NAHOST-KONFLIKT
SPIEGEL ONLINE: Was führt Sie zu dieser Annahme?
Butros Ghali: Israel verschließt gelegentlich vor harten Fakten die Augen. Der Gaza-Streifen stellt gerade mal zwei Prozent der Gesamtfläche des geografischen Palästina dar. Es liegt aber in der Natur der Dinge, dass diese Fläche im Rahmen eines echten Friedensschlusses stark ausgeweitet werden muss. Ein weiterer Tatbestand, den Israelis immer wieder verdrängen, sind die 1,3 Millionen arabischen Palästinenser, die bei der Staatsgründung Israels 1948 in ihren Dörfern und Städten geblieben sind und heute rund ein fünftel Prozent der israelischen Bevölkerung ausmachen. Um das Jahr 2060 werden die Palästinenser gut die Hälfte der Bewohner Israels und der israelisch besetzten Gebiete stellen - Tendenz steigend.
SPIEGEL ONLINE: Die demografische Entwicklung wird demnach den Traum von einem Staat mit einer jüdischen Bevölkerungsmehrheit zunichte machen. Doch ist diese in israelischer Sicht ungute Entwicklung in der gegenwärtigen Konfliktsituation von Bedeutung?
Butros Ghali: Das wachsende Ungleichgewicht zwischen Juden und Arabern im israelischen Herrschaftsbereich ist von entscheidender Bedeutung für die nahe Zukunft des jüdischen Staates. Die zionistische Idee eines rein jüdischen Staates geht schon heute nicht mehr auf, diese Entwicklung lässt sich nicht mehr aufhalten. Die Lunte brennt doch schon. Die Abwanderung aus Israel nimmt zu, nicht nur im Anschluss an Krisensituationen. Immer mehr israelische Familienväter haben kein Vertrauen in die Zukunft und wollen ihren Kindern ein Leben in ständiger Furcht und Friedensferne ersparen. Doch die jetzige israelische Führung scheint einzig und allein von Wahltaktik motiviert zu sein. Das angesichts des Ausmaßes des bereits jetzt angerichteten Schadens unverantwortlich.