Aus dem alten Rom
Im Usenet gefunden
Cassius Dio, Römische Geschichte, Band IV, übers. v. Otto Veh, Düsseldorf 2007, S. 248ff.
_______________________________
Vor genau 2000 Jahren, anno 9 n. Chr., versammelte Kaiser Augustus die Römer auf dem Forum und ließ zwei Gruppen bilden, auf der einen Seite Familien mit Kindern, auf der anderen Seite Kinderlose. Die erste Gruppe erhielt Lob und Geschenke. Die Gruppe der sich selbst verwirklichenden, kinderlosen Singles war jedoch viel größer, was den Kaiser ärgerte, und er hielt ihnen eine Gardinenpredigt:
"Eine seltsame Erfahrung habe ich machen müssen, o - wie kann ich wohl euch nennen? Männer? Doch ihr vollbringt ja keine Männerpflichten. Bürger? Aber nach all eueren Taten zu schließen, geht die Stadt zugrunde! Römer? Aber ihr arbeitet ja darauf hin, diesen Namen auszutilgen!
Nun gut, was immer ihr auch seid und mit welchem Namen ihr auch immer bezeichnet werden wollt, ich für meinen Teil habe eine erschütternde Erfahrung machen müssen: Obwohl ich jederzeit alles tue, um euere Bevölkerungszahl zu heben, und jetzt dabei bin, euch zu tadeln, muß ich mit Mißvergnügen sehen, daß euer viele sind. Lieber hätte ich gewünscht, daß jene anderen, zu denen ich eben gesprochen habe, so viele wären, als ihr euch jetzt erweist, am allerliebsten aber, daß ihr unter sie eingeordnet wäret oder andererseits überhaupt nicht existiertet. Denn ohne euch um die Vorsehung der Götter oder die Fürsorge der Altvordern zu kümmern, strebt ihr danach, unser ganzes Geschlecht auszurotten und tatsächlich sterblich zu machen, das ganze römische Volk aber zu vernichten und ihm ein Ende zu bereiten. Denn welcher Keim menschlichen Lebens dürfte übrigbleiben, wenn auch alle übrigen ebenso wie ihr handeln wollten? Habt ihr euch doch zu ihren Führern gemacht und müßtet darum mit Recht die Verantwortung für das allgemeine Verderben auf euch nehmen! Und selbst wenn niemand sonst euch nacheiferte, dürftet ihr dann nicht billigermaßen eben deshalb zum Gegenstand des Hasses werden, weil ihr überseht, was kein anderer übersehen, und mißachtet, was niemand sonst mißachten würde, indem ihr Sitten und Verhaltensweisen einführt, deren Nachahmung das Verderben aller und deren Ablehnung euere Verurteilung zur Folge haben müßten? Wir schonen ja auch nicht die Mörder, weil nicht jedermann einen Mord begeht, und wir lassen auch die Tempelräuber nicht ohne Strafe, weil nicht alle Tempelraub begehen, sondern wer einer verbotenen Handlung überführt wird, muß eben deshalb büßen, weil er allein oder auch in Zusammenarbeit mit einigen wenigen etwas tut, was keiner sonst tut.
Und doch, wenn einer selbst die schlimmsten Übeltaten nennen wollte, so sind die anderen ein Nichts gegenüber diesem eueren jetzigen Tun, ob ihr sie nun einzeln, Verbrechen gegen Verbrechen, prüfen oder alle zusammen in Vergleich mit diesem eueren einzigen setzen wollt. Denn Mord begeht ihr, wenn ihr jene überhaupt nicht zur Welt kommen laßt, die doch euere Nachkommen werden sollten! Und ihr seid Frevler, wenn ihr den Namen und Ehren euerer Vorfahren ein Ende setzt, dazu Gotteslästerer; euere Familien, die von den Göttern begründet sind, laßt ihr ja aussterben und vernichtet die größte aller Weihegaben an die Himmlischen, das menschliche Leben, indem ihr deren heilige Bräuche und Tempel dadurch dem Untergang preisgebt. Überdies zerstört ihr auch das Staatswesen, wenn ihr den Gesetzen den Gehorsam verweigert, und verratet euer Vaterland, da ihr es unfruchtbar und kinderlos macht. Mehr noch, indem ihr ihm die künftigen Bewohner vorenthaltet, untergrabt ihr die Heimat ganz und gar; denn Menschen sind es doch ganz gewiß, die erst eine Stadt ausmachen, und nicht Häuser, Säulenhallen oder Marktplätze, leer von Menschen. Bedenket nun, welch Zorn gerechterweise unseren großen Romulus, den Begründer unseres Stammes erfassen dürfte...
