Die heimliche Macht der Frauen im organisierten Verbrechen
01.12.2008
aus Heft 49/2008
SPIEGEL-GESPRÄCH
"Mafia ist immer großes Drama"
Die in Venedig lebenden Autorinnen Petra Reski und Donna Leon über Kriminalität in Italien und Deutschland, die heimliche Macht der Frauen im organisierten Verbrechen und die Liebe zu ihrer schwierigen Wahlheimat.
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SPIEGEL: Sie beide haben sich hier in Venedig miteinander angefreundet. Und es heißt, schon bei Ihrem ersten Treffen sei es um die Mafia gegangen. Warum interessieren Sie sich ausgerechnet für diese finstere Männerbündelei?
Reski: Wieso Männerbündelei? Ich beschäftige mich als Journalistin seit 20 Jahren mit der Mafia - und Mafia ist immer erst mal großes Drama. Zunächst waren es die Familiengeschichten, die mich faszinierten. Es sind ja Perversionen von Familiengeschichten, kaum fassbare psychologische Abgründe. Ich habe mein erstes Buch über Rita Atria geschrieben, eine junge Frau, die gegen die Mafia ausgesagt und sich dann umgebracht hat. Ihre Mutter hatte sie wegen ihrer Aussage sowieso schon verstoßen und ging dann noch auf den Friedhof und zertrümmerte den Grabstein. Wie kann so etwas sein? Oder wie kann eine Mutter ungerührt zusehen, wie ein Sohn den anderen erschießt?
Leon: Mich fasziniert generell, wie Leute rechtfertigen, was sie tun. Und bei der Mafia ist das besonders aufschlussreich. Mafiosi rechtfertigen das Morden, weil sie sich als Soldaten im Krieg verstehen - ein Clan gegen den anderen. Ich glaube, selbst die schlimmsten Verbrecher suchen nach einer moralischen Überhöhung ihrer Taten. Sie wollen einen Sinn.
SPIEGEL: Haben Frauen einen anderen Blick auf das Thema als Männer?
Reski: Wenn Männer über die Mafia berichten, neigen sie dazu, nur die gefährlichen Bosse wahrzunehmen und dabei zu übersehen, dass hinter einem gefährlichen Boss eine mindestens so gefährliche Frau steht. Ich habe viel über die Frauen in der Mafia recherchiert und bin mir sicher: Ohne seine Frau macht der Boss überhaupt nichts. Viele Frauen wollen unbedingt, dass ihre Männer bei der Mafia sind, und das ist verständlich, denn sonst wären sie in ihren Dörfern, in denen zum Teil mehr als 90 Prozent der Einwohner zur Mafia gehören, völlig isoliert. Zur Mafia gehören zu wollen hat auch handfeste wirtschaftliche Vorteile: Darum treiben die Frauen die Männer an. Italien ist ein Matriarchat, und je weiter man nach Süden kommt, desto stärker zeigt sich das.
Leon: Der italienische Mann kehrt jeden Abend pünktlich nach Hause zurück - hier können Sie echte weibliche Macht besichtigen. Viele Italiener sind zeit ihres Lebens abhängig von ihren Müttern.
Reski: Sie sind ihnen symbiotisch ergeben, denn eine italienische Mutter beherrscht ihren Sohn mit ihrer Liebe. Die Mütter bestimmen alles. Deswegen hätte die Mafia nie einen Schritt ohne die Frauen machen können. In der kalabrischen Mafia, der 'Ndrangheta, kommt der Clanchef und schneidet einem Neugeborenen die Nägel. Das ist ein Initiationsritual. Danach wird neben das Baby ein Schlüssel gelegt und ein Messer. Was es als Erstes berührt, das ist dann seine Bestimmung. Der Schlüssel steht für den Schergen, den Polizisten, das Messer für die Mafia. Die Mütter legen das Messer so hin, dass die Babys es zuerst berühren. Mütter wollen immer das Beste für ihre Kinder, und das Beste für ihre Kinder bedeutet in weiten Teilen des südlichen Italiens leider, zur Mafia zu gehören. Man denke nur an den Jahresumsatz der 'Ndrangheta: geschätzte 44 Milliarden Euro.
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Leon: Ich bin nicht der größte Fan von Obama. Er ist der Typus, den man im College zum beliebtesten Jungen gewählt hat, weil er so hübsch und charmant ist. Aber ob das ausreicht für diesen Job? Ich hoffe allerdings inständig, dass er etwas bewegt. Meine Horrorvorstellung vor der Wahl war, dass Sarah Palin durch eine Verkettung unglücklicher Umstände Präsidentin werden würde -
Der komplette Bericht hier http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,593504,00.html
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein