Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Was die Grüninnen so beantragen

Bill, Thursday, 22.01.2009, 21:53 (vor 5582 Tagen)

Gleichstellung und Genderkompetenz als Erfolgsfaktor für mehr Qualität und Innovation

der Abgeordneten Krista Sager, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Ekin Deligöz, Katrin Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Grietje Staffelt und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

http://anonym.to/?http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/16/087/1608753.pdf

Zitate:

Verzerrungseffekte in der Wahrnehmung, so genannter Genderbias, beeinträchtigen systematisch den vorurteilsfreien Blick auf Wissenschaftlerinnen und ihre Leistungen und behindern so den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess.

Als Folge hat sich auf breiter Front eine weit verbreitete Gleichstellungsrhetorik durchgesetzt. Inzwischen gibt es kaum mehr eine Einrichtung, in der nicht Chancengleichheit zum Leitwert des institutionellen Selbstverständnisses avanciert wäre.

Diese führen dazu, dass Wissenschaftlerinnen, weiterhin an einer bestimmten Stelle das Wissenschaftssystem verlassen (leaky pipeline). Nach heutigem Wissensstand liegen die Ursachen der Unterrepräsentanz von Frauen primär innerhalb der Wissenschaftsstrukturen. Die Barrieren, die zum Ausschluss von Frauen aus der Wissenschaft führen, variieren dabei von Fach zu Fach. Maßnahmen der individuellen Karriereförderung von Frauen sind sicher immer noch unverzichtbar und ein wichtiges gleichstellungspolitisches Element. Sie reichen aber bei weitem nicht aus, um strukturell verankerte Ausschlussmechanismen in den einzelnen Wissenschaftseinrichtungen und im Wissenschaftssystem als Ganzes zu beseitigen. Formen individueller Karriereförderung müssen daher um verbindliche gleichstel- lungspolitische Zielvorgaben und Maßnahmen gegen strukturell verankerte Diskriminierungen ergänzt werden.

Coaching- und Mentoringprogramme, Karriereberatungen und Trainings, Stipendien und Qualifikationsstellen stellen auch in Zukunft wichtige Instrumente dar, Frauen auf dem Weg durch die Institution Wissenschaft zu unterstützen. Sie haben nicht zu dem von einigen befürchteten Stigmatisierungseffekten für die geförderten Frauen geführt, sondern überhaupt erst zu mehr Sichtbarkeit von Wissenschaftlerinnen im System beigetragen. Um nachhaltige Veränderungen der Strukturen schnell und im notwendigen Maße zu bewirken, müssen Politik und Leitungen der wissenschaftlichen Einrichtungen darüber hinaus aber vor allem klare und laufend überprüfbare Vorgaben und Anforderungen zur Steigerung der Frauenanteile in der Wissenschaft durchsetzen.


Die Erfahrungen in Schweden machen vor, wie über staatlich vorgegebenen Zielquoten und deren fortwährende Kontrolle der Frauenanteil in der Wissenschaft signifikant und schnell gesteigert werden kann. Ein solches Steuerungsmodell, bestehend aus Zielvorgaben und Erfolgskontrolle, sollte auch bei uns endlich zur Anwendung kommen. Grundsätzlich geht es darum, Gleichstellungsziele spürbar an finanzielle Ressourcen zu knüpfen, indem man positive Anreizmechanismen schafft, die negative Konsequenzen nicht aus- schließen für den Fall, dass vereinbarte Ziele nicht erreicht wurden. Jene Institutionen, die Ziele verfehlen, müssen über das Controlling dazu angehalten werden, ihre Misserfolge zu rechtfertigen und ihre Gleichstellungsinstrumente ergebnisorientiert anzupassen. Der gesamte Ansatz zielt darauf ab, hochschulische und außerhochschulische Einrichtungen mit positiven Gleichstellungserfolgen über finanzielle Anreize, Wettbewerbsvorteile und über das Leistungsranking Imagegewinne zu ermöglichen.

In einer männerbündischen „Kultur der kleinen Königreiche“ fördern zumeist männliche Wissenschaftler männliche Nachwuchskandidaten, die ihnen aufgrund ihrer Ähnlichkeit zur eigenen Wissenschaftsbiografie und dem eigenen inhaltlichen und methodischen Profil als am besten geeignet erscheinen. Diese am Prinzip der Ähnlichkeit orientierte Leistungsbewertung führt zum Ausschluss vieler Frauen aus der Wissenschaft. Sie wirkt sich auch negativ auf die Qualität und die Innovationsfähigkeit des Wissenschaftssystems aus, weil sich der pool of talents, aus dem die Wissenschaft schöpft, unnötig verkleinert.

Diese männliche Monokultur setzt sich in den Inhalten der Wissenschaft fort. Denn oft geht die Voreingenommenheit gegenüber Personen Hand in Hand mit einer Skepsis gegenüber innovativen Forschungsinhalten, wie sie z. B. auch die Gender- Forschung darstellt. Wo es um Machterhalt, Ressourcen- und Stellenerhalt geht, regiert nicht die reine Orientierung hin auf wissenschaftliche Qualität.
Allzu stark orientiert sich die Wissenschaft hierzulande noch an disziplinären Grenzen und traditionellen „Schulen“ mit starken informellen Förderbeziehungen zwischen „Lehrer“ und „Schüler“. Dies trübt den Blick für interdisziplinäre Methoden und fachübergreifende thematische Neuerungen, die erfahrungsgemäß besonders hohes Potenzial für innovative Ansätze haben. Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftler mit interdisziplinärem Profil haben das Nachsehen.

Ebenso wichtig ist es, in den Wissenschaftsorganisationen und Hochschulen Maßnahmen zur Sicherung einer vorurteilsfreien und innovationsorientierten Bewertung von Forschungsvorhaben zu implementieren. Eine Voraussetzung dafür bilden z. B. gezielte Gender-Trainings und Peer-Qualifizierungen. Systematisches Wissen um Gender ist aber nicht nur als zukunftsweisende Kompetenz bei der Bewertung wissenschaftlicher Leistungen zentral. Es muss auch grundsätzlich noch viel stärker strukturell in Forschung und Lehre verankert werden. Hierzulande werden Gender- Themen allzu schnell als Sonderinteressen disqualifiziert. Diese Ignoranz steht im Widerspruch dazu, dass auf internationaler Ebene genderbezogene Forschung als Querschnittsbereich sämtlicher Disziplinen einen sehr viel höheren Akzeptanzgrad erreicht hat. Dort gilt längst die Einsicht, dass jegliches wissenschaftliches Problem potenziell auch mit Blick auf seine Bedeutung für genderrelevante Fragestellungen analysiert werden kann und sollte.

II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
in Zusammenarbeit mit den Ländern darauf hinzuwirken, dass

Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen zu messbaren und realistischen Steigerungsquoten des Frauenanteils verpflichtet werden, die gewährleisten, dass innerhalb eines angemessenen Zeitraums ein Anteil von mindestens 40 Prozent jedes Geschlechts auf allen Ebenen und in allen Fachbereichen erreicht wird. Außerdem werden sie verbindlich verpflichtet, überprüfbare qualitative Gleichstellungsziele umzusetzen. Letzteres umfasst Aspekte wie Ausstattungsmerkmale von Stellen, Sicherungsverfahren vorurteilsfreier Leistungsbewertung, Transparenzkriterien, flexible Regelungen zur Arbeitszeit etc. Überall dort, wo der Bund als Geldgeber bzw. als Mitglied in Aufsichtsräten oder Kuratorien Einfluss auf wissenschaftliche Einrichtungen und Forschungsvorhaben hat, muss er dafür sorgen, dass solche überprüfbaren qualitativen und quantitativen Vorgaben und Steigerungsquoten implementiert, durchgesetzt und kontrolliert werden;

Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen qualitative wie quantitative Gleichstellungskriterien und Kennzahlen zum verbindlichen Gegenstand von Ziel- und Leistungsvereinbarungen sowie der leistungsbezogenen Mittelvergabe machen. Der Prozess muss gesteuert und kontrolliert werden über positive finanzielle Anreizmechanismen und ein Erfolgsmonitoring, das quantitative und qualitative Kriterien berücksichtigt;

in dieses Berichtswesen auch die Entwicklungen in den neuen Bachelor-/Master- Studienstrukturen einbezogen werden, um eventuelle Förderbedarfe auf der Ebene der Studierenden frühzeitig einzuleiten. Nur so kann beobachtet werden, inwiefern sich sozial nicht abgefederte Studiengebühren eventuell geschlechtsspezifisch auswirken oder geschlechtsspezifische Segregationen in der Fächerwahl bzw. beim Übergang vom Bachelor- zum Masterabschluss abzeichnen;

die Gender-Kompetenz an Hochschulen und Forschungseinrichtungen zu stärken. Dazu müssen an den Hochschulen z. B. mehr Gender-Studiengänge, an Forschungseinrichtungen z. B. mehr Innovationsprofessuren etc. etabliert werden;

mehr strukturierte Promotionsprogramme eingerichtet werden, die den Gender- Aspekt sowohl thematisch als auch in ihren Strukturen aufgreifen. Dies sollte auch im Rahmen der anstehenden Zweiten Runde des Exzellenzwettbewerbes umgesetzt werden;


gesamter Thread:

 

powered by my little forum