Frauenministerin nun einrichten. (...) - allerdings nur, wenn sie paritätisch besetzt wird: mit einer Frau und einem Mann. In einem kritischen Geschlechterdialog müssen beide ihre gegenseitigen widersprüchlichen Erwartungshaltungen reflektieren. Ohne einen solchen kritischen Geschlechterdialog wird Geschlechterdemokratie nicht zu realisieren sein.
Richtig, sonst kann man die wunderbaren Sonntagsreden lediglich als Klopapier benutzen.

Gruß

Collantix


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