Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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ARGUMENTATIONSLEHRE (einfach)

Mirko, Sunday, 19.07.2009, 02:05 (vor 6006 Tagen)

Die meisten hier werden schon mal im Disput mit einer Feministin gelegen haben, meist in anderen Foren. In einer Diskussion werden Argumente ausgetauscht; der von mir eingestellte Text behandelt diese verschiedene Argumentationsformen. Was natürlich nicht hilft, wenn der Gegner unsachlich vorgeht, aber dennoch:

**********************************************

Das Verallgemeinerungsprinzip und das Ausnahmeargument

In moralischen Argumentationen wird sehr oft ein Prinzip der Verallgemeinerung
benützt, und zwar meist destruktiv, um eine These zu
verwerfen. Man nehme etwa die These Ich darf stehlen und betrügen,
soviel ich will, wenn ich mich nur nicht erwischen lasse.
Um zu zeigen,
daß das keine akzeptable Einstellung ist, weist man darauf hin, wie
ungemütlich eine Gesellschaft wäre, in der alle Menschen sich diese
egoistische Position zu eigen machen. Wo kämen wir hin, wenn alle so
handeln würden!
Wer so argumentiert, benützt als allgemeines Prinzip
irgendeine Version der berühmten "Goldenen Regel" Was du nicht
willst, daß man dir tu ...,
z.B. folgende: Handlungen oder Verhaltensweisen, die unerträglich wären, wenn jedermann sie sich zu eigen
macht, sind moralisch schlecht und gehören verboten.

Ohne Zweifel wird das Universalisierungsargument in vielen Fällen
sinnvoll eingesetzt. Aber es ist bestimmt nicht absolut selbstverständlich
und kann aus verschiedenen Gründen zurückgewiesen werden. Man
kann z. B. die Anwendbarkeit des Prinzips einschränken: Wenn die
meisten anderen Menschen mit Sicherheit ohnehin nicht so handeln
werden wie ich, so besteht kein Anlaß für mich, mir darüber den Kopf
zu zerbrechen, was wäre, wenn etc. Ein Dieb wird zugeben, daß das
Leben unerfreulich wäre, wenn alle Menschen ständig stehlen würden,
wird aber hinzufügen, daß eben keineswegs alle Menschen dauernd
stehlen. Wir müssen unser Leben an der Realität orientieren und nicht
an hypothetischen Konstruktionen, wird er hinzusetzen.
Das Verallgemeinerungsprinzip wird oft durch eine Ausnahmeklausel
außer Kraft gesetzt.

[...]

In der Ausnahmebestimmung wird ein allgemeines Prinzip (etwa, daß
man gegenüber anderen Meinungen tolerant sein solle) grundsätzlich
anerkannt und zugleich für einen bestimmten, singulären Fall außer
Kraft gesetzt. Deshalb braucht der Kritiker auch nur die spezielle
Ausnahmebestimmung anzugreifen, um die Anwendbarkeit des
allgemeinen Prinzips zu garantieren. Typische Ausnahmeargumente
sind: a) Die Wahrheit (meiner Religion etwa) darf mit den Irrtümern
(aller anderen Religionen) nicht auf dieselbe Ebene gestellt werden. b)
Was für mein Volk, mein Land, meine Partei, meine Kirche, meinen
Gott geschieht, ist in jedem Fall gut.


Gerechtigkeits- oder Gleichheitsprinzipien

Hier argumentiert man mit dem allgemeinen Satz: Wesen, Vorfälle oder
Fakten derselben Kategorie sollen auf die gleiche Weise behandelt werden.

Dieses Prinzip wird als solches kaum diskutiert, denn es ist sehr abstrakt;
strittig sind seine konkreten Anwendungen.
Die Versuchung liegt nahe, das Prinzip als Kern einer Argumentation für
die Demokratie zu benützen. Alle Menschen sind von Natur aus gleich, ist ein Argument, dem man nicht gerne widerspricht; zusammen mit dem
Gerechtigkeitsprinzip liefert es unter Umständen die These, daß die
Demokratie die einzige gerechte Staatsform ist.
Aber die Menschen sind nicht gleich, sonst könnte man sie nicht
einmal mit Namen unterscheiden. Sie sind höchstens in gewisser Hinsicht
gleich, oder genauer: Wenn man genug nachdenkt, findet man
irgendwelche Gleichheiten. Angriffe gegen eine Gleichheitsargumentation
brauchen sich deshalb kaum gegen das abstrakte Gleichheitsprinzip zu
richten, auch nicht gegen die Behauptung, die Menschen seien in gewisser
Hinsicht
alle gleich, denn letzteres ist trivial.
Hobbes eröffnet seine politische Philosophie mit folgender Argumentation:
Die Natur hat die Menschen hinsichtlich ihrer körperlichen und geistigen
Fähigkeiten so gleich geschaffen, daß trotz der Tatsache, daß
bisweilen der eine einen offensichtlich stärkeren Körper oder gewandteren
Geist besitzt als der andere, der Unterschied zwischen den
Menschen alles in allem doch nicht so beträchtlich ist, als daß der eine
aufgrund dessen einen Vorteil beanspruchen könnte, den ein anderer
nicht ebensogut für sich verlangen dürfte. Denn was die Körperstärke
betrifft, so ist der Schwächste stark genug, den Stärksten zu töten -
entweder durch Hinterlist oder durch ein Bündnis mit anderen ...4

Die gleiche körperliche Verletzlichkeit aller Menschen, mit der
Hobbes operiert, läßt sich nicht in einer Argumentation für die Demokratie
verwenden (was Hobbes auch nicht tut); eher könnte die
Gleichheit der Verletzlichkeit aller Menschen ein Argument für die
Gleichheit des Schutzbedürfnisses liefern und in weiterer Folge vielleicht
ein Argument dafür, daß der Staat allen Bürgern den gleichen Schutz
bieten müsse.
Generell läßt sich die Gleichheit in gewisser Hinsicht bestenfalls als
Argument für eine Gleichbehandlung in gewisser Hinsicht benützen; in
jedem Fall aber muß das Gleichheitsprinzip stark spezifiziert und
eingeengt werden.


Dilemma bzw. Fallunterscheidung

Diese Figur besteht aus zwei Argumenten, nämlich, (1) daß es außer
der These T nur noch endlich viele andere, einschlägige Möglichkeiten
gibt (im Fall des Dilemmas: daß es insgesamt nur 2 Möglichkeiten
gibt, neben der These T also nur noch eine weitere); (2) daß keine der
anderen Möglichkeiten der Fall ist bzw. in Frage kommt. Daraus folgt
dann logisch zwingend die Wahrheit der These T. Als Prinzip wird
hier ein logisch wahrer Satz benützt,5 an dem nichts zu kritisieren ist.
Deswegen kann man die Argumentation nur angreifen, indem man
zeigt, daß (1) die Aufzählung der Möglichkeiten nicht vollständig ist
oder (2) daß keineswegs alle anderen Möglichkeiten, ausgenommen T,
ausscheiden. Zum Beispiel: In vielen Ländern der dritten Welt sind
Diktaturen wünschenswert; diese Länder haben nämlich nur zwischen
Freiheit und Hunger zu wählen, und satt zu sein, ist wichtiger.

