Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Manipulation im Interesse einer Religionsgemeinschaft

Mus Lim ⌂, Friday, 06.11.2009, 18:26 (vor 5898 Tagen)

Manipulation im Interesse einer Religionsgemeinschaft

Nicht selten geschieht eben das im Bereich organisierter Religiosität. Sicherlich ist die religiöse Bildung eine der wichtigsten Aufgaben elterlicher Erziehung, insofern Religiosität einer der Gründe ist, in denen Menschsein wurzelt. Aber es kommt darauf an, diese Religiosität nicht zu einer Dressurangelegenheit zu verfälschen. So darf es nicht vorkommen, daß Gott als lohnende und strafende Instanz ins kindliche Überich implantiert wird. In diesem Fall wird sich keine eigentliche Religiosität entfalten können, die doch auf freier, von göttlicher Gnade begleiteter und in Gang gesetzter Willensentscheidung beruht.

Die Implantation der Vorstellung eines übermächtigen lohnenden und strafenden Gottes wird nicht selten besorgt durch hilflose Eltern, die ihre Autorität letztlich auch in deren Einzelentscheidungen auf Gottes Willen begründen (>Du mußt das tun, weil Gott es will!" - >Wenn du das nicht tust, wird Gott ganz traurig!" - >Wenn du nicht gehorchst, kommst du in die Hölle!" ...). Die so ausgebildete >Religiosität" ist vergleichbar der eines Dackels bezüglich seines Herrchens.

Eigentliche Religiosität ist Ich-Religiosität; das heißt, sie wird begründet, wenn die konkreten handlungsleitenden Wertorientierungen theistisch-religiös ausgemacht und festgelegt werden.

Mit dieser Implantation eines >Gottbildes" ins Überich werden zumeist auch konkrete kirchliche Orientierungsmuster vermittelt. So geschieht die Sozialisation keineswegs immer primär im Interesse einer radikalen Religiosität, sondern einer unkritischen Kirchlichkeit. Unkritisch nenne ich eine Kirchlichkeit, die wieder primär und vor allem überich-orientiert ist und durch Überich-Mandate zustandekommt und aufrecht erhalten wird (>Man ist halt katholisch, evangelisch ..."). Die Bindung an eine Religionsgemeinschaft sollte auch Sache der freien und verantworteten Ich-Entscheidung sein und nicht schon derart präformiert werden, daß gegen eine solch, Fixierung nur eine Lösung unter Schuldgefühlen möglich ist, wie sie sich bei Überich-Ungehorsam einzustellen pflegen.

Sicherlich ist jede Religionsgemeinschaft, wie jede andere menschliche Gesellschaft, daran interessiert, ihren >sozialen Besitzstand" zu wahren und, wenn möglich, zu mehren. Nur sollte man nicht zu den Mitteln der Manipulation greifen. Kirchlichkeit wird dann wichtiger als Religiosität. Das ist pervers.

Manipulation in dieser Richtung ist durchaus auch möglich in konfessionell gebundenen Kindergärten oder Schulen, wenngleich sie heute zunehmend seltener geworden ist. Doch kaum hat das Bemühen kirchlich orientierter Eltern (und das ist nicht zu verwechseln mit religiöser Orientierung, die, obschon an >Gemeinschaft" gebunden, doch nicht unbedingt an eine bestimmte fixiert sein wird) nachgelassen, ihre Kinder in dieselbe Religionsgemeinschaft hineinzuerziehen, der sie selbst angehören. Dieses Bemühen ist durchaus verständlich und auch durchaus zu rechtfertigen, wenn es nicht manipulatorisch geschieht und nicht über Überich-Fixierungen. Vor allem hat jede Form von Bestrafung hier keine Berechtigung. >Religionsfreiheit" in dem Sinne, wie etwa das Zweite Vaticanum davon spricht, ist auch für die Familie und in der Kindererziehung zu fordern.

Die religiöse Manipulation

Die religiöse Manipulation kennt mancherlei Gesichter. Sie ist oft auch die sublimste und eine schwer zu entlarvende Form der Manipulation. Es geht hier um die Verhaltensbeeinflussung des Menschen zum Nutzen >Gottes", wobei aber die Manipulation entweder im Namen Gottes geschieht oder auf etwas hin, das man nicht mit dem Namen >Gott" bezeichnen sollte. Davon hergeleitet gibt es die Manipulation des Religiösen zum Nutzen bestimmter Institutionen, die vorgeben, Gottes Willen und Wissen zu verwalten. [1] Die Schwierigkeit des Geschäftes, hier Manipulation von berechtigten Anforderungen zu trennen, die vor allem zum Nutzen des Beeinflußten gestellt werden, ist offensichtlich. Denn diese Trennung setzt ein sicheres Verfahren voraus zu entscheiden, wo und wie sich denn Gottes Wille und Wissen legitim präsentieren. Dennoch scheint es einige Ausdrucksformen zu geben, in denen man sicher zu Recht von >Manipulation" sprechen kann. Es seien hier genannt:

* Die Einführung eines lohnenden und strafenden Gottes zum Zweck des Durchsetzens bestimmter >sittlicher" Normen oder sozialer Verhaltensweisen innerhalb einer Religionsgemeinschaft.
* Die sich vom Religiösen sozial abspaltende Eigenwirklichkeit religiöser Einrichtungen oder von Religionsgemeinschaften.
* Die milieuhafte Verkümmerung von Weltbemächtigung innerhalb von Religionsgemeinschaften.
* Der Umgang mit Schuldgefühlen zum Nutzen von Religionsgemeinschaften.
* Das Verteilen von Ketzerhüten und das Richten >vor dem Tag der Ernte".
* Die Theologisierung der Religiosität.

Dieser (unvollständige) Katalog mag zeigen, daß religiöse Manipulation stets ein Nutzenziel hat: die religiöse Gemeinschaft. So könnte man sie durchaus auch zu den sozialen Manipulationen rechnen.

[...]

Das Wort vom mündigen Christen geistert seit etwa zwanzig Jahren durch die religiöse Literatur. Sicherlich gibt es ihn, den Christen, der seine religiöse Fundierung und seinen religiösen Ausdruck (und hierher gehört auch seine kirchliche Bindung nach Art und Intensität) aus der Grundorientierung des Ich bezieht, also aufgrund von kritischen Entscheidungsprozessen zu Gott und Kirche steht. Ein solch emanzipiertes Glauben wird sicherlich nicht der Selbstverwirklichung entgegen sein. Im Gegenteil: Hier wird einer der radikalen Gründe vom Menschsein realisiert, einer der Gründe, der wie alle anderen archai jedem menschlichen Vollzug einerseits voraus ist, zum andern aber ihn realisiert. So kommt es zur Selbstverwirklichung. Aber "mündige Christen" sind ebenso selten wie >mündige Bürger" oder >mündige Verbraucher". [2] (Seite 239f)

[1] In islamischen Ländern gibt es eben auch Institutionen, die vorgeben, Gottes Willen und Wissen zu verwalten.
[2] Das dürfte auch auf viele Moslems zutreffen.

Rupert Lay, "Manipulation durch die Sprache", Ullstein 1990, ISBN: 3-548-34631-6

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