Liste Femanzen Gitti Hentschel (Liste Femanzen)
F258 Gitti Hentschel Kommunikationswissenschaftlerin und Sozialpädagogin - seit 2000 Leiterin des „Feministischen Instituts“, später Gunda-Werner-Instituts in der Heinrich-Boell-Stiftung – Mitinitiatorin und Mitglied des Deutschen Frauensicherheitsrates – Mitbegründerin der „taz“ – jahrelang taz-Redakteurin und taz-Vorstand - ehemalige Mitverlegerin der Wochenzeitung “Freitag“ – ehemalige Frauenbeauftragte der Alice-Salomon-Hochschule für Sozialarbeit und Soziapädagogik in Berlin und Bundessprecherin der Hochschulfrauenbeauftragten - hentschel@boell.de – feministisches-institut@boell.de -http://www.gwi-boell.de/images/pics/Gitti_Hentschel_gr.jpg
„Manchmal wünsche ich Ihnen ein bisschen mehr feministische Radikalität.“
Die Reichweite in alle Landesregionen hinein macht den Deutschen Frauenrat auch als Lobbyverband gegenüber Regierung und international besonders bedeutsam. Ohne ihn, seine aktiven und engagierten Frauen(-organisationen) wären in Deutschland Frauenrechte und CEDAW, die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, noch größere Papiertiger. Lohndiskriminierung und die Ausgrenzung von Frauen aus der Wirtschaft oder der Sicherheitspolitik wären noch weniger publik.
Gerade zurzeit ist Ihre Stimme und Intervention gefordert: angesichts der reaktionären Frauen- und Familienpolitik der Regierung und einer Ministerin, die Gender Mainstreaming und Frauenpolitik zur Farce gemacht hat, unkritisch Männerförderung betreibt und die Wirtschaft hofiert. Manchmal wünsche ich Ihnen ein bisschen mehr feministische Radikalität, vor allem aber weiterhin viel Erfolg, und ich freue mich auf weiterhin konstruktive Zusammenarbeit.
Gitti Hentschel
Leiterin Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung
http://www.frauenrat.de/deutsch/aktionen/jubilaeum-60-jahre-df/jubilaeum-60-gratulantinnen.html
INKOTA Brief 133 - September 2005
Sicherheit und Entwicklung
Ohne Frauen kein Frieden
Gitti Hentschel
Nachhaltige Sicherheit braucht eine Geschlechterperspektive
Es gibt keine biologischen Gründe für ein anderes Verhalten von Frauen in gewaltsamen Auseinandersetzungen und in der Konfliktvermittlung. Doch aufgrund der ungleichen Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen haben letztere andere Interessen und setzen stärker auf zivile Konfliktlösungen. In Friedensverhandlungen und Friedensprozesse sind Frauen jedoch trotz einer völkerrechtlich bindenden UN-Resolution bis heute nur marginal eingebunden.
Bosilka Schedlich und Monika Hauser sind zwei von 15 Frauen aus Deutschland und von 1.000 Frauen aus insgesamt 150 Ländern, die in diesem Jahr den Friedensnobelpreis erhalten sollen. Sie wurden vom Verein "1.000 Frauen für den Friedensnobelpreis", einer Initiative von frauen- und friedenspolitisch engagierten Expertinnen in der Schweiz, dafür nominiert. Der Hintergrund dieser unter dem Patronat der UNESCO stehenden Initiative: Frauen leisten weltweit einen wesentlichen Beitrag zur Krisenprävention, zur zivilen Konfliktbearbeitung und zum Wiederaufbau in Nachkriegsgesellschaften, sie kämpfen, je nach den Bedingungen in ihrem Land, subversiv oder offensiv gegen Gewalt und Frauen-/Menschenrechtsverletzungen, gegen den Einsatz von Waffen und für die Aussöhnung der konfliktaustragenden Parteien. In der Regel wird die politische Bedeutung ihrer Friedens- oder Versöhnungsarbeit jedoch kaum anerkannt, ihre Expertise und ihre Leistungen werden kaum gewürdigt. So wurde der Friedensnobelpreis bisher an 78 Männer verliehen, aber nur an elf Frauen.