Diese Argumentation für die Etablierung von Diktaturen geht davon
aus, daß (1) Freiheit und ausreichende Ernährung der Bevölkerung
unter den gegebenen Umständen einander ausschließende Ziele sind,
und daß weitere relevante Wahlmöglichkeiten nicht bestehen; und (2)
daß Freiheit, gekoppelt mit Hunger, nicht wünschbar ist. Werden diese
beiden Argumente akzeptiert, so hat man eine korrekte Argumentation
für die Etablierung von Diktaturen.
Beliebt bei Fanatikern aller Art ist ein Prinzip, das die Form eines
Dilemmas hat: Wer nicht für mich ist, ist gegen mich. Der Satz verschweigt geflissentlich, daß es zumindest noch eine dritte Möglichkeit
gibt, nämlich Gleichgültigkeit und Desinteresse der betreffenden Lehre
gegenüber.
Eine andere Anwendung des Dilemmas besteht (1) in der erschöpfenden
Aufzählung aller einschlägigen Möglichkeiten für die Geltung
einer These T, und (2) dem Nachweis, daß keine einzige dieser Möglichkeiten
verwirklicht ist oder sein kann. Daraus folgt schlüssig, daß T
falsch ist. Der israelische Historiker Moshe Zimmermann7 vertritt die
These, daß in Europa der Antisemitismus keine ernsthafte Gefahr mehr
bilde, weil seine Ursachen nicht mehr existieren. Es habe nämlich nur
folgende Ursachen gegeben: religiöse Verhetzung durch die christlichen
Kirchen, soziale Mißstände (für die man jüdische Fabrikanten und
Bankiers verantwortlich machte) und nationale Probleme.8 Alle diese
Ursachen seien inzwischen weggefallen, also bestehe die Gefahr des
Antisemitismus (in Europa) nicht mehr.
Die Argumentation benützt (1) eine Fallunterscheidung für die UrSachen eines Phänomens, (2) die Behauptung, keine der aufgezählten
Möglichkeiten sei verwirklicht. Es ist klar, daß (1) und (2) anfechtbar
sind. In (1), so könnte man z. B. einwenden, seien nur rational einsehbare
Ursachen aufgezählt, es könnte aber leider auch andere, irrationale
Ursachen geben, etwa ein Bedürfnis nach einem Haßobjekt.
Auch Epikurs Darstellung des Theodizeeproblems, von der früher
die Rede war, benützt die Fallunterscheidung. Man erinnere sich, es
geht um die Frage, ob Gott die Übel dieser Welt hätte vermeiden
können oder nicht und ob er die Übel vermeiden wollte oder nicht.
Dies ergibt die von Epikur aufgelisteten möglichen Kombinationen.
Epikur zeigt, daß keine von ihnen mit den Grundprinzipien der Religion
verträglich ist, genauer: daß es keine befriedigende Erklärung für die
Übel dieser Welt gibt, die mit den traditionell angenommenen
Eigenschaften der Gottheit verträglich ist.

Relativierung

Wir beginnen mit einem logischen Prinzip: Wenn es über eine Frage
mehrere, konkurrierende Thesen gibt, dann können diese nicht alle
gleichzeitig wahr, wohl aber alle gleichzeitig falsch sein,

Die Relativierung ist eine vorwiegend destruktiv benützte Argumentationsfigur.
Zu diesem Zweck wird der anzugreifenden These ein
Platz in einer größeren Menge von Alternativen angewiesen und damit
ihr Einmaligkeitsanspruch angezweifelt. Als Argument gegen die
These wird vorgebracht, daß über den in ihr behandelten Sachverhalt
auch ganz andere Standpunkte vertreten werden. Der daoistische Philosoph
Zhuangzi (China, 4. Jhdt. v. u. Z.) benützt das relativierende
Verfahren in vielen Variationen, etwa wie folgt:
Wenn der Mensch an einem feuchten Ort schläft, bekommt er Rheumatismus
und ist wie gelähmt. Nicht so der Schlammbeißer. Aber wenn
der auf einem Baum sitzt, dann zittert er vor Angst. Und wie steht es
mit den Affen? Wer von ihnen kennt also den richtigen Platz zum
Leben?
Der Mensch ißt Mastvieh, der Hirsch frißt Gras, der Tausendfüßler
delektiert sich an Würmern, die Eule frißt Mäuse. Wer von ihnen besitzt
also den richtigen Geschmack? Die Menschen haben ihre Schönheitsköniginnen;
aber wenn ein Fisch so eine Schönheit sieht, taucht er in
die Tiefe, und wenn ein Vogel sie sieht, fliegt er davon. Wer von ihnen
weiß also, was auf Erden wirklich schön ist?

Was kann man mit diesem Argument eigentlich nachweisen, und
was will man damit nachweisen, welches Prinzip wird hier (stillschweigend)
verwendet? Es kommen zweierlei Prinzipien in Frage. Das
eine sagt:
(P1) Wenn über die Zuschreibung eines Begriffes K verschiedene
Beobachter zu verschiedenen Urteilen gelangen, dann muß K relativiert
werden.

Das heißt: Wenn zwei Beobachter B1 und B2 einander widersprechende
Urteile über denselben Sachverhalt abgeben, so ist das kein
Widerspruch, denn was B1 für K (z. B. für schön) ansieht, kann für B2
eventuell auch non-K (z. B. häßlich) sein. Deshalb ist der ursprüngliche,
"absolute" Begriff K als unbrauchbar zu verwerfen. Man kann nicht
schlechthin von einem idealen Lebensraum oder von Schönheit
sprechen. An die Stelle des Begriffs schön treten Begriffe wie schön für einen Affen, schön für einen Hund, schön für einen Menschen. Die Relativierung hat einen Hauch von Nihilismus an sich, weil man nicht
mehr naiv fragen kann: Was ist schön? Was ist häßlich?
Die Relativierung wird deutlich ungemütlicher, wenn es um moralische
Fragen geht. Ein und dieselbe Handlung wird vielleicht von
verschiedenen Menschen oder Völkern als gut bzw. schlecht angesehen.
Akzeptiert man hier das Prinzip (P1), so darf man nicht mehr
fragen, ob eine Handlung gut sei oder schlecht, sondern nur noch, ob sie
von bestimmten Menschen oder Kulturen für gut gehalten werde.
Noch kritischer wird es, wenn an die Stelle des Begriffes wahr relativierte
Begriffe wahr für mich, wahr für dich treten sollen. Damit
geht ein Begriff verloren, auf den wir kaum verzichten wollen, der
Begriff der Wahrheit. Hier stoßen wir auf eine typische Schwierigkeit
bei allen Argumentationen, deren Ziel die Toleranz ist, d. h. die Duldung
von mehreren, einander widersprechenden Meinungen, Glaubensbekenntnissen,
Ideologien. Im 16. Jahrhundert plädiert zum
Beispiel der Basler Humanist Castellion mit folgenden Worten für
Toleranz:
Nachdem ich viel darüber geforscht habe, was denn ein Häretiker sei,
habe ich nichts anderes gefunden als dies: Als Häretiker bezeichnen wir
alle, die nicht mit unserer Ansicht übereinstimmen. Das zeigt sich
daran, daß es kaum eine Sekte gibt (und sie sind heute zahllos), welche
nicht die anderen für häretisch hält. Das geht so weit, daß du, wenn du
in einer Stadt für rechtgläubig giltst, in der nächsten ein Häretiker bist.
So muß, wer heute in Frieden leben will, soviele Religionen haben, wie
es Städte oder Sekten gibt.

Hier wird der Begriff Häretiker relativiert zu Häretiker in den Augen eines so-und-so Gläubigen. Es folgt damit die Möglichkeit, daß
Religionen einander widerspruchsfrei wechselseitig für Häresien halten.
Dies hat die Konsequenz, daß auch der Begriff der Rechtgläubigkeit und
damit der (religiösen) Wahrheit relativiert wird. Jede Sekte, jede
Konfession, jede Ideologie beansprucht aber, im Besitz der einen,
absoluten, einzigen Wahrheit zu sein. Dem Verfechter von Toleranz
kann nun vorgeworfen werden, er bestreite die Existenz einer solchen
absoluten Wahrheit überhaupt, womit die ganze Religion der Beliebigkeit
ausgeliefert werde. In vielen Fällen zwingt aber die historische
Situation den Anwalt der Toleranz, einen derartigen Vorwurf entschieden
zurückzuweisen. Er wird also einräumen, daß es natürlich nur
eine einzige Wahrheit, eine einzige wahre Religion gebe. Oft ist dies
auch seine ehrliche Überzeugung.
Ist dies aber einmal eingeräumt, so wird die Toleranzargumentation
schwierig. Denn der Wahrheit kommt doch sicher ein Sonderstatus zu.
Daß es zu einer wahren These T oder der einen wahren Religion
unbegrenzt viele konkurrierende, aber falsche geben kann, ist trivial und
ändert nichts an der Sonderstellung der Wahrheit. Es ist für die
Wahrheit eines Satzes unerheblich, wieviele konkurrierende, falsche
Meinungen dazu geäußert werden.
Der Anwalt der Toleranz kann deshalb am ehesten für folgendes
Prinzip eintreten: (P2) Wenn es über eine Frage mehrere, voneinander
abweichende Ansichten gibt, zwischen denen man nicht entscheiden
kann, soll man gegen alle diese Ansichten tolerant sein.

