Im Abseits - Die ewig Benachteiligten
Manche Frauen sind sehr gern unglücklich und sie jammern auch für ihr Leben gern. Das würden Sie natürlich niemals so zugeben, aber es muss so sein! Denn anders ist das Phänomen der "ewig Benachteiligten" nämlich gar nicht erklärbar. Ewig Benachteiligte, das können Freundinnen sein, Kolleginnen, Schwestern oder Mütter. Sie erzählen immer wieder dieselbe Geschichte: Dass sie vom Leben schlechter behandelt werden, als alle anderen. Wir hören uns diese Geschichte auch immer wieder geduldig an, geben uns große Mühe, Anteilnahme zu zeigen und versuchen, zu trösten - obwohl wir von dem Gejammer sehr genervt sind und am liebsten die Flucht ergreifen würden.
Die "Ewig Benachteiligte" ist keine Einbildung von grausamen Zicken, die kein Mitgefühl für die Probleme anderer Frauen haben. Die Therapeutin Almut Niemann, die in ihren Seminaren und Einzelberatungen Anleitungen zu einem zufriedeneren und glücklicheren Leben gibt, bestätigt das. "Diese Frauen empfinden sich als Opfer, fühlen sich ständig benachteiligt und glauben, die ganze Welt sei gegen sie. Sie sehen gar keine Chance für sich."
Jede kennt das Gefühl, gerade mal vom Leben schlecht zu behandelt zu sein, wenn es nicht so läuft. Aber doch nicht immer! Die "Ewig Benachteiligten" können oder wollen nicht sehen, was in ihrem Leben gut funktioniert und was schön ist.
Das Leben der Freundinnen ist viel schöner
Birgit aus Oberhausen ist so ein Fall. Sie hat allerdings den Mut, im Gegensatz zu vielen anderen, darüber offen zu sprechen. Birgit ist 49 Jahre alt, geschieden und ist eine sehr nette, sympathische Frau. Aber sie glaubt es, viel schwerer zu haben, als andere. Warum, ist zunächst nicht ersichtlich. Birgit hat ein eigenes Haus mit riesigem Garten, eine erwachsene Tochter und einen lustigen Hund. Das ist eigentlich schon mal ganz schön viel, könnte man denken. Aber nicht so Birgit. "Manche Menschen haben Glück im Leben, da läuft es so durch", meint sie, "und bei manchen ist es so, dass sie viele Umwege gehen müssen, immer kämpfen müssen und zu denen gehöre ich. Da fühle ich mich schon benachteiligt." Birgit findet das Leben ihrer Freundinnen viel schöner, als ihr eigenes, und das ist auf jeden Fall eine wirklich dramatische Eigenschaft der ewig Benachteiligten: Die anderen haben es immer besser, immer! Birgit beneidet ihre Freundinnen vor allem darum, verheiratet zu sein und in "normalen" Familien zu leben. Wenn sie auch eine Familie hätte, glaubt sie, wäre bei ihr alles im Lot! "Eine harmonische Partnerschaft ist mein Traum", sagt Birgit, "dann wäre ich endlich glücklich." Sie ist davon überzeugt, dass ihr Leben bisher nicht sehr glücklich war. Obwohl Birgit zugeben muss, dass es auch schöne Zeiten gegeben hat. Aber alles in allem war es natürlich eher problematisch. Na klar.
Niemand "macht" Dich glücklich
Therapeutin Almut Niemann kennt von ihren Klienten diesen weit verbreiteten Anspruch, dass andere uns glücklich machen sollen, weil wir selbst es nicht können. Und wenn wir ehrlich sind, kennen wir diese Erwartungshaltung auch ein bisschen von uns selbst. Bei der "Ewig Benachteiligten" aber ist das ein Dauerzustand und deshalb hat sie viel Stoff zum Jammern, denn niemand will sie glücklich machen. "Niemand anderes kann meine Defizite ausgleichen", sagt Almut Niemann. "Ich selbst bin dafür verantwortlich, dass ich glücklich bin. Es kann nur aus mir heraus kommen. Erst dann kann ich mit anderen Menschen glücklich sein."