Mangelnde Einbindung in Friedensprozesse
Gravierender noch ist der weitgehende Ausschluss der Frauen aus der nationalen und internationalen Friedens- und Sicherheitspolitik, denn dies bedeutet auch, dass ihre spezifischen Perspektiven und Erfahrungen dort nicht vorkommen. Die mangelnde Partizipation von Frauen verweist außerdem auf ein grundlegendes Defizit im Demokratieverständnis der einzelnen Länder und der internationalen Staatengemeinschaft. Frauen sind trotz Gleichheitsprinzip und Gleichberechtigungsgesetzen in zentrale Entscheidungen über Krieg und Frieden, in Verhandlungen über Friedensabkommen und Nachkriegsordnungen kaum eingebunden, wie Beispiele der jüngsten Geschichte zeigen: an den Friedensgesprächen in Dayton 1995 zur Beendigung des Bosnienkonflikts wurde keine einzige Frau beteiligt, obwohl die massive Gewalt an Frauen dort international bekannt war.
Selbst in Afghanistan, wo die Militärintervention unter anderem mit der Befreiung der Frauen begründet wurde, waren in der verfassunggebenden Loya Jirga im Januar 2004 nur elf Prozent Frauen vertreten, obwohl das afghanische Frauenministerium eine Quote von mindestens 25 Prozent Frauen gefordert hatte. Im UN-Sicherheitsrat vertrat in den letzten Jahren keine einzige Frau die fünf ständigen und zehn nicht-ständigen Mitgliedsländer.
Wie Studien zeigen, hat jedoch der systematische Ausschluss von Frauen aus offiziellen Friedensprozessen schädliche Effekte auf die Nachhaltigkeit von Friedensabkommen. Dies zeigen die Verhältnisse im Kosovo, in Afghanistan und im Irak. Die Anwesenheit von Frauen, so der 2002 vom UN-Generalsekretär herausgegebene Bericht "Women, Peace and Security", "verändert (...) die Natur des Dialogs". Der Grund: Zwischen den Geschlechtern bestehen Unterschiede in der Art zu verhandeln und in Konflikten zu vermitteln. Zum Beispiel bestehen Frauen stärker auf zivilen Konfliktlösungen und bringen andere Themen in die Verhandlungen ein, etwa Gesundheits-, Bildungsfragen und Besitzverhältnisse.
Entsprechend waren Verhandlungsergebnisse, die von Frauen erzielt oder stark beeinflusst wurden, dauerhafter, die Verhandlungsparteien zufriedener. Ein Beispiel hierfür ist Somalia. Als im Mai 2000 die Männer der Konfliktparteien, die fünf somalischen Clans, die Frauen von Friedensverhandlungen ausschließen wollten, schlossen sich die Frauen der Clans über ethnische Grenzen hinweg zu einem sechsten Clan zusammen und erreichten durch massiven Druck ihre Beteiligung. Sie setzten für die Parlamentswahlen eine zehnprozentige Quote für Frauen ihrer Wahl durch, und die Wahl weiterer Frauen durch die anderen Clans. Die vom Parlament verabschiedete Charta für die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten gilt als eine der fortschrittlichsten in der islamischen Welt.
Stereotype und Rollenzuschreibungen
Hervorzuheben ist, dass die Unterschiede der Geschlechter in der Konfliktvermittlung – ebenso wie die unterschiedliche Beteiligung von Frauen und Männern an gewaltsamen Konflikten – nicht auf biologische oder Wesensmerkmale der Geschlechter zurückzuführen sind. Die Frau als friedfertige Vermittlerin, Trösterin, Unterstützerin, aber auch Schutzbedürftige einerseits, der Mann als der tapfere Kämpfer, Staatsmann, Beschützer auf der anderen Seite sind gesellschaftliche Stereotype und Rollenzuschreibungen, die untrennbar zusammenhängen und sich wechselseitig ergänzen. Entsprechend spielen die Geschlechterverhältnisse ebenso wie die jeweiligen Geschlechterkonstruktionen in einer Gesellschaft sowohl für die Entstehung und den Verlauf gewaltsamer Konflikte als auch für die Konfliktbearbeitung eine wichtige Rolle. Das bedeutet auch, dass Männer und Frauen für Gewalteskalation und Krieg gleichermaßen Verantwortung tragen, ebenso wie für zivile Konfliktlösungen. Dass Frauen hier wirksamer sind, resultiert aus ihren von Männern verschiedenen Lebensbedingungen und Erfahrungen, wodurch jeweils spezifische Kompetenzen und Verhaltensmuster entwickelt werden.