Fatalerweise wird jeder überzeugte Anhänger einer Religion oder
Ideologie aber bestreiten, daß zwischen wahrem und falschem Glauben,
zwischen Orthodoxie und Häresie nicht objektiv und endgültig
entschieden werden könne. Folglich sei das gerade formulierte Toleranzprinzip
ohnehin nicht anwendbar. So kann es dahin kommen, daß
die streitenden Parteien sich in einem Punkt einig sind, der Verdammung
des Aufklärers, der für Toleranz eintritt.

Das slippery-slope-Prinzip

Man argumentiert für eine These über einen strittigen Fall, indem man
auf einen anderen, nach allgemeiner Meinung unstrittigen, schrecklichen
hinweist, und behauptet, daß der strittige Fall nur eine Vorstufe
des schrecklichen sei. "Wehret den Anfängen!" ist eine prägnante
Kurzfassung dieses Prinzips: Abtreibung gehört verboten, denn wenn
man einmal damit beginnt, Leben zu zerstören, wo wird es noch Grenzen
geben! Abort in der 1. Woche soll erlaubt sein, in der 30. Woche nicht,
das ist inkonsequent! Und warum nicht auch Alte und Kranke töten?

Analog kann gegen die Anwendung gentechnischer Verfahren argumentiert
werden. Welche natürlichen oder unmittelbar einleuchtenden
Grenzen gibt es für die Veränderung menschlichen Erbguts, wenn sie
einmal möglich sein wird?
Das Prinzip der slippery-slope-Argumentation könnte lauten: Angenommen,
zwischen X und Y gibt es keine scharfen Unterschiede oder
Grenzen, sondern einen allmählichen, graduellen Übergang. Wenn X
getan oder erlaubt wird, so wird deshalb über kurz oder lang auch Y
getan oder erlaubt werden.

Je nachdem, ob man ein Prinzip dieser Art akzeptiert oder nicht, wird
die slippery-slope-Argumentation akzeptabel sein oder nicht. Sichtlich
kommt es darauf an, was für X und Y eingesetzt wird. Was wäre etwa
von der folgenden Behauptung zu halten? Zwischen dem Töten von
Tieren und dem von Menschen besteht kein natürlicher Unterschied;
Wenn also das Jagen oder Schlachten von Tieren erlaubt ist, dann auch
...

Um ein slippery-slope Argument zu entkräften, wird man nachzuweisen
versuchen, wie unwahrscheinlich das Abgleiten im vorliegenden
Fall ist, oder welche subtilen Vorkehrungen getroffen wurden, um ein
solches Abgleiten zu verhindern. Eine andere Möglichkeit ist, den
graduellen Übergang von dem schrecklichen Fall zu dem in Frage
stehenden überhaupt zu bestreiten. Wo liegen dann noch Grenzen?!
argumentiert die eine Seite, und die andere entgegnet: Alles hat seine
Grenzen!

Argument a majore (minore)

Dieser Terminus ist nicht sehr verbreitet; er bezeichnet eine mit dem
slippery-slope-Argument verwandte Technik. Es wird ein Kontinuum
hergestellt, in dem irgendwo ein positiv (negativ) bewerteter Fall liegt,
und dieser Fall wird gesteigert bis zu dem in Frage stehenden: Wenn
man einen Erwachsenen, der sich immerhin wehren kann, nicht töten
darf, wieviel weniger einen Embryo, der doch schutzlos ist.
Oder: Wenn
schon Notwehr gegen einen individuellen Mörder vom Gesetz erlaubt
wird, wie sehr müßte Notwehr gegen ein Atomkraftwerk erlaubt sein,
das unsere gesamte Bevölkerung für alle Zukunft bedroht!

Ein berühmtes Beispiel findet sich bei dem chinesischen Philosophen
Mo Di (5./4. Jhdt. v.u.Z.), der folgendermaßen gegen das
Kriegführen argumentiert:
Angenommen, es geht heutzutage jemand in einen fremden Obstgarten
und stiehlt dort Pfirsiche und Pflaumen; jeder, der davon
erfährt, wird es verurteilen, und wenn die Obrigkeit diesen Menschen zu
fassen bekommt, wird er bestraft. Warum wohl? - Weil er andere
schädigt, um selbst zu profitieren! Hunde, Schweine, Hühner oder
Ferkel stehlen ist noch viel schlimmer, als Obst aus fremden Gärten zu
holen. Warum? Weil damit anderen noch größerer Schaden zugefügt
wird. Deshalb ist es auch viel inhumaner und verbrecherischer!
Wenn schließlich jemand einen unschuldigen Menschen tötet [...] so ist
das noch viel verwerflicher [...] Warum? Weil er anderen Menschen noch
weit mehr schadet. Darum sind seine Inhumanität und sein Verbrechen
auch viel größer, und die Strafe wird entsprechend schwerer ausfallen.
Alle Fürsten auf Erden wissen das sehr wohl, verurteilen solche Taten
und nennen sie ein unsittliches Verhalten. Erreicht dieses Vorgehen aber
seinen Höhepunkt, indem ganze Staaten angegriffen werden, so finden
sie daran nichts mehr zu verdammen [...]
Angenommen, ein Mann sieht einen kleinen schwarzen Fleck und
nennt ihn schwarz; sieht er aber einen großen schwarzen Fleck, nennt er
ihn weiß. Dieser Mann kennt offensichtlich nicht den Unterschied
zwischen schwarz und weiß. Kostet jemand ein wenig Bitteres und
nennt es bitter, viel Bitteres aber nennt er süß, so kennt er den Unterschied
zwischen süß und bitter nicht. Wenn jemand ein geringes
Unrecht als ein Unrecht erkennt, großes Unrecht aber, nämlich den
Angriff auf ein Land, nicht als Unrecht erkennt, sondern womöglich
noch von Rechtschaffenheit redet - kann man dann von ihm noch
sagen, daß er den Unterschied zwischen Recht und Unrecht kenne?
Daran sieht man, wie wenig die Fürsten Recht und Unrecht noch auseinanderhalten
können
.

Der Hintergrund des Einzelfalles. Die paranoide Deutung

Gegeben sei ein unangenehmes Faktum. Man ordnet dieses Faktum
nun in einen größeren Zusammenhang ein, um es dadurch neu zu
gewichten. Dabei wird (stillschweigend) folgendes Prinzip angewendet:
Eine an sich eventuell noch tolerierbare, unangenehme Sache wird
unerträglich, wenn dahinter eine umfassendere, allgemeine Gesetzmäßigkeit
oder ein Plan steckt.

Ein derartiges Prinzip hat viel für sich; je nachdem, ob eine Sache
absichtlich, regelmäßig, geschehen ist oder aber zufällig, hat man
Grund, mit ihrer Wiederholung zu rechnen oder nicht. Diskutiert und
kritisiert wird an solchen Argumentationen deshalb weniger das allgemeine
Prinzip, als die Einordnung des Einzelfalles in einen allgemeineren
Kontext. Diese Einordnung geschieht z. B. mit der Wendung
Derlei ist absolut kein Zufall, derlei folgt geradezu notwendig aus dieser
Ideologie. Derlei ist nur die Spitze des Eisberges.

Das Argument, daß hinter gewissen Dingen mehr als bloß (unglücklicher)
Zufall stecke, kann falsch sein. Der an Verfolgungswahn
(Paranoia) Leidende deutet jedes nur erdenkliche Ereignis, das Kreischen
eines Kindes, einen fehlgeleiteten Telefonanruf, einen schimme lig
gewordenen Käse, als Teil einer großen Verschwörung gegen sich. (In -
freilich extrem seltenen - Ausnahmefällen ist die Interpretation richtig
und der leidende Mensch gar nicht paranoid.) Diktatoren, die ihre Ziele
nicht sofort erreichen, vermuten überall Sabotage: Was geschehen ist, ist
kein Zufall, dahinter steckt Absicht, Methode, System, ein Plan, eine
Weltverschwörung - und das hat Konsequenzen; es gibt Schuldige.
Manchmal stimmt das ja auch, aber eben nicht immer. Jedes einzelne
Mißgeschick, jeder Mißerfolg erhält dadurch ein ganz anderes, größeres
Gewicht. Die Figur kann auch absichtlich, wider besseres Wissen
benützt werden, um von Schwierigkeiten abzulenken: Wo Sabotage
vorliegt, muß es auch Saboteure geben, die man suchen und aburteilen
kann. Dümmstenfalls erfindet man etwa eine "Jüdische
Weltverschwörung".
Auch das "Dominoprinzip" beruht darauf, Einzeltatsachen in einen
größeren Zusammenhang zu stellen. In der politischen Diskussion des
kalten Krieges benützte man die Domino-These, um zu begründen, daß
der Westen jedes nicht-kommunistische Land unterstützen müsse. Der
Verlust eines Landes für den Westen wäre demnach kein isolierter
Einzelfall gewesen, sondern er hätte eine Kette von unerwünschten
Folgen ausgelöst: Fällt ein Dominostein, so folgt der nächste usf.
Niemand soll denken, ein Rückzug aus Vietnam bedeute das Ende des
Konfliktes. Dieser Fall ist bloß der nächste in einer langen, nicht-endenwollenden
Entwicklung
.

Das Mißbrauchsargument

Die Umkehrung des vorhin angeführten Prinzips lautet: Eine mißliche
Sache ist eher zu ertragen, wenn es sich um einen Zufall oder eine
einmalige Entgleisung handelt, als wenn ihr Planung, Absicht, Gesetzmäßigkeit,
System zugrunde liegen.

Dieses neue Prinzip dient der milderen Bewertung bzw. Entschuldigung
von Mißständen oder schlimmen Entwicklungen. Zum Beispiel
hat die Ausbildung des Stalinismus viele Anhänger des Marxismus
schockiert, um so mehr als der Marxismus eigentlich als humanitäre
Ideologie begonnen hatte. Man fragte sich: War dies nur ein
unglücklicher Zufall, ein nicht vorhersehbarer Betriebsunfall, oder folgte
der Terror aus der Idee des Sozialismus oder des Kommunismus?
Handelt es sich um einen atypischen Ausnahmefall oder eine
bedauerliche Entartung, so kann ein Anhänger des Marxismus auch
weiterhin mit gutem Gewissen an seiner Ideologie festhalten. Denn
dann ist der Terror der Stalin-Ära nicht der marxistischen Ideologie
anzulasten, sondern einzelnen mißgeleiteten oder schwachen Anhängern
derselben: Nicht der Marxismus ist schlecht, sondern der Mißbrauch,
der damit getrieben wurde. Nicht die Idee ist falsch, einige Menschen
sind schuldig geworden.
Diese Figur kann durchaus sinnvoll sein. Es gibt kaum etwas, mit
dem nicht Mißbrauch getrieben werden kann, also ist es problematisch,
etwas nur wegen des Mißbrauchs zu verdammen. Sollte jemals ein
Papst oder Bischof machtgierig, genußsüchtig oder verbrecherisch
gewesen sein, so ist dadurch nicht ohne weiteres ein Argument gegen
seine Kirche gegeben. Er handelt dann eben "eines Kirchenmannes
unwürdig". Viele demokratische Politiker sind korrupt; wir wissen es
alle. Und doch schließen wir davon nicht ohne weiteres auf die Minderwertigkeit
der Demokratie.
Man könnte das Prinzip aufstellen: Einer Doktrin dürfen nur solche
Dinge angelastet werden, die sich aus eben dieser Doktrin direkt herleiten.

Ein Kritiker müßte dann im einzelnen untersuchen, ob beispielsweise
Intoleranz bei gewissen Religionen oder Diktatur bei
bestimmten Ideologien nur mißbräuchliche Entgleisungen sind oder
dogmatisch durchaus angelegt. Heikel wird es, wenn eine angeblich
menschenfreundliche Doktrin im Laufe der Geschichte mit großer
Regelmäßigkeit sogenannte Mißbräuche hervorbringt und kaum je die
versprochenen großartigen humanitären Wirkungen.

Analogien und Gleichnisse

Ein Gleichnis geben heißt, einen einschlägigen konkreten Einzelfall K1
anführen, um, davon ausgehend, für eine These zu argumentieren, die
von einem anderen (eventuell von einem ganz anderen) Einzelfall K2
handelt. Rein logisch gesehen kann man von einem Einzelfall niemals
auf einen anderen Einzelfall oder gar auf eine allgemeine These
schließen. Aber wenn K1 zur Verdeutlichung eines allgemeinen Satzes A
(d. h. als Beispiel für A) dient, aus dem neben K1 noch viele andere
konkrete Fälle (zu denen auch K2 gehört) abgeleitet werden können,
ist das Anführen von K1 ein hilfreicher Argumentationsschritt.
In der Praxis argumentiert man für eine These K2 über einen Einzelfall
oft so, daß man nur einen anderen Einzelfall K1 als Beispiel
anführt, während der allgemeine Satz A (durch den das Beispiel K1
mit der zu erweisenden These K2 verbunden ist oder sein sollte) unausgesprochen
bleibt. Man schließt per analogiam von K1 auf K2, was
logisch nicht ohne weiteres erlaubt ist. Platon argumentiert für die
politische Herrschaft der (platonischen) Philosophen über den Staat
und zugleich gegen die Demokratie mit folgendem Beispiel:
Höre also das Gleichnis [...] Denke dir, es ginge auf einem Schiff
oder auf vielen Schiffen folgendermaßen zu. Der Schiffseigentümer ist
größer und stärker als die ganze Besatzung; er ist aber schwerhörig und
kurzsichtig, und sein Verständnis für das Seewesen ist ebenfalls
mangelhaft. Nun zanken sich die Schiffsleute untereinander, weil jeder
meint, ihm käme die Führung des Schiffes zu. Dabei hat aber keiner je
die Steuerkunst gelernt, kann auch seinen Lehrer und seine Lehrzeit
nicht nachweisen. Ja, sie erklären, diese Kunst sei gar nicht lehrbar,
und wollen jeden in Stücke hauen, der sie lehrbar nennt. Sie stürmen
also beständig auf den Schiffseigentümer ein, er solle ihnen das
Steuerruder in die Hand geben. Überredet ihn einmal ein anderer, so
ermorden sie ihn oder werfen ihn über Bord [...]
Wer sich beim Überreden oder Überwältigen des Schiffseigentümers
geschickt erweist und ihnen behilflich ist, die Macht in die Hände zu
bekommen, der steht ah seetüchtig, als kundiger Steuermann und
Kenner des Seewesens bei ihnen in Ehren. Wer kein Geschick dazu hat,
wird unbrauchbar gescholten [...]
Bei dieser Lage der Dinge auf einem Schiff wird doch der wahre
Steuermann von den Schiffsleuten entschieden für einen Sterngucker
und Schwätzer, einen für sie unbrauchbaren Mann erklärt [...]
Ich brauche das Gleichnis wohl nicht auszulegen. Du siehst, daß sich
die Staaten dem wahren Philosophen gegenüber ebenso betragen, und
verstehst, was ich meine.

Sicher will Platon logisch korrekt argumentieren. Von seinem
Gleichnis kann man logisch aber nicht ohne weiteres auf die These
schließen, ein Staat solle nicht demokratisch, sondern von einer Diktatur
platonischer Philosophen regiert werden. Platons Argumentation muß
daher als Enthymem aufgefaßt werden, das zwei unerwähnte Prämissen
benützt, nämlich erstens ein allgemeines Prinzip, gegen das man (nicht
zuletzt wegen seiner Allgemeinheit) wenig einwenden kann: Eine
schwierige Aufgabe soll nur von den dafür besonders Befähigten und
Ausgebildeten gemeistert werden und nicht von beliebigen
Nichtswissern.

Die zweite Prämisse ist sehr viel spezieller und viel weniger einleuchtend:
Nur die platonischen Philosophen sind zur Bewältigung
politischer Aufgaben befähigt und ausgebildet, nicht aber der Rest der
Bevölkerung.

Es ist klar, daß die Kritik an diesem speziellen, unausgesprochenen
Satz ansetzen muß. Die Schiffsgeschichte ist nur eine Erläuterung des
ersten, allgemeinen Satzes, und es wäre ungeschickt, sich mit dieser
(bloß erläuternden) Geschichte auseinanderzusetzen.
Regierende bezeichnen sich selbst gerne als Landesväter, Kleriker
als Hirten. Warum? Väter und Hirten müssen Autorität besitzen, sie
müssen Entscheidungen über andere Wesen treffen und diese Entscheidungen
notfalls mit Gewalt durchsetzen können. Jedermann sieht
das ein. Ein Hirte diskutiert nicht mit seiner Herde, sondern hütet sie.
Dieselben Ansprüche an Autorität und Macht stellen Regierungen und
Kirchen. Das Gleichnis vom Vater bzw. Hirten dient dabei als
Argument. Wie aber, wenn jemand andere Aspekte des Gleichnisses für
einen Schluß per analogiam benützen wollte? Kinder entwachsen
nämlich ihren Vätern und werden volljährig; und Hirten dienen dazu,
schöne fette Tiere zu produzieren, die dann geschlachtet werden -
deswegen die große Sorgfalt der Hirten.
Was folgt aus diesen Aspekten? Es folgt gar nichts, weil aus einem
Gleichnis ohnehin nichts folgt. Logisch gesehen sind Gleichnisse nur
Bilder, die stellvertretend für einen allgemeinen Satz (ein Prinzip) stehen.
Im Beispiel lautet das Prinzip ungefähr so: Wer Menschen führen und
befehligen soll, darf Macht und notfalls auch Gewalt beanspruchen.
Über dieses Prinzip müßte diskutiert werden, wobei das Bild vom
guten Hirten wenig hilft. Analogien, Bilder, Gleichnisse sind im
praktischen Leben unentbehrlich, aber ihr argumentativer Wert ist gering. Sie können das Denken und die Phantasie anregen, aber sie
können nichts beweisen, und sie können sehr irreführend sein.
Analogieschlüsse spielen in der Rechtsprechung eine wichtige Rolle.
Wenn zur Beurteilung eines konkreten Einzelfalles kein Gesetz
aufzufinden ist oder das einschlägige Gesetz nicht präzise genug formuliert
ist, orientiert sich der Richter an "gleichgelagerten", schon
entschiedenen Fällen, um dann per analogiam ein Urteil zu erarbeiten.
Dieses Fortschreiten von Einzelfall zu Einzelfall ist logisch nicht
zwingend, da nicht klar ist, welches allgemeine Prinzip die Fälle verbindet.
Je nach den Umständen wird man sagen, daß der Richter bei
solchem Vorgehen versucht, "der Absicht des Gesetzgebers" (d. h. einem
allgemeinen Prinzip) gerecht zu werden, oder daß das neue Urteil neues
Recht schafft.

Das Differenzierungsargument

Es dient zur Abwehr eines Beispiels oder Vergleiches. Man zeigt, daß
zwei Fälle, die scheinbar gleich gelagert sind, sich tatsächlich stark
unterscheiden, und man schließt daraus, daß sie auch nicht gleich zu
bewerten sind. Damit läßt sich Platons Angriff auf die Demokratie
zurückweisen, denn ein Staat ist kein Schiff, und politische Fähigkeiten
sind etwas völlig anderes als Navigationskünste auf hoher See.
Folglich kann es im einen Fall unklug sein, das Kommando durch Los
festzulegen, und im anderen Fall durchaus sinnvoll.
Ein Beispiel für ein Differenzierungsargument gibt Rousseau, wenn er
gegen die Möglichkeit argumentiert, daß jemand sich selbst freiwillig in
die Sklaverei begibt (etwa um seine Schulden zu begleichen). Ist dies
nicht ein freiwillig geschlossener Vertrag wie jeder andere, mithin
genauso zu respektieren und einzuhalten? Rousseau argumentiert dagegen:
Ich glaube, das ist eine sehr schlechte Folgerung.
Wenn ich ein Gut veräußere, wird es für mich eine gänzlich fremde
Sache; es kann mir gleich sein, ob man es mißbraucht. Ob aber meine
Freiheit mißbraucht wird, ist mir niemals gleichgültig. Die Schuld alles
Bösen, zu dem man mich zwingt, fällt auf mich zurück, weil ich eingewilligt
habe, ein Werkzeug des Verbrechens zu werden.
Jedoch gesetzt, man könnte seine Freiheit veräußern wie seine Gü ter,
so bliebe doch für die Kinder der Unterschied sehr groß: die väterlichen
Güter fallen ihnen nur durch die Übertragung seines Rechts zu, aber die
Freiheit haben sie als Menschen von der Natur erhalten, und
ihre Eltern sind daher nicht berechtigt, ihnen dieses Geschenk der Natur
zu rauben.

Das Prinzip, Ungleiche Fälle müssen ungleich bewertet werden, ist
aber nicht zwingend. Jemand verteidigt etwa die Anwendung von Gewalt
in einem konkreten Fall mit dem Argument, man müsse unterscheiden,
aus welchem Grund Gewalt angewendet werde, aus Grausamkeit,
Machtgier etc., oder aus Sorge um den Bestand der Heiligen Kirche.
Gegen die Unterscheidung läßt sich an sich nichts einwenden,
unterscheiden kann man immer. Zu attackieren wäre aber eventuell das
Prinzip, daß zum Beispiel das Verbrennen von Menschen auf dem
Scheiterhaufen je nach den Umständen unterschiedlich zu bewerten
sei. Eine Differenzierung ist in diesem Zusammenhang alles andere als
einleuchtend, denn ein wichtiger Teil der Idee der Menschenrechte
besteht ja darin, daß sie ohne Unterschied der Umstände eingehalten
werden sollen.

Freak Cases

Mit diesem Ausdruck bezeichnet man ausgefallene, scheinbar abwegige
oder verrückte Beispiele. Sie dienen als Gegenbeispiele gegen eine
allgemeine These. Im Hintergrund steht ein unangreifbares logisches
Prinzip: Eine (allgemeine) These, zu der es auch nur ein Gegenbeispiel
gibt, ist falsch. Eine These mag zunächst einleuchtend scheinen, aber
der freak case gibt ein Gegenbeispiel. Auch ein exzentrisches Gegenbeispiel
ist ein Gegenbeispiel. Diese Figur findet sich schon bei Platon.
Er benützt ein exzentrisches Beispiel zur Widerlegung einer
bestimmten These über den Begriff der Gerechtigkeit:
Sollten wir die Gerechtigkeit als schlechthin gleichbedeutend mit der
Wahrhaftigkeit setzen und dem Zurückgeben dessen, was man von
anderen empfangen hat... ?
Nimm z. B. folgenden Fall: Wenn jemand von einem geistig gesunden
Freund Waffen in Verwahrung genommen hat und dieser, später in
Wahnsinn verfallen, sie wieder zurückfordert, so wird doch jedermann
sagen, man dürfe dergleichen Dinge nicht zurückgeben, und der, welcher
dies tut, könne nicht als gerecht gelten; ebensowenig, wenn er
gegenüber einem Manne, der in solchem Zustand ist, in allen Stücken
die Wahrheit sagen wollte.
Man bestimmt also die Gerechtigkeit nicht richtig, wenn man sagt, sie
bestehe darin, daß man die Wahrheit sagt und zurückgibt, was man
empfangen hat.

Freak cases sind speziell bei moralischen Argumentationen von Bedeutung.
Sie machen dort auf die Gefahr universeller, eleganter, aber
lebensferner Doktrinen und Maximen aufmerksam. [...]
Der freak case erzwingt ein sorgfältigeres Überdenken einer allgemeinen
These, und er zeigt, daß jede noch so genaue Formulierung nie
alle Probleme erfassen kann. Das wird man bei moralischen Fragen oft
genug feststellen können. [...]
Weniger erfreulich ist es, wenn man mit wirklich abwegigen Einwänden
konfrontiert wird. Normalerweise schließt man z.B. bei
moralischen Überlegungen den Eingriff von Marsmännlein, das Einschlagen
eines Meteoriten oder die Situation des letzten Menschen
nach einer globalen Atomkatastrophe aus.