Birgit möchte ihr Leben so gern ändern, sagt sie, und gibt im selben Atemzug zu, dass sie nichts dafür tut. Sie wartet darauf, dass etwas passiert, dass einer des Weges kommt und dann alles schön ist. Und je länger nichts passiert, umso benachteiligter fühlt sie sich natürlich. Sie mag nicht wirklich einsehen, dass eigene Entscheidungen ihr das Leben beschert haben, dass sie lebt. Mit Mitte Zwanzig war sie schon einmal verheiratet, bekam ihre Tochter und trennte sich von ihrem Mann, als sie 30 war. Familie war ihr damals nicht genug, sie wollte mehr vom Leben. Heute bereut sie diese Entscheidung zutiefst und macht ihre Kindheit für das Missgeschick verantwortlich.
Die schwere Kindheit ist an allem schuld
Die Geschichte von der unglücklichen Kindheit, die hat Almut Niemann schon sehr, sehr oft gehört. Gnadenlos sagt sie: "Probleme in der Kindheit hat jeder Mensch! Wir alle wurden verletzt! Es ist auch okay, sich ein bisschen zu bemitleiden und eine Weile zu jammern. Aber das darf kein Dauerzustand sein, denn das ist kontraproduktiv!" Denn heute sind wir ja erwachsen und die unglückliche Kindheit ist schon lange vorbei! Wer sich immer wieder vor Augen hält, was die Eltern uns alles angetan haben, hat immer wieder eine sehr schöne Rechtfertigung dafür, quasi von Anfang an benachteiligt gewesen zu sein. Aber leider sind wir als erwachsene Menschen nun alt genug, eine unglückliche Kindheit zu verarbeiten, hinter uns zu lassen und unser Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Natürlich ist es schwer, mit dem zufrieden zu sein, was man hat und nicht immer was anderes oder mehr zu wollen. Das wissen nicht nur die "ewig Benachteiligten" und die Heulsusen unter uns. Irgendwas fehlt ja immer! Eine Handtasche, ein Tampon, ein Taxi, ein Mann, ein verständnisvoller Mann oder wenigstens ein schöner Mann. Und so weiter. Wer sich nur mit dem beschäftigt, was leider gerade nicht zu haben ist, bekommt schlechte Laune.
Birgit hat ja Familie, jedenfalls mehr als so mach andere Frau. Sie hat eine erwachsene Tochter, die oft vorbei kommt, mit der sie sich gut versteht und mit der sie Spaß hat. Aber das reicht Birgit nicht. Sie weiß ja, dass es schöne Dinge in ihrem Leben gibt, sagt sie: "Aber ich kann mich daran nicht erfreuen, ich sehe eher die negativen Seiten, die empfinde ich bewusster."
Was also soll man dazu sagen, wenn jemand nur die Probleme sehen will? Jemand, der es immer schlechter getroffen hat, als andere und deshalb auch kein Verständnis hat, wenn andere auch mal ein Problemchen haben? Immer wieder zuhören, bemitleiden, Ratschläge geben? Am Ende geht es einem selber schlecht. "Opfer können gnadenlos ein", bestätigt auch Therapeutin Almut Niemann und lacht. "Wenn Sie merken, dass Sie selber aggressiv werden, genervt sind oder traurig werden, müssen Sie aufpassen, dass Sie nicht zum Opfer des Opfers werden!" Das Beste ist dann, mal etwas zu sagen, was allen Beteiligten gut tut: Die Wahrheit. Und die lautet: Die Geschichte von der "ewig Benachteiligten", die im Leben kein Glück hat, diese Geschichte ist ein Märchen! Also, sei Tapfer und hör auf, zu jammern.
Buchtipps
Jaya Herbst:
"Schon wieder ich! Über die Opferrolle und wie wir uns davon befreien."
Kösel Verlag 2008, ISBN: 978-3466305780
Beate Kricheldorf:
"Verantwortung? Nein danke! Weibliche Opferhaltung als Strategie und Taktik."
Fischer Verlag 2006, ISBN: 978-3895016172
Byron Katie:
"Lieben, was ist. Vier Fragen, die Ihr Leben verändern können."
Goldmann 2008, ISBN: 978-3442336500
Alle drei Bücher beschreiben sehr anschaulich das Phänomen der "ewig Benachteiligten" und zeigen viele praktische Tipps und Übungen, die helfen, aus der Opferrolle herauszukommen.
Quelle:
wdr/frautv 04.02.2009
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Flohgast,
06.02.2009, 18:52
- Im Abseits - Die ewig Benachteiligten - Mustrum, 06.02.2009, 20:48