... Denn sicherlich besteht euer Vergnügen nicht in einem Alleinsein, das euch auf Frauen verzichten läßt, und es ist auch niemand unter euch, der für sich allein speist oder allein schläft; nein, ihr wollt nur volle Freiheit, um eurer Geilheit und Zuchtlosigkeit frönen zu können. Dabei habe ich euch doch erlaubt, um Mädchen anzuhalten, die noch im zarten Alter stehen und noch nicht heiratsfähig sind, damit ihr als künftige Bräutigame geltet und ein Leben wie Familienväter führen könnt. Ich habe ferner denen, die nicht dem Senatorenstand angehören, die Heirat einer Freigelassenen gestattet, damit einer diesen Schritt, sofern er sich aus Liebe oder aus einer sonstigen engen Bindung dazu veranlaßt fühlte, auf gesetzliche Weise tun kann. Und auch dazu habe ich euch wahrlich nicht gedrängt, sondern habe euch zunächst drei ganze Jahre zur Vorbereitung und später noch zwei Jahre gewährt. Aber auch so ist all mein Drohen, mein Ermuntern, mein Hinausschieben, mein Bitten erfolglos geblieben. Denn ihr seht ja selbst, wieviel ihr die Verheirateten an Zahl übertrefft, ihr, die ihr uns bereits die gleiche Zahl von Kindern oder besser noch ein Vielfaches von dem, was ihr selbst darstellt, hättet schenken sollen. Wie könnten ja sonst die Familien weiterbestehen, wie der Staat erhalten bleiben, wenn wir weder heiraten noch Kinder zeugen?
Ihr rechnet doch sicherlich nicht damit, daß Menschen aus der Erde wachsen werden, um eueren Besitz und die öffentlichen Aufgaben zu übernehmen, wie uns die Mythen erzählen? Und doch ist es weder recht noch ehrenvoll, wenn es mit unserem Geschlechte zu Ende gehen und der Römername mit uns erlöschen, die Stadt aber Fremden anheimfallen sollte, Griechen oder gar Barbaren. Oder schenken wir unseren Sklaven nicht gerade deshalb vor allem die Freiheit, damit wir aus ihren Reihen möglichst viele Bürger gewinnen, und geben den Bundesgenossen Anteil am Bürgerrecht, um unsere Zahl zu vergrößern? Gerade ihr aber, Römer von Anfang an, die ihr jene berühmten Marcier, Fabier, Quintier, Valerier und Julier als euere Vorfahren aufzählen könnt, ihr wollt mit euch gleichzeitig auch euere Familien und Namen austilgen?
Ich für meine Person schäme mich, daß ich gerade so etwas erwähnen mußte. Höret nun auf mit euerem Wahnsinn und bedenket endlich einmal, daß bei so vielen die ganze Zeit her durch Krankheiten und Kriege eintretenden Todesfällen die Erhaltung der Stadt unmöglich wird, wenn sich ihre Bevölkerung nicht durch die immer wieder neu Geborenen auffüllt!..."
_____________________
Cassius Dio, Römische Geschichte, Band IV, übers. v. Otto Veh,
Düsseldorf 2007, S. 248ff.