Das Argument ad temperantiam (ein gewisses Maß einhalten)

Dies ist eine ebenso beliebte wie problematische Argumentationsfigur.
Man stellt eine Position, die man verteidigen will, als gemäßigt dar, als
Mitte zwischen Extremen. Die Argumentation benützt das Prinzip
Maßhalten ist besser als extreme Positionen einzunehmen. Ein solches
Prinzip ist nur verständlich, wenn es näher spezifiziert wird. Ansonsten
besteht, weil der Begriff des Extrems alles andere als klar
ist, die Gefahr der totalen Beliebigkeit, denn zu jeder Position lassen
sich vermutlich "extremere" ausdenken. Einen Ladendieb lebenslänglich
hinter Gitter zu setzen ist gemäßigt gegenüber den Extremen, ihn
laufenzulassen oder ihn zu vierteilen. Obwohl Mäßigung in irgendeinem
Sinne sicher eine empfehlenswerte, angenehme Haltung ist, sind
Argumente ad temperantiam nur selten sinnvoll; oft sind sie bloß
verschämtere Versionen des Arguments: Es könnte dir doch noch viel,
viel schlechter gehen!
Dieses Argument ist auf dieser unserer Welt
immer wahr, aber das in der Argumentation benötigte Prinzip ist nicht
einleuchtend: Beklage dich nicht, denn es könnte dir noch viel schlechter
gehen.

Das historisch-genetische Argument

Ein Phänomen historisch erklären heißt: zeigen, wie es im Lauf der
Geschichte entstanden ist. Gelingt eine solche historische Erklärung
überzeugend (was wir der Deutlichkeit wegen voraussetzen wollen), so
braucht man nicht über andere Erklärungen nachzudenken, die
beispielsweise mit einem Eingriff extraterrestrischer Mächte operieren.
Das Prinzip der Argumentation lautet: Obwohl es für jede Tatsache
zahlreiche Möglichkeiten der Erklärung gibt, braucht man sich um
dieselben nicht zu kümmern, sobald man die wirkliche Erklärung hat.

Wenn man z. B. die Entstehung einer Religion historisch erklärt hat,
braucht man keinen überirdischen Einfluß anzunehmen, durch den diese
Religion entstanden ist.
Aufklärerische Philosophen (zum Beispiel L. Feuerbach, D.
Hume) haben gerne skizziert, wie und warum Religionen historisch
entstanden sind, etwa aus Furcht vor der Natur. Vermutlich wollten sie
die Falschheit der Religion nachweisen; aber sie hielten sich mit einer
solchen, starken These zurück, denn rein logisch hat die Wahrheit bzw.
Falschheit einer These nichts mit der Ausbildung und Ausformulierung
dieser These im Lauf der Geschichte zu tun. Man kann eine Geschichte
der Religionen oder des Rassismus schreiben, aber man hat damit
theoretisch nichts über die Wahrheit oder Falschheit der Religionen oder
des Rassismus gesagt.
Nietzsche stellt unter der Überschrift Die historische Widerlegung als
die endgültige
folgende methodologische Behauptung auf:
Ehemals suchte man zu beweisen, daß es keinen Gott gebe, - heute
zeigt man, wie der Glaube, daß es einen Gott gebe, entstehen
konnte und wodurch dieser Glaube seine Schwere und Wichtigkeit
erhalten bat: dadurch wird ein Gegenbeweis, daß es keinen Gott gebe,
überflüssig.- Wenn man ehemals die vorgebrachten "Beweise vom Dasein
Gottes" widerlegt hatte, blieb immer noch Zweifel, ob nicht noch bessere
Beweise aufzufinden seien, als die eben widerlegten: Damals verstanden
die Atheisten sich nicht darauf, reinen Tisch zu machen.

Wir wollen hier davon absehen, daß historische Erklärungen selten
eindeutig und zwingend sind. Nehmen wir also an, die Entstehung des
Gottesglaubens sei historisch erklärt, ohne daß man Offenbarungen oder
sonstige außerirdische Phänomene bemühen muß. Um Nietzsche zu
rechtfertigen, müßte man dann ungefähr das folgende Prinzip benützen:
Eine These, deren Entstehung historisch erklärbar ist, braucht man
inhaltlich nicht ernst zu nehmen.

Als universales Prinzip läßt sich so etwas bestimmt nicht aufrechterhalten.
Wenn ein Kind behauptet, es sei letzte Nacht auf dem
Dachfirst spazierengegangen, so wird man das historisch-genetisch
erklären: das Kind hat geträumt. Aber man kann nicht absolut ausschließen,
daß das Kind wirklich auf dem Dach war. Die historischgenetische
Erklärung wird allerdings unser Bedürfnis nach weiteren
Untersuchungen drastisch verringern. Es bedarf schon eines sehr starken
Anlasses, um uns zu Nachforschungen darüber zu veranlassen, ob das
Kind nicht doch auf dem Dach war. Das historisch-genetische Argument
ist um so gewichtiger, je dubioser die These ist, deren Entstehungsgeschichte
es darlegt.
Im Kommunistischen Manifest steht der berühmte Satz: Die herrschenden
Ideen einer Zeit waren stets nur die Ideen der herrschenden
Klasse.
Das ist eine universelle These über die historische Genese
von Ideologien (Überbauphänomenen) aus materiellen Interessen
(Klasseninteressen). Letztlich besagt diese These, daß man sich mit
solchen Ideologien inhaltlich nicht auseinanderzusetzen brauche, sie
würden ohnehin mit den zugehörigen Klassen entstehen und vergehen.

Quellenargumente, Argumente ad hominem

Betrachten wir den Satz: Das Dogma D ist wahr, weil der Papst es
verkündet
. Das ist ein klassisches Quellenargument. Für die Wahrheit
einer These wird als Argument angeführt, von wem, aus welcher
Quelle, von welcher Autorität die These stammt. Damit daraus eine
schlüssige Argumentation wird (und als solche ist der Satz ja gemeint),
muß man ein allgemeines Prinzip hinzufügen: Alle Sätze, die der Papst
verkündet, sind wahr.

Damit liegt eine logisch korrekte Argumentation vor. (Man sieht,
daß eine Figur je nach den Umständen als Fehlschluß oder als korrekte,
aber enthymematische Argumentation gedeutet werden kann.)
Angriffe gegen die Argumentation werden sich zweifellos gegen das ihr
zugrundeliegende allgemeine Prinzip richten. Die Berufung auf eine
ehrwürdige Quelle ist die typische Argumentationsform von
Buchreligionen; diese haben immer einen Bestand an heiligen Schriften
als Basis der Argumentation. Als das stärkste Argument gilt dabei, wenn
eine heilige Schrift eine These auch noch als wörtlichen Ausspruch des
Meisters überliefert: ipse dixit, der Meister selbst hat es gesagt. So
gingen auch orthodoxe Marxisten mit den Worten von Marx und Lenin
um.
Unter "Quellenargumenten" oder Argumenten ad hominem werden
Figuren verstanden, in denen, ausgehend von Behauptungen über die
Quelle (den Verfechter) einer These, für oder gegen die Wahrheit der
letzteren argumentiert wird. "Brunnenvergiften" heißt, nicht eine These,
sondern ihre Quelle zu verunglimpfen. Dieses Vorgehen hat keinen
guten Ruf und ist grundsätzlich nicht beweiskräftig; es richtet sich nicht
gegen eine These, sondern gegen den Menschen (ad hominem), der sie
aufstellt; man versucht so, die inhaltliche Auseinandersetzung mit
dessen These zu umgehen.
Voltaire charakterisierte seinerzeit das Vorgehen kirchlicher Kreise
gegen die Aufklärer, indem er einem Vertreter der Kirche ein typisches
Argument ad hominem in den Mund legte:
Wir untersuchen ihren Lebenswandel, der, wie wir feststellen, meistens
lasterhaft und verbrecherisch ist; und wenn er uns unbescholten
scheint, so behaupten wir, dies sei unmöglich, da sie doch an der Enzyklopädie
mitgearbeitet haben.

