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Zeit-Fragen im Gespräch mit Babette Francis

Rationalität - ein patriarchalisches Konstrukt?

Feministische Rechtstheorie und die Zerstörung des Rechtsstaats

Für bürgerliche Kreise in den deutschsprachigen Ländern ist der heutige Feminismus vielfach eine eher belächelte Zeitströmung. Eine grobe Unterschätzung: In den USA oder Australien bedroht diese radikal antidemokratische Weltanschauung bereits die Grundlagen des Rechtsstaats. Zeit-Fragen sprach mit der indischstämmigen Australierin, Babette Francis, einer langjährigen Kämpferin gegen den Radikalfeminismus.

Zeit-Fragen: Der heutige Feminismus unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von den Ansätzen früherer Bewegungen. Wo setzen die modernen Feministinnen mit ihren Forderungen an?

Babette Francis: Der heutige Feminismus hat sich weit davon entfernt, für rechtliche Gleichheit zu werben. Gleichheit wird von den Radikalfeministinnen nicht mehr nur als rechtliche Angelegenheit, als Chancengleichheit oder gleiche Zugangsmöglichkeiten definiert. Es ist für heutige Feministinnen nicht genug, dass Frauen wie Männer das gleiche Recht haben, eine Universität zu besuchen oder sich um eine Arbeitsstelle zu bewerben. Im Denkgebäude der Feministinnen gehört dazu auch das Recht der Frau auf eine Abtreibung nach Wunsch, da ja eine Empfängnis den Besuch der Universität verhindern oder verzögern und ein Kind ein Hindernis für die Karriere sein kann. Frauen müssen genauso «unempfänglich» wie Männer gemacht werden.

Ausserdem gibt es, trotz gleicher Zugangsmöglichkeiten, an bestimmten Arbeitsplätzen oder in hochbezahlten Stellen weniger Frauen als Männer, was eine Diskriminierung der Frau «beweist». Diese Situation muss durch eine «Quote», d. h. eine bevorzugte Einstellung und Beförderung von Frauen, bereinigt werden. Dies gilt selbst dann, wenn die Qualifikation der Frauen schlechter als die ihrer männlichen Kollegen ist.

Eine weitere feministische Forderung ist die «erschwingliche, hochqualifizierte, 24-Stunden-Kinderfürsorge». Diese Kinderfürsorge soll aus Steuermitteln bezahlt oder hoch subventioniert werden. Die einzigen, denen aus feministischer Sicht die Bezahlung der Kinderfürsorge verweigert werden sollten, wären die Eltern der Kinder, insbesondere die Mütter: Simone de Beauvoir bemerkte als erste, dass Mütter, welche zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern, dafür nicht bezahlt werden sollten, da «sich zu viele für diese Möglichkeit entscheiden würden». Ihre Sicht wurde durch viele andere prominente Feministinnen wiederholt: Eine Ironie, brüsten sie sich doch damit, für eine «Wahlfreiheit» einzutreten!

Frauenquoten - Verteilung der Macht

Eine der wichtigsten Stützen unseres demokratischen Systems, dessen wir uns in westlichen Demokratien wie der Schweiz oder Australien erfreuen, ist der Rechtsstaat. All die Ansatzpunkte, die Sie nannten, stehen im deutlichen Widerspruch dazu.

Unsere Rechtssysteme basieren auf Prinzipien wie dem Individualrecht, der Gleichheit vor dem Gesetz und objektiven Beweismitteln. Die «Quote» verstösst gegen das Rechtsprinzip der Individualrechte zugunsten der Rechte von Gruppen. In englischsprachigen Ländern gibt es nun eine feministische Rechtsströmung, welche die Fundamente unseres Rechtssystems, d. h. die Neutralität der Gerichte, zu beseitigen versucht. Der feministische Plan sieht nicht die Gleichbehandlung beider Geschlechter vor, sondern die Neuverteilung der Macht, weg von der «dominanten Klasse», den Männern, hin zur «untergeordneten Klasse», den Frauen.

Das Recht muss nach ihrer Ansicht dazu genutzt werden, die Verteilung der Macht zu ändern. Dazu ist keine Gleichbehandlung notwendig, sondern «ein asymmetrischer Ansatz. Dieser nimmt die Sichtweise der weniger mächtigen Gruppe auf, mit dem speziellen Ziel der gerechten Verteilung der Macht auf unterschiedliche Gruppen».

Wo machen sich diese radikal antidemokratischen Gedankenspiele bereits konkret bemerkbar?

