Stars auf Bewährung
... Auszüge aus dem Artikel der SPIEGELINE:
Die No Angels waren lange Deutschlands erfolgreichste Casting-Band. Sie bereiteten ihr Comeback vor, als eine von ihnen verhaftet wurde, als angebliche Sex-Verbrecherin. Das könnte die Band vernichten - oder den Durchbruch bedeuten.
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Sie werden zu den Königinnen, die sie mal waren.
In Weiß und Silber sind sie gekleidet, ungeheuer sexy, die Augen sind priesterinnenhaft verlängert, und wo die Haarteile eingesetzt sind, bleibt Andreas' Geheimnis - Andreas, der sanfte, feminine Andreas aus Berlin, hat ganze Arbeit geleistet, mit den Frisuren und Massen von Eye Shadow, Lashes, Kajal, Mascara, Gloss, Blush, Fluid, Metallic, Finish. Und Nico, von der Plattenfirma, Head of TV Promotion, hat schon mal das Klebeband in vier Zentimeter kleine Schnipsel vorgeschnitten und reicht sie an, und so können die Frauen ihre Brüste hochdrücken und schön festkleben.
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Nadja geht als Letzte, bleibt etwas zurück.
Khalid schiebt sich unauffällig zu ihr hin. Ob alles okay sei? Ob sie Angst habe - vor dem, was sie da oben erwartet?
Nein, sagt sie, alles in Ordnung. Sie beißt sich auf die Lippe.
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Der RTL-Reporter, der es auf Nadja abgesehen hat, lässt nicht locker, he, Nadja, he, Nadja, nur drei Fragen, he Nadja.
He, Nadja, komm doch mal!
Sie zuckt zusammen, ein Reh, das Schüsse hört, Khalid geht dazwischen, schüttelt den Kopf. Die No Angels stehen dieser Tage praktisch jedem Medium zur Verfügung, eine Schülerzeitung aus Herne kriegt ein halbstündiges Interview; nur nicht RTL und die "Bild"-Zeitung.
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Nadja litt während der Erfolgsphase am meisten unter dem zermürbenden Wechsel zwischen Bühnenglanz und privater Einsamkeit. Sie erzählt von Nächten in Luxushotels, nach der bejubelten Show, wenn sich die Tür ihrer Suite klickend hinter ihr schloss und sie in dieser feinen Umgebung auf dem feinen Bett saß, nichts anzufassen wagte, den mit Zellophan bespannten, schleifenverzierten Obstkorb anstarrte, aufgedreht und ausgebrannt zugleich, und sich fragte: Was mache ich hier eigentlich?
Man kann annehmen, dass Nadjas Anlehnungsbedürfnis und Sehnsüchte sie anfällig machten für falsche Freunde, Männer, die den Skalp eines Popstars an ihrem Gürtel wollten. Dazu kam Nadjas Herkunft: der Vater ein marokkanischer Kellner, die Mutter deutsch-serbisch. Nadja wuchs auf in einem orientalischen Milieu, in dem der individuelle Erfolg bitte schön der ganzen Sippe gehört. Nadja war mehr Wünschen und Erpressungen ausgesetzt, als sie erfüllen konnte.
So fiel sie nach der Trennung in ein tieferes Loch als die anderen Frauen. Sie spürte täglich, wie der Glamour verblasste, sie verlieh Geld, sie verschuldete sich. Sie gab sich Mühe, es allen recht und alles richtig zu machen und verzweifelte daran.
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Zwei rechtliche Güter müssen im Fall Nadjas abgewogen werden: der Schutz der Privatsphäre einerseits - und andererseits das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, ob und wie ein Popstar und Teenie-Idol gegen das Gesetz verstoßen haben sollte. Nadja hat ihr halbes Leben lang darum gekämpft bekannt zu werden. Mit der Prangerwirkung, so die Darmstädter Staatsanwaltschaft, müsse eine Person der Zeitgeschichte leben - falls sie sich strafbar gemacht hat.
Hat sie das? Der Beweis ist noch nicht erbracht, Nadja aber schon am Pranger.