Andererseits weist bereits Aristoteles24 darauf hin, daß der Lebenswandel
eines Redners durchaus in Beziehung zu seiner Glaubwürdigkeit
stehe. Je strittiger eine These ist, desto wichtiger wird die Frage nach
der Glaubwürdigkeit desjenigen, der die These vertritt. Lehrer,
Nachrichten, Zeugen und deren Berichte, Wunderberichte und ähnliche
Zeugnisse stellen manchmal die einzigen Informationen über ein
Ereignis dar und können nicht weiter nachgeprüft werden. Je unersetzlicher
der Zeuge ist, desto mehr unterliegt er der Kritik. Dagegen ist
bestimmt nichts einzuwenden.
Seit langem erfolgt z. B. die Kritik angeblicher Wunder (inklusive
aller Offenbarung) als Kritik der Zeugen. D. Hume widmet dem in der
Untersuchung über den menschlichen Verstand ein ausführliches Kapitel
und stellt das Prinzip auf, je wunderbarer ein Bericht sei, desto mehr
müsse man an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zweifeln. Mit anderen
Worten: Kein Zeugnis reicht aus, ein Wunder festzustellen, es müßte
denn das Zeugnis von solcher Art sein, daß seine Falschheit
wunderbarer wäre als die Tatsache, die es festzustellen trachtet
.
Die Bewertung der Quelle hat selbst den Charakter einer Argumentation
für bzw. gegen deren Glaubwürdigkeit. Bei der Bewertung
von Zeugenberichten über seltsame, wunderbare Ereignisse (von göttlichen
Offenbarungen bis zu fliegenden Untertassen) sind zum Beispiel
allgemeine Sätze wie die folgenden zu finden:26
- Wunderberichte aller Art kommen regelmäßig von Exzentrikern,
Drogensüchtigen, Psychopathen: "Sie haben Dinge gesehen, die Andere
nicht sehen" - gewiß! und dies sollte uns vorsichtig gegen sie stimmen,
aber nicht gläubig!

- Die Zeugen haben ein tiefes (eventuell unbewußtes) Bedürfnis
nach Mysterien und Irrationalität.
- Die Berichte werden durch den Medienrummel stimuliert, Wunder
geschehen nur dort, wo die Leute schon darauf warten. Nach dem
Bericht des Neuen Testaments hat Jesus in seiner Heimatstadt Nazareth,
wo man ihn kannte und mit Skepsis betrachtete, kaum Wunder
gewirkt:
Jesus kam in seine Vaterstadt und lehrte in der Synagoge. Die Leute
aber entsetzten sich und fragten, woher hat dieser solche Weisheit und
solche Taten, ist er nicht der Sohn des Zimmermanns... ?
Jesus aber sprach zu ihnen: Ein Prophet gilt nirgends weniger als in
seinem Vaterland und in seinem Hause. Und er tat dort nicht viele
Zeichen wegen ihres Unglaubens.

Der Satz, daß ein Prophet nichts in seiner Heimat gilt, ist ein durchaus
doppelsinniges Prinzip. Er kann gelesen werden als Klage über die
Hartherzigkeit und Ungläubigkeit der Menschen ihren vertrauten
Mitmenschen gegenüber; er kann auch gelesen werden als nüchterne
Feststellung, daß der Wunderglauben um so größer wird, je unbekannter,
fremder und unkontrollierbarer der Wundertäter bzw. der
Bericht über ihn ist.
Gegen jeden skeptischen Einwand betreffs eines Wunderberichtes
läßt sich natürlich auch eine Gegenthese aufstellen, so etwa: In der
Regel sind es ehrenwerte, normale, gesunde Menschen, die von dem
wunderbaren Ereignis überwältigt und geradezu vergewaltigt wurden.
Oft sind es geschulte, professionell skeptische Beobachter, z. B. Theologen
(bei Wundern) oder Piloten (bei fliegenden Untertassen). Übrigens
werden vermutlich die meisten Wundererlebnisse gar nicht
weitererzählt, aus Furcht, sich lächerlich zu machen.
Man sieht, Quellenargumente können in beiden Richtungen vorgebracht
werden, für oder gegen die Glaubwürdigkeit der Quelle.
Logisch gesehen, ist die direkte Auseinandersetzung mit einer These
der Quellenkritik sicher vorzuziehen, doch gibt es auch Fälle, in denen
sich die direkte Auseinandersetzung mit einer These nicht lohnt -man
denke an den Hexen- und Teufelsglauben.

Argumente mit der Zeit, Erfahrung oder Anzahl

Dies ist eine spezielle Variante des Quellenarguments. Es handelt sich
um eine oft benützte Argumentationsfigur, der das Prinzip zugrunde
liegt: Was sich während langer Zeit und bei vielen durchgesetzt hat, ist
wahr/gut/richtig.
Das Prinzip beruft sich implizit auf die kollektive
Erfahrung der Menschheit oder einer einschlägigen Personengruppe. In
einer extremen Variante scheint es die Basis der Demokratie zu sein:
Die Mehrheit hat immer Recht.
Der Satz ist unhaltbar. Für die Wahrheit eines Satzes ist es unerheblich,
wie viele oder wie wenige Menschen ihn für wahr halten.
Andererseits wäre es arrogant, sich über die Erfahrungen der Menschheit
hinwegzusetzen. Hobbes setzt sich in seiner politischen Philosophie mit
der schwärmerischen Vorstellung auseinander, ein friedliches,
sicheres Zusammenleben der Menschen sei auch ganz ohne staatliche
Zwangsgewalt möglich. Man kann eine solche These nicht einfach
bestreiten - möglich müßte so etwas eigentlich sein, wenn der Mensch
ein rationales Wesen ist. Hobbes appeliert deshalb an das tatsächliche
Verhalten der Menschen, das auf jahrtausendealten Erfahrungen
beruht:
Manchem mag es seltsam vorkommen, daß die Natur die Menschen so
sehr entzweien und zu gegenseitigem Angriff und gegenseitiger Vernichtung
treiben sollte. Er möge deshalb bedenken, daß er sich bei
Antritt einer Reise bewaffnet und darauf bedacht ist, in Begleitung zu
reisen, daß er beim Schlafengehen seine Türen und sogar in seinem
Hause seine Kästen verschließt... Welche Meinung hat er also von
seinen Mituntertanen...?

Was die Menschheit in der Praxis so lange und an allen Orten ausprobiert
hat, dürfte schwerlich falsch sein. Wenn es wirklich ohne Staat und
ohne Polizei ginge, dann hätte man das bestimmt verwirklicht. Es erscheint
gegenwärtig nicht notwendig, daß wir es ausprobieren. Aber wie
steht es mit dem folgenden Argument? Wenn es für die Gesellschaft
wirklich förderlich wäre, daß Mann und Frau absolut gleichberechtigt
sind, so wäre das schon vor Jahrtausenden eingeführt worden.

Das Argument ad misericordiam

Das Mitleidsargument ist eine andere spezielle Variante des Quellenarguments.
Es beruht darauf, daß Mitleid (misericordia) oder Mitgefühl
Vertrauen erweckt. Wer wird es wagen, die Ansichten von jemandem,
der Schreckliches durchmachen mußte, kritisch zu analysieren? Aber es
gibt keinen Grund für eine solch ehrfürchtige Zurückhaltung. Während
gegen eine mitleidige Handlungsweise mitunter gar nichts einzuwenden
ist, sollte man über die Wahrheit von Thesen gefühllos und nüchtern
urteilen.
Wenn es um Lebensweisheit geht, scheint das Argument ad misericordiam
allerdings ein Körnchen Weisheit zu enthalten. Wenn Hiob in
seinem Elend ein metaphysisches oder politisches Gedankengebäude
entwickelt hätte, hätte man das unbeeindruckt von seinem Elend kritisch
analysieren müssen. Wenn er aber darüber berichtet hätte, wie
Schicksalsschläge die Lebenshaltung beeinflussen können, sollten wir
aufmerksam zuhören. Es geschähe aber nicht aus Mitgefühl, sondern
weil man ihn aufgrund seiner großen (und traurigen) Erfahrung für
besonders kompetent hält, Aussagen über das Leben zu machen.
Eine harmlose Variante ist das "Köhlerargument", d. h. die Berufung
auf einen besonders schlichten und ungebildeten Menschen, der
nicht durch Mode und Zivilisation verdorben ist. Das kann etwa folgende
Form haben: Das Beste, was ich je dazu hörte, kam von einer
einfachen, armen Bäuerin...
Unterstellt wird hier das Prinzip, daß
einfache, arme Bäuerinnen besonders verläßliche Garanten der Wahrheit
sind.