Drei Hauptbereiche wurden von dieser feministischen Rechtstheorie beeinflusst: erstens die immer vager und subjektiver werdenden Definitionen von sexueller Belästigung und Vergewaltigung; zweitens die gefährliche Tendenz, in Fällen sexueller Nötigung die Unschuldsvermutungen aufzugeben; drittens - im Falle von häuslicher Gewalt gegen Frauen - das schwammige Konzept von Selbstverteidigung, welches auch als eine Lizenz zum Töten des angeblich misshandelnden Ehemannes verstanden werden könnte.

Wenn jedoch herkömmliche Rechtsansätze aufgegeben werden, stellt sich das Problem, wie man sexuelle Belästigung definiert. Die amerikanische, feministische National Organisation for Women definiert sie so: «Jeder wiederholte oder unerwünschte sexuelle Annäherungsversuch, jede sexuell ausdrücklich abfällige Verlautbarung, sexuell diskriminierende Bemerkungen, welche bei der Angesprochenen Unwohlsein oder Demütigung erzeugen.»

Es überrascht nicht, dass bei dieser weitgefassten Definition Feministinnen behaupten können, dass 85% aller Frauen irgendwann in ihrem Leben an ihrem Arbeitsplatz sexuell belästigt wurden. Sie ist vergleichbar mit einem Gesetz, welches Geschwindigkeitsbeschränkungen durch folgende Regelung ersetzt: Jeder erhält bei der Fahrt durch ein Stadtviertel mit beliebiger Geschwindigkeit dann eine Strafe, wenn dabei nur bei einem der Einwohner Unwohlsein hervorgerufen wird.

Akzeptanz des Paradoxen

Gibt es in Australien keinen Widerspruch zum Beispiel von wissenschaftlicher Seite?

Man muss sich wundern, wie Akademiker aus anderen Disziplinen als dem feministischen Ghetto der «Women's Studies» die Widersprüche in der feministischen Theorie tolerieren. Im selben Atemzug, in dem Feministinnen behaupten, Männer und Frauen seien gleich, verbreiten sie, dass Frauen sich von Männern unterscheiden, weil sie besser seien und wir eine fürsorglichere und mitfühlendere Welt hätten, wenn die Frauen an der Macht wären. Tatsächlich ist es jedoch so, dass Feministinnen gleichzeitig zwei Doktrinen benötigen: Wenn Männer und Frauen unterschiedlich sind, dann sind die traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen und die traditionelle Familie eine natürliche Entwicklung. Wenn aber Männer und Frauen gleich sind und die Männer somit nicht als Gruppe von Unterdrückern gelten, würden die Frauen den Opfer-Status der Zukurzgekommenen verlieren. Deshalb muss das Paradoxe akzeptiert werden: Männer und Frauen sind gleich, aber alle Männer sind Unterdrücker (und für gewöhnlich auch noch Vergewaltiger), weil die Frauen die Unterdrückten sind.

Dass derartige Widersprüche in der öffentlichen Auseinandersetzung akzeptiert und mit akademischen Posten belohnt werden, ist eine Sache. Die Frage, ob Justiz und Gesetzgebung Männer und Frauen gleich oder ungleich behandeln sollen, rührt aber an die Grundlagen unseres Rechtssystems.

Feministinnen lassen sich durch solche Fragen überhaupt nicht aus der Fassung bringen. Alison Jaggar, Präsidentin der American Philosophical Association's Commitee on the Status of Women, schreibt in einem Essay in «Sexuelle Unterschiede aus theoretischer Sicht»1, dass Feministinnen darauf bestehen sollten, «beide Wege zu nutzen». Manchmal sei es vorteilhafter, «das Ziel zu erreichen, indem man das Geschlecht aussen vor lässt, ein andermal durch das Gegenteil.»

Wer immer noch der Rationalität verpflichtet ist und wehleidig den Anspruch stellt, dass so etwas der Vernunft widerspricht, erhält die feministische Antwort, dass Rationalität oder Vernunft ja sowieso männliche Konstrukte seien. Oder, wie Frau Jaggar sagen würde: «Es lässt sich gut damit leben, mit Widersprüchen zu liebäugeln.» So hat der Feminismus mit einem einzigen Streich nicht nur einen Grossteil unseres Rechtssystems, sondern auch die Rationalität, eine von Gottes grössten Gaben an die Menschheit, weggefegt. Rationalität ist die Basis westlicher Zivilisation, Wissenschaft und Entwicklung.

