Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

BVerfG: Beförderung zur Kriminalkommissarin trotz Behinderung

Christine ⌂, Wednesday, 21.01.2009, 11:20 (vor 6181 Tagen)

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob eine schwerbehinderte Polizeivollzugsbeamtin auf Lebenszeit, die trotz ihrer gesundheitlichen Einschränkungen weiterhin im Polizeivollzugsdienst verwendet wird, ohne Rücksicht auf die Erfordernisse des angestrebten Amtes allein wegen ihrer eingeschränkten Polizeidienstfähigkeit vom Beförderungsgeschehen ausgeschlossen werden kann.

I.

1. Die Beschwerdeführerin steht seit dem 1. Dezember 1992 als Polizeibeamtin im Dienst des Freistaats Sachsen. Sie hat zurzeit das Amt einer Kriminalobermeisterin (BesGr. A 8 BBesG <mittlerer Dienst>) inne und ist bei der Polizeidirektion O. beschäftigt. Im Januar 1999 wurde die Beschwerdeführerin zum Erwerb der Befähigung für den gehobenen Polizeivollzugsdienst zugelassen. Im Jahr 2000 stellte sich heraus, dass die Beschwerdeführerin an einer seltenen Erkrankung des Herzens leidet und daher auf Dauer polizeidienstunfähig ist. Dennoch schloss sie ihre Aufstiegsausbildung im Jahr 2002 erfolgreich ab. Die Beschwerdeführerin wird - trotz ihrer Erkrankung - auf der Grundlage von § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz Sächsisches Beamtengesetz - SächsBG - auch weiterhin im Polizeivollzugsdienst verwendet. Sie ist auf einem Dienstposten eingesetzt, der ihre gesundheitlichen Einschränkungen berücksichtigt. Seit dem Jahr 2002 ist die Beschwerdeführerin als Schwerbehinderte anerkannt, seit April 2004 mit einem Grad der Behinderung von 70.

2. Nach einer Reihe von Gesprächen mit ihrem Dienstherrn, in denen die Beschwerdeführerin sich erfolglos um einen Wechsel in die Laufbahn des gehobenen Dienstes bemüht hatte, beantragte sie am 7. Oktober 2004 den Erlass &#8222;einer beschwerdefähigen Entscheidung". Mit Schreiben vom 29. April 2005 teilte der Dienstherr der Beschwerdeführerin mit, dass sie mangels gesundheitlicher Eignung nicht in den gehobenen Polizeivollzugsdienst befördert werden könne. Sie könne aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen wesentliche Teile der polizeilichen Arbeit nicht ausüben. Die gesundheitliche Eignung müsse indes für alle Tätigkeiten einer Laufbahn vorliegen. Im Übrigen stehe im gehobenen Polizeivollzugsdienst kein Dienstposten zur Verfügung, auf dem eine ihren Einschränkungen gerecht werdende Verwendung möglich wäre.

3. Die Beschwerdeführerin erhob daraufhin Klage, die das Verwaltungsgericht Dresden mit Urteil vom 9. Mai 2006 abwies. Die Beschwerdeführerin habe keinen Anspruch auf Ernennung zur Kriminalkommissarin. Der Dienstherr sei rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführerin die gesundheitliche Eignung für das angestrebte Amt fehle. Wegen der besonderen Anforderungen, denen Polizeibeamte bei der Verrichtung ihres Dienstes ausgesetzt seien, seien diese nur dann gesundheitlich geeignet, wenn sie polizeidienstfähig seien. Es sei also zu prüfen, ob der Beamte allen laufbahntypischen Aufgaben des allgemeinen Vollzugsdienstes sowohl physisch wie auch psychisch gewachsen sei. Dies sei bei der Beschwerdeführerin unstreitig nicht der Fall. Ihre Erkrankung führe dazu, dass sie die im Polizeivollzugsdienst geforderten körperlichen Anstrengungen (körperlicher Einsatz gegen Rechtsbrecher, Anwendung unmittelbaren Zwangs, Dienstsport) nicht bewältigen könne. Auch Belastungen durch Schicht- und Außendienste, Nacht- und 12-Stundendienste, das Führen von Kraftfahrzeugen mit Sonderrechten und häufiges Treppensteigen seien für die Beschwerdeführerin nicht zumutbar. Auch § 10 Sächsische Laufbahnverordnung - SächsLVO - verhelfe der Klage nicht zum Erfolg. Diese Vorschrift sei für die Laufbahn der Polizeibeamten nicht anwendbar. Die Ämter in der Laufbahn des Polizeivollzugsdienstes seien von besonders hohen körperlichen Anforderungen geprägt. Eine weitgehende Integration behinderter Menschen in den Polizeivollzugsdienst scheitere faktisch daran, dass der Dienstherr mit der Einrichtung der Polizei seiner Aufgabe zur Gefahrenabwehr und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nachkommen müsse, dies aber nur könne, wenn seine Beamten vollumfänglich einsatzfähig seien.

4. Den hiergegen gerichteten Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung lehnte das Sächsische Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 2. November 2007 ab. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils seien nicht dargetan. Einer Beförderung der Beschwerdeführerin in den gehobenen Polizeivollzugsdienst stehe ihre mangelnde gesundheitliche Eignung entgegen. Dabei sei auf die Anforderungen der laufbahntypischen Aufgaben abzustellen. Ein Beamter sei nur dann uneingeschränkt körperlich und gesundheitlich geeignet, wenn er psychisch und physisch dem gesamten Aufgabenspektrum seiner Laufbahn gewachsen sei. Dies sei bei der Beschwerdeführerin nicht der Fall. Ein Anspruch der Beschwerdeführerin auf Beförderung ergebe sich auch nicht unter Beachtung des Benachteiligungsverbots behinderter Menschen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Könne ein schwerbehinderter Bewerber die Anforderungen des Amtes gerade aufgrund seiner Behinderung nicht erfüllen, so folge aus dem Benachteiligungsverbot, dass die gesundheitliche Eignung nur verneint werden dürfe, wenn im Einzelfall zwingende Gründe für das Festhalten an dem allgemeinen Maßstab sprächen. Solche Gründe lägen im Hinblick auf den Polizeivollzugsdienst, für den ein besonderes Maß an körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit gefordert werde, zweifelsohne vor. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 150 Abs. 1 Satz 1 letzter Teilsatz SächsBG. Dort gehe es ausschließlich um die Voraussetzungen, unter welchen die Polizeidienstunfähigkeit festzustellen sei, und um die Möglichkeit einer weiteren Verwendung trotz festgestellter eingeschränkter Polizeidienstunfähigkeit. Dies lasse die Frage der Eignung für ein Beförderungsamt jedoch unberührt.

Hier das komplette Urteil http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rk20081210_2bvr257107.html

Wer wissen will, welche Gesetze gemeint sind, kann sie hier finden.

--
Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein

powered by my little forum