Das Tu-quoque-Argument

Dieses Argument dient der Abwehr moralischer Angriffe. Man wirft
dem Gegner, der einem wegen einer Tat X Vorwürfe macht, vor, daß er
genau dasselbe getan habe: Wie können die Amerikaner den Nazis die
Judenvernichtung vorwerfen, wo sie doch selber die Indianer ausgerottet
haben?

Das allgemeine Prinzip ist komplex: (a) Wer selber X tut, hat kein
Recht, uns X vorzuwerfen, folglich ist (h) sein Vorwurf damit erledigt,
widerlegt, nicht ernst zunehmen.
Selbst wenn man (a) zugibt, ergibt
sich (b) damit jedoch keineswegs. Aus dem Fehlen der moralischen
Berechtigung zu einem Vorwurf folgt nicht dessen Falschheit. Ein
rauchender Lehrer hat moralisch kein Recht, rauchende Schüler zu
beschimpfen, aber was er über die Schädlichkeit des Rauchens sagt,
kann dennoch stimmen. Freilich fallen seine Vorwürfe auch auf ihn
selbst zurück. Was er sagt, ist Heuchelei und trotzdem richtig. Je stärker
die moralische Emphase eines Angreifers ist, desto empfindlicher wird
man ihn durch ein tu-quoque-Argument erschüttern können.

Das Argument ad nauseam

Mit nausea, Übelkeit, ist hier gemeint, daß eine Diskussion nach einer
gewissen Zeit derart zuwider geworden ist, daß einem davon speiübel
wird. Ist, so könnte man das Prinzip formulieren, ein solcher Zustand
erreicht, dann sollte man die Diskussion beenden und von etwas anderem
reden: "Wir haben uns schon viel zu lange mit dieser Geschichte
aufgehalten! Einmal muß Schluß mit dieser Diskussion sein!"
Hier wird dafür plädiert, ein Thema unerledigt zu lassen, zu einer
These überhaupt nicht Stellung zu beziehen und sich solcherart eventuell
der Verantwortung zu entziehen. Das tut man vorzugsweise bei
unangenehmen, peinlichen Themen. Andererseits berücksichtigt das
Argument ad nauseam eine fundamentale Lebenstatsache: Unsere Lebenszeit
ist begrenzt, nicht alles kann unbegrenzt lange diskutiert
werden, man muß im Leben Prioritäten setzen. Ein solches Prinzip
wird jedermann zugeben; fraglich ist aber seine konkrete Anwendung.
Was dem einen für wesentlich erscheint, ist für den anderen
vielleicht unwichtig.
Mit vollem Bewußtsein benützt Konfuzius diese Argumentationsfigur,
wenn er die Frage nach den Geistern der Verstorbenen zurückweist.
Eigentlich hätte das für ihn eine wichtige Frage sein müssen,
weil er die traditionelle Verehrung der Ahnen sehr wichtig nahm.
Doch ist folgende Episode überliefert:
Jemand fragte nach dem Dienst an den Geistern. Konfuzius sprach: "Wenn man noch nicht fähig ist, den Menschen zu dienen, wie könnte
man den Geistern dienen?" Jener fragte nach dem Tod. Die Antwort
war: "Man versteht das Leben nicht, wie könnte man den Tod verstehen?"

Hier wird die Ansicht, man solle sich nicht mit metaphysischen
Fragen befassen, durch das Argument gestützt, man habe wichtigere
irdische Aufgaben zu bewältigen, und zwar noch für lange Zeit.

Das Argument ad lapidem

Dies ist eine Argumentationsfigur, bei der meist strittig ist, ob sie
fehlerhaft ist oder nicht. Ein Beispiel wird zugleich die seltsame Bezeichnung
dieser Figur erläutern. Der berühmte Bischof Berkeley hat in
subtilen philosophischen Gedankengängen die Irrealität der Welt
nachzuweisen versucht. Nach seiner Meinung sind nur unsere Erlebnisse,
unser Seelenleben, real, während die sogenannte Außenwelt von
uns nur irrtümlicherweise konstruiert ist. Die Materie existiert gar
nicht unabhängig von unserem Geist, existieren bedeutet bloß wahrgenommen werden.
Ein Gegner dieser "idealistischen" Philosophie begnügte sich damit,
als Gegenargument einen Stein mit dem Fuß wegzustoßen. Das läßt
sich höchst unterschiedlich bewerten. Wer mit dem Fuß gegen einen
Stein (ad lapidem) tritt, so argumentiert die eine Seite, der wird die
Realität des Steines überdeutlich erfahren; eine Theorie, die die
Realität des Steines bestreitet, kann einfach nicht richtig sein, und es
lohnt sich nicht, alle ihre Subtilitäten zu untersuchen: Tritt gegen den
Stein, und du wirst sofort einsehen, wie lächerlich der Idealismus ist.
Der Idealist aber deutet das Argument ad lapidem als totales Mißverstehen des Problems, als Unfähigkeit, sich in eine ernsthafte philosophische
Diskussion über den Idealismus einzulassen. (Daß es weh tut,
wenn man gegen ein Stein tritt, bestreitet auch der Idealist nicht - es
geht ihm um eine philosophische Interpretation der Erlebnisse.)
Im Argument ad lapidem wird eine handfeste triviale Tatsache angeführt,
durch welche eine subtile, theoretische Argumentation widerlegt
werden soll, ohne im einzelnen auf deren eventuell raffinierte
Gedankenführung einzugehen. Es macht den Reiz dieser Figur aus,
daß nicht ohne weiteres zu entscheiden ist, ob sie überzeugend sein
wird oder nicht.
Ein geistesgeschichtlich berühmtes Beispiel ist Voltaires philosophischer
Roman Candide, der sich in satirischer Form gegen Leibnizens
These richtet, diese unsere Welt mitsamt ihrem ganzen Elend sei
die beste aller möglichen. Leibniz hatte das Problem der Theodizee -wir
sind ihm ja schon begegnet - dadurch gelöst, daß er philosophisch
nachwies, eine bessere Welt als diese, unsere, sei gar nicht möglich.
Anstatt aber auf Leibnizens tiefgründige Argumentation einzugehen,
schildert Voltaire im Candide ein einzelnes menschliches Leben, das
buchstäblich von einem Unglück ins nächste taumelt. In die Schilderung
aller Leiden und Unglücksfälle dieses Lebens werden gelegentlich
Kommentare im Stile der Leibnizschen Philosophie eingeblendet.
Voltaire erspart sich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dieser
Philosophie, er konfrontiert sie einfach mit der Realität, dies allerdings
tut er drastisch.
Die Bewertung von Voltaires Argumentation hat immer geschwankt.
Für deutsche Metaphysiker geht Voltaire an Leibnizens Argumenten
vorbei, ohne deren Tiefgründigkeit zu begreifen. Voltaire, sagen seine
Kritiker, sei seicht, Leibniz aber tief. Die Anhänger Voltaires
andererseits meinen, der Roman Candide zeige ein für allemal die
Lächerlichkeit der Leibnizschen "Theo-Philosophie", an der nichts tief
sei, außer ihrem Unsinn.

(Quelle - Empfohlen)

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Wer gegen Monster kämpft, muss achtgeben, nicht selbst zum Monster zu werden - Nietzsche

ARGUMENTATIONSLEHRE (einfach)

Robert ⌂, München, Sunday, 19.07.2009, 16:06 (vor 6005 Tagen) @ Mirko

Die meisten hier werden schon mal im Disput mit einer Feministin gelegen
haben, meist in anderen Foren. In einer Diskussion werden Argumente
ausgetauscht; der von mir eingestellte Text behandelt diese verschiedene
Argumentationsformen. Was natürlich nicht hilft, wenn der Gegner unsachlich
vorgeht, aber dennoch:

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...


(Quelle - Empfohlen)

Wusste ichs doch, das kam mir gleich so bekannt vor. Der "Schleichert" liegt hier neben mir. Kann ich uneingeschränkt empfehlen.

Aber: ich denke, die seriöse Diskussion ist mit Feministen nicht zu empfehlen, Ich denke, die Kapitel 7, 8 und 9 dieses Buches wären sehr viel sinniger ...

Robert

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Wolfgang Gogolin "Diese Hymnen für Frauen erinnern an das Lob, das einem vierjährigen Kind zuteil wird, weil es endlich nicht mehr in die Hose kackt, sondern von allein aufs Töpfchen geht."

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