Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Kommentar von Alice Schwarzer in BILD

Ballistiker, Friday, 03.06.2011, 01:45 (vor 4715 Tagen)

Ob ich nun mein Engagement im Fall Kachelmann bereue, bin ich heute von einigen Kollegen nicht ohne hämischen Unterton gefragt worden. Nein. Im Gegenteil! Schließlich haben auch die Richter noch einmal bgestätigt, wie wichtig in diesem Fall nicht nur die Unschuldsvermutung für den Angeklagten war, sondern auch die für die Nebenklägerin. Einer der letzten Sätze der Urteilsbegründung lautet: Vielleicht hat sie gelogen, vielleicht aber ist er ein Vergewaltiger. Die Ungewissheit bleibt. Das über ein Jahr lang von allen Seiten traktierte Gericht ist offensichtlich an die Grenzen der Wahrheitsfindung gestoßen. Was alarmierend ist. Darum war es in diesem Fall so wichtig, auch das (mutmaßliche) Opfer ernst zu nehmen. Denn gerade bei Sexualverbrechen sind die Opfer meist die einzigen Zeugen. Und bei Sexualverbrechen innerhalb einer Beziehung erst recht. Gelernt habe ich in diesem Prozess, wie stark die Rechte des Angeklagten sind. Das hat sich der deutsche Rechtsstaat nach dem Unrechtsstaat der Nazis auf die Fahnen geschrieben. Im Falle eines starken Angeklagten und einer schwachen Nebenklägerin aber kann dieses Angeklagten-orientierte Recht eine dramatische Schieflage zu Ungunsten der Opfer ergeben, das sind bei Sexualverbrechen meist Frauen oder Kinder. Eine lange Passage einer Urteilsbegründung widmete Richter Seidling übrigens der Lage der Ex-Freundin. Er kritisierte scharf deren Verhöhnung in manchen Medien als rachsüchtige Lügnerin und gutgläubige Trottelin. Die Frau sei ganz zu Recht davon ausgegangen, die Einzige und Zukünftige von Kachelmann zu sein. Denn der habe sie- genau wie die vielen anderen Freundinnen - belogen und geschickt manipuliert. Dieses Urteil hinterläßt also einen bitten Beigeschmack für alle: für den stoisch in die Luft blickenden Kachelmann, für die weinende Ex-Freundin und für das um seine würde ringende Gericht. Für den nach dem Urteil weiter krakeelenden Verteidiger Schwenn sowieso, dessen "mangelnden Anstand und Respekt" die Richter in der Urteilsbegründung scharf rügten.
Ich bin erleichtert, diesen Gerichtssaal mit seiner mittelalterlich anmutenden Marktplatzstimmung nicht wiedersehen zu müssen. Und ich gehe davon aus, dass niemand Revision einlegt. Die Verteidigung schon gar nicht. Denn das war das Maximum, was sie in diesem Fall erreichen konnte: einen Freispruch dritter Klasse.


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