Frauen sind von allen ZivilistInnen in kriegerischen Konflikten und auch in der Nachkriegszeit am meisten gefährdet. In Kriegen wird sexuelle Gewalt systematisch als Mittel der Kriegsführung eingesetzt, einerseits um die Feinde zu demütigen und zu demoralisieren, andererseits, um die Gewaltbereitschaft der eigenen Soldaten zu steigern. So wurden im Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien in den 1990er Jahren etwa 20-50.000 Frauen vergewaltigt.
Viele Frauen sind trotz Friedensvereinbarungen auch nach bewaffneten Konflikten und in der Phase des (Wieder)Aufbaus demokratischer Strukturen nicht sicher. Infolge der Brutalisierung der Kombattanten im Krieg erleben sie in potenziertem Maße häusliche Gewalt und Vergewaltigung durch die eigenen zurückgekehrten Männer.
Dies verweist auf den – von feministischen Expertinnen seit langem thematisierten – untrennbaren Zusammenhang zwischen häuslicher und militärischer Gewalt einerseits, auf die Bedeutung von Geschlechterverhältnissen im Kontext von Konflikten und ihrer Bearbeitung andererseits. Auch wenn Sicherheit in der Politik als "geschlechtsneutral" angesehen wird, hat sie eine geschlechtsspezifische Dimension.
UN-Resolution zu Frauen und Sicherheit
Mit der mangelnden Partizipation von Frauen und der Vernachlässigung der Geschlechterperspektive wird auch bindendes Völkerrecht gebrochen. Im Oktober 2000 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einstimmig die UN-Resolution 1325 zu "Frauen und Frieden und Sicherheit". Sie verpflichtet in insgesamt 18 Punkten die UNO, ihre Mitgliedstaaten und die Konflikt-Parteien, Frauen in allen Fragen von Krieg und Frieden, in sämtlichen Entscheidungsgremien und -prozessen in Krisen und bewaffneten Konflikten, bei der Prävention und Konfliktregulierung sowie an der gesellschaftlichen Neuordnung auf allen Ebenen angemessen zu beteiligen und auch die Geschlechterdimension in diesen Bereichen zu berücksichtigen. Erstmals anerkennt der Sicherheitsrat außerdem die wesentliche Rolle zivilgesellschaftlicher Frauengruppen für diesen Bereich. Die Resolution ist Ergebnis des Engagements und Verhandlungsgeschicks von Frauenbewegungen und ihrer beharrlichen Lobbyarbeit. Sie gilt als "historisch" und ist völkerrechtlich bindend.
Dass dennoch ständig und überall dagegen verstoßen wird – in Staaten mit demokratischen Verfassungen ebenso wie in autoritär regierten Ländern – liegt vordergründig an unkonkreten Vorgaben. Einzelne UN-Mitgliedsländer – so auch Deutschland – weisen zwar Maßnahmen aus, bei denen sie, etwa im Rahmen von Peace-Keeping- Einsätzen oder im entwicklungspolitischen Bereich, die UN-Resolution 1325 berücksichtigen. Doch von der systematischen und gleichberechtigten Einbindung von Frauen und einer durchgängigen Geschlechterperspektive in diesem zentralen Politikbereich ist auch Deutschland noch weit entfernt. Dies verweist auf die tiefer liegenden Ursachen. Außen- und Sicherheitspolitik gehört zu den zentralen Bereichen von Machtpolitik und ist daher eine traditionelle und besonders resistente Männerdomäne, in der die Kluft zwischen Proklamation und Realisation besonders groß ist.