Abschaffung der Unschuldsvermutung

Sie haben angedeutet, dass in Fällen sexueller Vergehen auch gefordert wird, die Unschuldsvermutung aufzugeben. Wie soll dies erreicht werden?

Bei Verfahren wegen sexueller Belästigung spielt die Frage eine zentrale Rolle, ob die Zustimmung der Frau vorlag oder nicht. Das Verfassungs- und Strafrecht handelt nach dem Prinzip, dass die Anklage für einen Fall Beweise vorlegt, die über jeden Zweifel erhaben sind. Dies wird dadurch untergraben, dass heute die Beweislast in der Frage der Zustimmung zunehmend auf den Angeklagten verlagert wird. Dass dies in der Rechtsprechung tatsächlich passiert, bestätigte der oberste Gerichtshof im Bundesstaat Washington, USA, ausdrücklich. Diese Verlagerung wird nicht dazu führen, dass mehr gewalttätige Vergewaltiger ins Gefängnis wandern, denn in diesen Fällen ist ein Mangel an Zustimmung für den Staat relativ leicht zu erbringen. Das Ergebnis wird vielmehr sein, dass es leichter wird, jemanden ins Gefängnis zu bringen, der es versäumt hat, vor jeder sexuellen Annäherung von der augenscheinlich willigen Partnerin eine ausdrückliche Zustimmungserklärung einzuholen.

Wie stellen sich feministische Kreise denn eine solche Zustimmung vor, insbesondere in einer Ehe?

Radikale Feministinnen glauben, dass sexuelle Beziehungen innerhalb der Ehe eine Form der legalisierten Vergewaltigung bzw. Prostitution darstellen. Catharine Mackinnon, Amerikas oberste feministische Rechtswissenschafterin, behauptet, dass alle heterosexuellen Geschlechtsbeziehungen als Vergewaltigungen betrachtet werden sollen, wenn nicht eine ausdrückliche, im nüchternen Zustand abgegebene ausdrückliche verbale Zustimmung bewiesen werden kann. Natürlich stellt eine Rechtsprechung im Falle von Vergewaltigungen, die auf solcher Theorie basiert, eine offensichtliche Gefahr dar für die Annahme der Unschuld, bis zweifelsfrei die Schuld bewiesen wird. So etwas ist eher ein wahres Freudenfest für Verteidiger.

Vor einigen Jahren wurde dem Rektor des College an der Melbourne University die Karriere dadurch ruiniert, dass man ihm vorwarf, eine Studentin während eines Tanzes nach einer Feier der Universität an der Brust berührt zu haben. Der Fall erhielt gewaltige Aufmerksamkeit in den Medien - in Zeitungen, Radio und Fernsehen -, Name und Foto wurden überall veröffentlicht. Obwohl sich schliesslich seine Unschuld herausstellte, verlor der Rektor seine Stelle, und es war ihm danach unmöglich, eine gleichwertige akademische Anstellung zu finden. Er arbeitet nun auf einem völlig anderen Gebiet in einem Teilzeitjob. Helen Garner, selbst eine Feministin in vorgerücktem Alter, schrieb ein Buch2 über diesen Fall. Darin zitiert sie eine andere Feministin, die ihr in Bezug auf diesen Fall erklärte: «Ich glaube nicht, dass er verdient, was ihm passierte. Er mag unschuldig sein - aber er bezahlt für viele, viele andere Männer, die nicht erwischt worden sind. Es ist die Ironie der Geschichte, dass manchmal der Unschuldige oder beinahe Unschuldige dafür bezahlt, was Schuldige gemacht haben.» Das ist das feministische Konzept von Gerechtigkeit. Garner bezeichnete die Ideologie hinter den Vorwürfen gegen den College-Direktor als «eine besondere Art des Feminismus: dünkelhaft über die Moral wachend, hinterlistig, unversöhnlich».

Das Syndrom der misshandelten Ehefrau

Einige feministische Theoretikerinnen sehen jedes geschlechtsbezogene Vorgehen als Gewaltdelikt an. Entsprechend hoch sind die Zahlen ihrer Opferschätzungen. Was halten Sie von den feministischen Statistiken zur Gewalt?