So scheint dies die entscheidende Frage: Hat Nadja Benaissa, geboren am 26. April 1982 in Frankfurt am Main, billigend oder vorsätzlich Männern ihre HIV-Infektion verschwiegen, um sie beim Sex anzustecken?
Diese Frage ist aufwühlend, sie bricht ein in die intimste Intimsphäre von Täter und Opfer, von Erotik und Gewissenslast, von Sex und Tod - und dennoch sollte man mit der Antwort vorsichtig sein.
Das HI-Virus mit seinem Genom aus 9300 Basenpaaren ist extrem dynamisch, es mutiert ständig, und je länger die mögliche Ansteckung zurückliegt - im vorliegenden Fall wären es fünf Jahre -, desto schwieriger wird es, den Infektionspfad von Person A zu Person B genau nachzuzeichnen. Außerdem kann, selbst wenn A und B Sex miteinander hatten, die Infektion anders erfolgt sein. Sie kann über C und D gelaufen sein - falls A und B promiskuitiv lebten, was im Fall der Nadja Benaissa und des infizierten Mannes zumindest nicht ausgeschlossen scheint.
Was weiß man überhaupt, was kann man wissen - Jahre nach einer alkoholisierten Liebesnacht? Was wurde gesagt, von wem, und wie ausdrücklich wurde es gesagt? Diskutiert wurde nicht viel in dem Milieu, in dem Nadja und der Infizierte sich bewegten, das Milieu der Frankfurter Rapper und Clubmanager und Kleindealer und Frauen, die ins Showgeschäft wollen. Eine Frau ist eine Tusse. Ein Mann muss sich Respekt verschaffen, ansonsten: Lebe riskant, lebe gefährlich, lebe jetzt!
Nadja hat bisher geschwiegen, und sie schweigt weiter, auf Anraten ihres erfahrenen Mainzer Strafverteidigers. Ihre Aussage hätte ein enormes Gewicht, es ist ein Trumpf, den zu früh zu spielen sie sich hütet. Möglicherweise wird der Prozess in einigen Monaten eröffnet, vielleicht wird das Verfahren aber auch eingestellt. Was die Anklage stärken könnte, wären Zeugen - wären sechs, sieben, acht Männer, deren Aussagen sich ergänzten und die ein Muster in Nadjas Verhalten als femme fatale bestätigen würden. Solange es diese Zeugen nicht gibt, steht eine Aussage gegen eine Nichtaussage.
Was für ein verlogener Drecksartikel. Wenn es sich um einen Mann gehandelt hätte ... ach, was red´ ich da noch drüber ...
- Hemsut
Stars auf Bewährung
Hallo Hemsut!
Zwei rechtliche Güter müssen im Fall Nadjas abgewogen werden: der Schutz der Privatsphäre einerseits - und andererseits das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit zu erfahren, ob und wie ein Popstar und Teenie-Idol gegen das Gesetz verstoßen haben sollte.
Die wollen uns ernsthaft einreden, Ansteck-Naddel wäre nur verhaftet worden, damit die Öffentlichkeit erfährt, ob sie sich strafbar gemacht hat???
Das zweite Rechtsgut, das hier relevant ist, ist der Schutz der Öffentlichkeit vor einem Menschen, der weiß, daß er mit einer ansteckenden Krankheit infiziert ist, trotzdem aber keinerlei Vorkehrungen trifft, um andere Menschen vor Ansteckung zu schützen, sondern sogar ganz im Gegenteil anderen seine Infektion nicht nur verschweigt, sondern sie ganz bewußt dem Risiko einer Ansteckung aussetzt. Und der selbst, wenn er von den Behörden aufgefordert wird, dies zu unterlassen, stur so weitermacht und keinerlei Einsicht zeigt. So daß der Staatsanwaltschaft letztendlich zum Schutz der Öffentlichkeit keine andere Wahl bleibt als die Infektion dieses Menschen öffentlich bekannt zu geben.
Wieso wird dieser wesentliche Punkt in dem Artikel nicht angesprochen? (Nur eine rhetorische Frage...)
Freundliche Grüße
von Garfield