Der Frauensicherheitsrat
Dies aufzubrechen und die Umsetzung der Resolution 1325 zu erreichen, hat sich der deutsche Frauensicherheitsrat (FSR) zur Aufgabe gemacht. 2003 schlossen sich Expertinnen aus frauen-, friedens- und entwicklungspolitischen Arbeitsfeldern und Organisationen, aus der Forschung und aus politischen Stiftungen mit dem Ziel zusammen, der Geschlechterperspektive zunächst im Rahmen bundesdeutscher Außen- und UN-Politik angemessen Geltung zu verschaffen. Konkret begleitete der FSR die Politik der Bundesregierung während ihrer zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat beratend und mit kritischer Analyse. Er setzte auf drei Ebenen an: direkte Einflussnahme auf deutsche Politik, öffentliche Information und Aktion sowie nachhaltige Vernetzung und Kooperation engagierter Frauen.
Unter anderem entwickelte der FSR einen detaillierten Maßnahmenkatalog für die adäquate Einbindung der irakischen Frauen in Entscheidungen über die Nachkriegsordnung. Er erstellte einen Schattenbericht zum Regierungsbericht über die Umsetzung von Resolution 1325 und führte neben dem Dialog mit führenden RegierungspolitikerInnen ExpertInnentagungen und Diskussionsveranstaltungen durch. In der breiten Öffentlichkeit wirbt er mit einer Postkartenaktion für die massenhafte Unterstützung der UN-Resolution 1325.
Die Arbeit des FSR fand bis in die Regierungsebene und international ein breites positives Echo, seine Bilanz nach zweijähriger Beteiligung Deutschlands im UN-Sicherheitsrats fiel jedoch zwiespältig aus: Die relativ breite Unterstützung durch Nichtregierungsorganisationen sowie die Nachfrage nach Expertise des FSR verweisen auf den Bedarf und seine erfolgreiche Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit. Doch seine konkreten Impulse für die Umsetzung der UN-Resolution wurden von der Regierung nicht genutzt. Sie blieb im Wesentlichen bei pauschalen Absichtserklärungen zur Berücksichtigung der UN-Resolution 1325. Dies unterstreicht die Kluft zwischen Proklamation und Implementierung von Forderungen nach Geschlechtergerechtigkeit in der Männerdomäne Sicherheitspolitik. Da deutsche Sicherheitspolitik eingebettet ist in den europäischen Kontext, arbeitet der FSR gegenwärtig an der Vernetzung mit anderen friedens- und frauenpolitischen Organisationen und ExpertInnengruppen in ganz Europa. Das Ziel: ein europaweites Bündnis nach deutschem FSR-Modell.
Gitti Hentschel ist Geschäftsführerin des Feministischen Instituts in der Heinrich-Böll-Stiftung.
http://www.inkota.de/material/inkota-brief/133/gitti-hentschel/
Die Idee eines Grundeinkommens, die verschiedenen Vorschläge zur Ausgestaltung eines solchen, jede abstraktere Überlegung zu sozialpolitischem Hintergrund des Grundeinkommens ist, wie jede politische Vision, nicht geschlechtsneutral. Gerade bei einem so weit reichenden, systemverändernden Thema wie dem bedingungslosen Grundeinkommen sind unterschiedliche Auswirkungen auf die Lebenswelten von Frauen und Männern in unserer Gesellschaft anzunehmen. Umso erstaunlicher ist es, dass die Debatte darum – wie dies oftmals bei Gender-Themen der Fall ist – auch beim Grundeinkommen nur am Rande geführt wird. Fragen, die aus feministischer Perspektive an das Grundeinkommen zu stellen sind und die grundsätzlicher in die Debatte integriert werden sollten, sind die nach unterschiedlichen Effekten des Grundeinkommens auf Frauen und Männer, aber auch nach gesellschaftlich dominanten Rollenbildern und der Geschlechtergerechtigkeit hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung und des Zugangs zum Arbeitsmarkt.
Die Frage nach geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Voraussetzungen von Grundeinkommen bzw. Grundsicherung wird – wenn überhaupt – oft nur am Rande behandelt. Allerdings bedeutet jede Reform sozialer Sicherung für die verschiedenen Menschen und gesellschaftlichen Gruppen, für die unterschiedlichen Lebensentwürfe und Lebenslagen ganz Verschiedenes. Die analytische Perspektive "Gender" ermöglicht es, Gesellschaft hinsichtlich der verschiedenen geschlechtlichen Identitäten und Rollenbilder zu betrachten und beschreibt damit einen Teil der gesellschaftlichen Differenzierung und Vielfalt. Männer und Frauen sind als soziale und gesellschaftliche Gruppen von Sozialpolitik unterschiedlich betroffen – dies gilt es in der Debatte mitzudenken.
http://www.boell.de/wirtschaftsoziales/wirtschaft-soziales-2605.html
Am Dienstag ist die Bundesrepublik für zwei Jahre zum nichtständigen Mitglied des UN-Sicherheitsrates gewählt worden. Dazu erklärt Gitti Hentschel als Sprecherin des Frauensicherheitsrates, eines seit 2003 bestehenden Netzwerks von Friedensforscherinnen und Friedensaktivistinnen:
„Der Frauensicherheitsrat schließt sich der Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte an, wonach die Bundesregierung menschenrechtlichen Anliegen ein besseres Gehör im Sicherheitsrat verschaffen sollte. Sicherheit darf nicht länger als national-militärische Sicherheit eines Staates, sondern um als Sicherheit aller Menschen verstanden werden - im Sinne des Konzepts der Menschlichen Sicherheit, human security.
Die vor zehn Jahren im Oktober 2000 vom UN-Sicherheitsrat einstimmig verabschiedete Resolution 1325 zu Frauen, Frieden und Sicherheit ist hierfür ein extrem wichtiger Baustein. Die völkerrechtlich verbindliche Resolution fordert die verstärkte Einbeziehung von Frauen auf allen Ebenen von Friedensprozessen. Sie lässt sich in 3 „P" zusammenfassen: Partizipation von Frauen an Friedenstischen und in Wiederaufbauprozessen, Protektion vor sexualisierter Gewalt, Prävention neuer Gewalt. An allen wesentlichen Friedensverhandlungen der letzten zehn Jahre waren Frauen jedoch kaum vertreten, ihr durchschnittlicher Anteil lag bei deutlich weniger als acht Prozent.
Obwohl sie häufig als „Frauen-Resolution" bezeichnet wird, geht es nicht darum, dass Frauen aus Gründen politischer Korrektheit einbezogen werden. Frauen sind auch nicht die besseren oder friedlicheren Menschen. Aber sie haben aufgrund der ihnen zugeschriebenen sozialen Rollen eine größere Distanz zu Militär, Krieg, Macht und Gewalt. In praktisch allen Konflikten arbeiten Friedensfrauen über nationale, ethnische und religiöse „Feindeslinien" hinweg zusammen. Studien zeigen: Sie zu unterstützen, bedeutet, Friedensprozesse nachhaltig und effektiv zu gestalten. Um diese Erkenntnisse zu vertiefen, hat das Gunda-Werner-Institut der Heinrich-Böll-Stiftung herausragende VertreterInnen aus zahlreichen Konfliktländern zu einer internationalen Konferenz vom 28. bis 30. Oktober in Berlin eingeladen.