Feministische Definitionen zum Beispiel der «häuslichen Gewalt» gehen weit über die gewöhnlichen Kategorien physischer Gewalt hinaus. In einer kürzlich von der Regierung finanzierten Umfrage über häusliche Gewalt in Australien wurde eine «Bedrohung mit einer Waffe» bereits darin gesehen, «dass irgendwo eine Waffe offen herumliegt oder bekannt ist, dass eine Waffe zugänglich ist - Spielzeugpistolen und Startpistolen usw. eingeschlossen». Eine weitere Frage lautete: «Hat Ihr Partner jemals versucht, Sie davon abzuhalten, das Telefon oder das Auto der Familie zu benutzen?» Es ist schwierig, in Australien Ehepaare zu finden, die sich noch nie über die Benutzung des Wagens oder die Höhe der Telefonrechnung uneins gewesen wären. Es überrascht nicht, dass Feministinnen sich auf solche Umfragen berufen und behaupten, dass jede dritte Frau das Opfer «häuslicher Gewalt» ist oder sein wird.

Damit verlässt die feministische Ideologie nicht nur den üblichen Gewaltbegriff, sondern den Boden von Logik und Vernunft. Wie wird das begründet?

Lenore Walker, Psychologin, Gesetzestheoretikerin und Direktorin des «Instituts für häusliche Gewalt» in den USA, ist die führende Exponentin des Syndroms der misshandelten Frau. In ihrem Buch «Die misshandelte Frau»3 stellt sie klar, dass eine Frau «misshandelt» werden könne, ohne dass physische Gewalt ausgeübt werde: Die Geschichte einer Frau müsse dann akzeptiert werden, «wenn sie das Gefühl hat, sie sei psychisch und/oder physisch von ihrem Mann misshandelt worden».

Lenore Walker war eine Sachverständige der Verteidigung in solch einem Fall. Die wegen Mordes angeklagte Peggy Sue Saiz machte am Tag vor der Tat Schiessübungen und ging nach der Tat in die Disco zum Tanzen. Dennoch argumentierte Walker, dass Saiz' Verhalten genau dem «Syndrom der misshandelten Ehefrau» entspreche: «Misshandelte Frauen werden derart demoralisiert und entwürdigt durch die Tatsache, Gewalt weder vorhersagen noch kontrollieren zu können, dass sie in einen Zustand psychischer Paralyse geraten und unfähig werden, etwas anderes zur Verbesserung oder Änderung ihrer Situation zu tun, als den Misshandelnden zu töten.»

Wenn Logik als ein patriarchalisches Konstrukt betrachtet wird, verwundert es kaum, dass der Feminismus so voller Widersprüche ist.

Dieser Standpunkt kommt doch wohl von einer lautstarken Minderheit.

Die meisten Frauen möchten sicher nicht in einer Welt leben, die auf der Annahme basiert, dass Geschlechtsverkehr meistens Vergewaltigung ist und dass die meisten Männer Täter sind. Männer sind nicht der Feind - Männer sind unsere Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne. Sie sind auch unsere Freunde und weit davon entfernt, in eine Verschwörung zur Unterdrückung der Frau verwickelt zu sein. Männer haben alle arbeitserleichternden Geräte erfunden - Waschmaschinen, Kühlschränke, Computer -, die uns von Schufterei befreit haben und den Frauen, einschliesslich der Feministinnen, die Zeit und Energie zur Verfügung stellen, sich mit Dingen wie der Jurisprudenz und dem Recht zu beschäftigen.

1 Rhode, Deborah L. (Hg.) Theoretical Perspectives on Sexual Differences. Veröffentlicht von der Yale Universität.

2 Garner, Helen. The First Stone. Picador, Australien 1995.

3 Walker, Lenore. The Battered Woman. New York 1979.


Babette Francis

Die geborene Inderin Babette Francis, Mutter von acht Kindern und Grossmutter von sieben Enkeln, lebt in Australien. Sie ist selbständige Journalistin und regelmässige Kolumnistin ihrer Regionalzeitung sowie verschiedener australischer Magazine; viele Jahre arbeitete sie für «Radio Australia». Bereits in den 70er Jahren beschäftigte sich die Begründerin des «Endeavour Forum», einer christlichen Familienlobby, mit Erziehungsfragen und dem Feminismus. Sie gilt heute als Kennerin der Frauenbewegung auch auf internationaler Ebene. Babette Francis leitete unter anderem eine Delegation an der UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking und war als akkreditierte Beobachterin an der UN-Konferenz Habitat II 1996 in Istanbul.

Titelinterview: Zeit-Fragen Nr. 38 vom 01.06.97, Seite 1, letzte Änderung am 30.06.97