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Eine Rasse? (Allgemein)

Pack, Sunday, 07.12.2025, 19:48 (vor 5 Stunden, 11 Minuten)

Antimuslimischer Rassismus
Acht Übergriffe pro Tag – kein Aufschrei

Im Schatten von Friedrich Merz' polarisierenden Aussagen entfacht eine intensive Debatte über antimuslimischen Rassismus in Deutschland. Das hat tiefgreifende Folgen.

Wochenlang hat eine Diskussion über das "Stadtbild" Schlagzeilen produziert. Ausgelöst wurden die Debatten durch Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz, der in einer Debatte zu Migration und Abschiebungen von einem "Problem im Stadtbild" sprach.

Bei einem EU-Gipfel präzisierte er: Probleme verursachten diejenigen Migranten, "die keinen dauerhaften Aufenthaltsstatus haben, die nicht arbeiten, die sich auch nicht an unsere Regeln halten". "Viele von diesen bestimmen auch das öffentliche Bild in unseren Städten", so Merz. Deshalb hätten zahlreiche Menschen "einfach Angst, sich im öffentlichen Raum zu bewegen".

Sein Parteikollege und CDU-Fraktionsvorsitzender Jens Spahn ergänzte im "Bericht aus Berlin": "Und es ging nie um Hautfarbe. Es ging nie um Ethnie. Sondern es geht doch um eine kulturell-religiöse Prägung. Es geht um Gewaltaffinität. Das ist ja nicht angeboren, das ist angelernt. Aber es macht eben Probleme im Alltag – ja, auch im Stadtbild."

Die politische Debatte verlagert den Fokus von einzelnen Problemen auf ganze Religionen und Herkunftsräume. Sie richtet den Blick auf eine Realität, die längst Teil des deutschen Alltags ist: den antimuslimischen Rassismus.

Langzeitanalysen des Journalismusprofessors Thomas Hestermann für den "Mediendienst Integration" zeigen nämlich, dass Ausländer in deutschen Medien überrepräsentiert sind, wenn es um Kriminalität geht. Und die Überrepräsentation von ausländischen Tatverdächtigen in Leitmedien ist 2025 stärker denn je.

Folglich prägen die medialen Berichte über Ausländerkriminalität und Terrorismus mit mutmaßlich muslimischen Tätern das Bild von Muslimen in der Öffentlichkeit. Selbst Einzelfälle oder Ereignisse, die keinen Bezug zur Religion haben, werden häufig in Kontexten dargestellt, die auf die muslimische Herkunft oder Religionszugehörigkeit hinweisen. Dadurch entsteht der Eindruck, dass muslimische Communitys ein besonderes Risikoprofil hätten – ein Effekt, der antimuslimische Vorurteile verstärkt und die Aufmerksamkeit auf einzelne Taten lenkt, während Opfer mit muslimischer Identität selbst oft kaum sichtbar werden.

Auch die Gewaltstatistik zeigt einen deutlichen Trend. Das bundesweite Bündnis gegen antimuslimischen Rassismus (Claim) verzeichnete 2024 mehr als 3.000 Übergriffe und Diskriminierungen – ein Plus von 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im Durchschnitt bedeutet das mehr als acht antimuslimische Vorfälle pro Tag, darunter fast 200 körperliche Angriffe und zwei Tötungsdelikte.

Rima Hanano, Co-Geschäftsführerin des Bündnisses, sagt dazu: "Dieses Land hat noch nicht gelernt, Probleme ohne Opferhierarchien zu benennen und zu verstehen, dass es notwendig ist, Rassismus und Antisemitismus ganzheitlich zu betrachten. Wir wissen, dass da, wo Antisemitismus erstarkt, auch antimuslimischer Rassismus erstarkt, und umgekehrt."

Gewalt und Bedrohung
Die politischen und medialen Debatten wirken nämlich nicht im luftleeren Raum. Als Folge dessen wurden allein in den letzten zwölf Monaten in Deutschland mehrere öffentlich dokumentierte Fälle bekannt, in denen Musliminnen und Muslime Opfer von Gewalt oder Übergriffen wurden. Einige prominente Beispiele sind:

Im September 2024 meldeten Medien einen Angriff mit Schwefelsäure in Stralsund: Ein syrischer Mann wurde nach Angaben der Polizei von seinem Nachbarn übergossen und schwer verletzt. Der Täter hatte zuvor mehrfach islamfeindliche Äußerungen gemacht. Der Vorfall wurde als rassistisch motivierter Angriff eingestuft und löste eine bundesweite Debatte über die Zunahme von Hassdelikten aus.

Im Dezember 2024 folgte nach dem Anschlag auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt eine Häufung antimuslimischer Drohungen und Übergriffe. Mehrere Moscheen sowie als muslimisch wahrgenommene Einzelpersonen erhielten Drohschreiben. Medien beschrieben dies als Ausdruck einer rassistisch geprägten Fehlwahrnehmung, obwohl der Täter sich später als Atheist mit arabischem Hintergrund herausstellte.

Im Juli 2025 wurde in Hannover eine 26-jährige algerische Krankenschwester in ihrer Wohnung erstochen. Der mutmaßliche Täter, ein 45-jähriger Deutscher, hatte zuvor islamfeindliche Kommentare in sozialen Netzwerken veröffentlicht und Gewaltfantasien gegen Muslime geteilt. Der Vorfall wurde als rassistisch und islamophob motiviert eingestuft und löste in muslimischen Communitys eine Debatte über fehlende Medienberichterstattung und unzureichenden Polizeischutz aus, da der Fall zunächst wenig Aufmerksamkeit erhielt.

Solche Vorfälle verdeutlichen exemplarisch, welche praktischen Folgen politische Narrative und mediale Berichterstattung für Muslime haben. Noch häufiger als akute Gewalt erfahren Musliminnen und Muslime jedoch strukturelle Benachteiligung im Alltag.

Diskriminierung im Alltag
Religiöse Praktiken werden oft nur eingeschränkt oder vorsichtig ausgeübt – im Beruf, im Studium oder im öffentlichen Raum. Viele Muslime lernen früh, wie sie ihr Verhalten anpassen müssen, um Konflikte zu vermeiden.

Die 25-jährige Amina A., Angestellte in einem Frankfurter Versicherungsunternehmen, trägt kein Kopftuch, betet aber regelmäßig und fastet im Ramadan. "Bei der Arbeit muss ich darauf achten, dass ich meine Religion nicht zeige. Manchmal verzichte ich auf Fasten oder Gebet, nur um nicht aufzufallen."

Auch die 19-jährige Politikwissenschaftsstudentin Fatima S. aus Berlin beschreibt das Gefühl einer gespaltenen Identität: "Ich habe das Gefühl, zwei Leben zu führen: eines für die Öffentlichkeit und eines für mich und meine Familie. Im Studium trage ich oft kein Kopftuch, um nicht aufzufallen."

Hamza T., Arzt in Hamburg, ist in Deutschland geboren und Sohn pakistanischer Einwanderer. Der 30-Jährige bezeichnet sich selbst als "liberal gläubig": "Wenn Anschläge irgendwo passieren, spüre ich die Blicke der Leute sofort. Niemand sagt etwas, aber ich fühle mich ständig beobachtet, als müsste ich mich rechtfertigen."

"Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für viele"
Diese Erfahrungen sind keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer strukturellen Realität. Der Jurist und Islamwissenschaftler Mathias Rohe bringt es in dem Bericht des Expertenrats Muslimfeindlichkeit (UEM) auf den Punkt: "Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für viele." Vorurteile gegenüber Muslimen seien nicht nur am Rand der Gesellschaft zu finden, sondern tief in alltäglichen Strukturen verankert.

Die Sozialwissenschaftlerin Iman Attia beschreibt das Muster so, dass "Muslime in allen Lebensbereichen diskriminiert werden; auf der Suche nach Wohnung oder Arbeit, im Bildungs- und Gesundheitswesen, in Behörden und Betrieben, in öffentlichen Verkehrsmitteln und im öffentlichen Raum, im Wohnumfeld und in der Familie."

Solange diese Mechanismen subtil auftreten, bleiben sie unsichtbar. Attia ergänzt: "Sie erfahren auf vielfältige Weisen, dass sie nicht hierhergehören und an einer Reihe von Missständen in Deutschland schuld seien: an Gewalt an Schulen und schlechten PISA-Ergebnissen, an Gewalt gegen Frauen und Homosexuelle, an Antisemitismus und Terrorismus."

Gesellschaftliche Dimension
Antimuslimische Diskriminierung ist kein Randphänomen. Zwischen fünf und sechs Millionen Muslime leben in Deutschland, und die steigende Zahl dokumentierter Übergriffe zeigt, dass Diskriminierung systematisch ist und weit über Einzelfälle hinausgeht. Diese strukturelle Benachteiligung wirkt auf die gesamte Gesellschaft: Vertrauen, Solidarität und Zusammenhalt werden untergraben, weil ein Teil der Bevölkerung permanent ausgegrenzt und als "anders" markiert wird.

Der Bericht des UEM zeigt: Seit rund 20 Jahren belegen verschiedene Studien, wie stark Muslimfeindlichkeit in Deutschland verbreitet ist und wie sich dieses negative Klima verfestigt hat. Laut dem Religionsmonitor der Bertelsmann-Stiftung ist jeder Zweite islamfeindlich eingestellt; dieser hohe Wert hat sich über die Zeit kaum verändert. 45 Prozent der Bevölkerung lehnt einen muslimischen Bürgermeister für die eigene Gemeinde ab – allein aufgrund der Glaubenszugehörigkeit. Jeder Dritte fordert die Einschränkung der islamischen Glaubensausübung und stimmt damit gegen das Grundrecht auf Religionsfreiheit.

Diese Beispiele machen deutlich, dass muslimfeindliche Vorbehalte nicht nur individuelle Betroffene treffen, sondern die Gesellschaft insgesamt belasten. Sie verhindern gleichberechtigte Teilhabe, erzeugen Unsicherheit und Misstrauen und setzen demokratische Grundprinzipien unter Druck, wenn Vorbehalte in Forderungen nach Einschränkungen von Rechten münden.

Der UEM empfiehlt in seinem Abschlussbericht, den Schutz von Muslimen im öffentlichen Raum konsequent zu gewährleisten und Muslimfeindlichkeit immer im Zusammenspiel mit rassistischen Strukturen zu betrachten. Zudem sollten Bund und Länder ressortübergreifende Strategien entwickeln, die gleichberechtigte Teilhabe, Repräsentation und Empowerment von Muslimen fördern. Dazu gehören die Einrichtung eines Bundesbeauftragten und eines Sachverständigenrats, die Verbesserung der Ausbildung und Fortbildung in staatlichen Institutionen sowie der Ausbau von Beratungs- und Beschwerdestellen.


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