Leider hat sich die Bundesregierung dieses Thema bisher weitgehend ignoriert. Obwohl in der Bundestagsdebatte am 8. Oktober zum Thema Resolution 1325 mit Grünen, SPD und Linkspartei in nunmehr gleich drei Bundestagsfraktionen die Auflage eines Nationalen Aktionsplanes zur Umsetzung von Resolution 1325 fordern, glaubt die Regierung weiterhin, sie könne darauf verzichten. Damit zeigt sie nicht nur ein vormoderner Politikverständnis, sondern droht langsam zum Schlusslicht der EU zu werden. Die EU selbst bekennt sich in diversen Erklärungen deutlich zur Resolution, zudem haben bereits 12 EU-Länder nationale Aktionspläne verabschiedet. Da die von EU und UN entwickelten Indikatoren
http://www.wilpf.de/themen/frauen-und-frieden/pressemitteilung-des-frauensicherheitsrates-deutschland-soll-sich-im-un-sicherheitsrat-fuer-menschenrechte-und-die-resolution-1325-einsetzen.html
Die Kommunikationswissenschaftlerin und Sozialpädagogin Gitti Hentschel ist Mitinitiatorin des deutschen Frauensicherheitsrats und Mitbegründerin der Taz. Heute leitet sie das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie in der Heinrich-Böll-Stiftung. Die »Pädophilen-Bewegung«, um die die derzeitige Debatte kreist, hat Hentschel in ihrer Zeit in der Taz-Redaktion miterlebt.
In welcher gesellschaftlichen Situation haben sich die damaligen Diskussionen um die »Pädophilen-Bewegung« abgespielt?
Diese Zeit war von der Idee von Befreiung und von der antikapitalistischen Bewegung geprägt. Dazu gehörte ganz wesentlich der Wunsch, eine freie Sexualität leben zu können. Andere Lebensmodelle auszuprobieren, andere Partnerschaftsmodelle, Wohngemeinschaften, Liebe ohne Trauschein, all das richtete sich gegen den alten Mief der Bundesrepublik. Das bedeutete einen gesamtgesellschaftlichen Konflikt. Die Thematik von sexualisierter Gewalt an Frauen und sexuellem Missbrauch wurde damals erst allmählich bekannt. Wir Feministinnen thematisierten in dieser Phase die Vergewaltigung in der Ehe, die ja zum Beispiel noch kein anerkannter Straftatbestand war. In diesen Zusammenhängen wurde uns vorgeworfen, wir wollten die Familie kaputtmachen. Der Feminismus hat viele Maßstäbe gesetzt, doch auch Männer, die sich als emanzipiert verstanden, empfanden vieles davon als Affront. Einige Männer versuchen, etwas dagegen zu setzen, beispielsweise mit Porno-Provokationen, die teilweise auch in der Taz stattgefunden haben.
Wie stark haben Sie die Position der Feministinnen beispielsweise in der Taz-Redaktion empfunden?
Ich habe Anfang der achtziger Jahre das Thema der sexualisierten Gewalt, damals haben wir sexuelle Gewalt gesagt, an Kindern in der Berichterstattung aufgegriffen. Es war überhaupt nicht selbstverständlich, dass das so in die Zeitung kam. Ich habe auch bundesweit die Problematik der Vergewaltigung von Frauen und der entsprechenden Gerichtsprozesse zum Thema gemacht, die die Frauen oft als zweite Vergewaltigung erlebten. Darüber hat es heftige Konflikte auch in der Taz gegeben. Ich habe in Gerichtsberichten auch problematisiert, dass zum Beispiel ein Erzieher eine geringe Bewährungsstrafe für sexuellen Missbrauch an schutzbefohlenen Kindern bekommen hatte. Er durfte zwar nicht mehr in der gleichen Einrichtung arbeiten, aber in jeder anderen. Da hat sich zu der Zeit kaum jemand drüber aufgeregt. Für meine Positionierung bin ich öfter attackiert worden, teilweise auch von Taz-Männern, aber auch von Frauen.
Pädophilen-Aktivisten inszenieren sich ja als unterdrückte Minderheit. Besteht in Wahrheit ein gesellschaftlich verbreiteter Wunsch, sexuelle Gewalt zu bagatellisieren?
Vieles haben wir damals gar nicht so differenziert durchschaut oder gewusst. Zum Beispiel haben ja – und das läuft heute zum Teil auch noch – Männer, die sich nicht als Pädophile geoutet oder gesehen haben, das Bild der verführerischen Lolita aufgebaut. Also dass junge Mädchen ältere Männer verführten – oder bezogen auf Jungen, die wollten es doch selber. Das wurde auch von Linken vertreten oder gelebt, und wenn wir Feministinnen dies im Zusammenhang mit sexuellem Mißbrauch stellten, galten wir als prüde oder verklemmt. Es gab in der Taz einen Mann, der offen pädophile Positionen vertreten hat. Allerdings war er eine Randfigur, die wir nicht so ernst genommen haben. Vielleicht wollten wir das Ausmaß der Problematik auch nicht wahrhaben.
Eine Auseinandersetzung wurde geführt, als die Indianerkommune in die Redaktion aufmarschierte. Da waren Jungen – Kinder eben – dabei, die das Recht auf freie Sexualität für sich selbst in Anspruch genommen haben und forderten, dass sie sich ihren erwachsenen Sexualpartner selbst aussuchen dürften. Wir waren zum Teil unsicher, wie wir damit umgehen sollten. Natürlich haben wir Kindern eine eigene Sexualität zugestanden, aber untereinander und nicht mit Erwachsenen. Aber zu der Zeit gab es noch keine Erfahrungen oder vertieftes Wissen zu dem Thema. Dass bei Kindern und Jugendlichen, die ungleiche Sexualität leben, sage ich jetzt mal, oft auch frühere Missbrauchserfahrungen bestehen, war nicht so bekannt. Die Auseinandersetzung um Möglichkeiten und Grenzen der sexuellen Freiheiten hatte gerade erst begonnen.
Würden Sie heute sagen, dass diese Offenheit der Diskussion ein offensives Auftreten der Pädophilen überhaupt erst ermöglicht hat?
Auch unter uns Feministinnen haben wir sehr heftig diskutiert. Einige waren ambivalent. Eine Mitstreiterin etwa, die selbst einen Pädophilen kannte und beobachtet hatte, dass er eine Fähigkeit hatte, auf Kinder zuzugehen und dass das für die Kinder anziehend war. Diese Dynamik haben wir nicht durchschaut. Das Machtverhältnis zwischen Ungleichen wurde damals längst nicht so klar wie heute thematisiert. Hätten wir trotzdem anders damit umgehen können? Rigider vielleicht? Es sind viele unterschiedliche Faktoren aufeinandergetroffen, die ein widersprüchliches, heute kaum noch nachvollziehbares Verhalten hervorgebracht haben. Dazu gehört sicher auch, dass auch linke Männer, die sicher nichts mit Pädophilen zu tun hatten, uns Feministinnen Prüderie und Engstirnigkeit vorwarfen. Prüde wollten wir natürlich nicht sein, zumal freie, selbstbestimmte Sexualität ja auch ein Aspekt von Feminismus ist. Ich glaube außerdem, dass in einer männlich dominierten Gesellschaft Sensibilität in Bezug auf Pädophilie unterentwickelt ist, weil viele Männer Geschlechterfragen insgesamt weniger sensibel angehen. Im Vordergrund stand bei linken Männern auch nicht die Vorstellung von wirklicher Geschlechteremanzipation, sondern die von einem freiheitlichen, vielleicht eher promisken Leben, einem Leben frei von Zwängen. Mit den Pädophilen wollten viele zwar nichts zu tun haben, sich aber auch nicht genau positionieren. Feministinnen, die das problematisiert haben, hatten da einen schlechten Stand.
Zudem wurden wir – wie heute auch – von Maskulistengruppen attackiert, auch wenn sie anders genannt wurden. Die waren gut organisiert, Männer aus der Mitte der Gesellschaft. Ich habe zum Beispiel von ihnen Drohbriefe bekommen, weil ich viel über sexualisierte Gewalt an Kindern gearbeitet habe. Sie haben sich darin fürchterlich empört und sie beschrieben, wie sehr vor allem die »armen Väter« unter den Frauen leiden würden. Ihnen würden die Kinder entzogen und sie würden zu Unrecht beschuldigt.
Welche Art von Umgang mit ihrer Vergangenheit wünschen Sie sich jetzt von den Grünen oder auch von der Taz?
Die Taz hat das Thema ja anhand eines eigenen Beispiels aufgegriffen. Es ist richtig und wichtig, genauer zu analysieren und zu problematisieren, wie wir damals gedacht und gehandelt haben. Das Thema muss unter dem Aspekt sexualisierter Gewalt an Kindern behandelt werden und man muss sich fragen: Wie kommt es, dass Pädophilie oft nicht als Gewalt gewertet wurde und wird? Die sind ja alle so nett und gehen mit den Kindern zärtlich um, wird dann gesagt. Diese Formen von Abhängigkeit und ungleichen Machtverhältnissen müssen weiter aufgearbeitet werden.
Was halten Sie davon, wenn zum Beispiel Daniel Cohn-Bendit jetzt sagt, seine eigenen Äußerungen über sexuelle Handlungen an Kindern seien nur schlechte Prosa gewesen?
Ich finde es schwierig, mich zu Dingen zu positionieren, über die ich nur irgendwo gelesen habe. Ich frage mich natürlich auch, wieso das Thema gerade jetzt im Wahlkampf so hochgezogen wird. Allgemein kann ich nur sagen, ich weiß, wie ambivalent früher der Umgang mit Kindern und Sexualität oft war. Ich habe vor meiner Zeit bei der Taz selbst Jugendarbeit gemacht, und einmal ist ein Mitarbeiter von der Toilette gekommen, völlig geplättet und verunsichert, und hat mir erzählt, ein Mädchen sei gerade aufs Klo gekommen, als er pinkeln musste, und wollte gucken und anfassen. Er war völlig irritiert. Wir haben zwar alle freie Sexualität auch für Kinder gefordert, aber nicht in dieser Weise. Die Frage war damals eben: Wo ist da eigentlich die Grenze, wie geht man mit so etwas um? Mein Mitarbeiter hat das Mädchen rausgeschickt. Wir haben vor allem diskutiert, ob das richtig war, weil Kinder eben neugierig sind. Heute würde ich viel aufmerksamer nachfragen, was zum Beispiel bei dem Mädchen vielleicht schon im Elternhaus los war. Aber diese Fragen haben wir uns damals nicht gestellt.
Ist die aktuelle Berichterstattung über Pädophilie eine Chance, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen?
Mich ärgert der Begriff »Pädophilie«. Wichtig ist mir die Thematisierung von sexuellem Missbrauch an Kindern, an Mädchen wie an Jungen, gerade durch Menschen aus ihrem eigenen Umfeld. Täter oder auch Täterinnen sind ja oft gerade nicht die »Pädophilen«, die sich als solche outen und daraus eine Bewegung machen. Es sind viele aus dem eigenen Bekanntenkreis, die netten Menschen aus dem eigenen Umfeld. Diese Aufmerksamkeit fehlt mir an vielen Punkten.
Das heißt, wir sollten nicht auf die Selbstinszenierung der Pädophilen hereinfallen, sondern bei dem Thema sexualisierte Gewalt bleiben?
Ja. Das heißt aber nicht, dass man sich mit diesem Thema nicht auseinandersetzen sollte – aber man darf nicht vergessen, dass der Kontext ein anderer war. Vieles wird heute erst aufgearbeitet. Wichtig ist aber, dass weiter öffentlich gemacht wird, was tatsächlich an Missbrauch in dieser Gesellschaft läuft, an Schulen, im Elternhaus und so weiter. Eine wichtige Frage ist, wie man damit präventiv umgehen kann. Ob Erzieherinnen und Erzieher oder in der Schulpädagogik, diejenigen, die mit Kindern zu tun haben, werden zu wenig in diesem Bereich qualifiziert. Sie müssen darauf vorbereitet werden, sich angemessen zu verhalten und sexualisierte Gewalt in den Schulen und Kindergärten zu erkennen und zu thematisieren.
http://jungle-world.com/artikel/2013/23/47823.html
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