Ein bisschen Lesestoff für Melly - 5
"Herren der Erschöpfung. Das starke Geschlecht ist eigentlich das schwache. (…) Männer, das starke Geschlecht. Eine Lachnummer. Männer sind längst als das eigentlich schwache Geschlecht geoutet. Als ein diffuser Haufen von Gefühls-Autisten, sexuellen Prahlhänsen, Workaholics, kränkelnden Jammerlappen und Schluckspechten, die früh der Herzinfarkt hinrafft, zu dumm, sich richtig zu ernähren, gleichzeitig verrückt nach Risiko und auf immer abhängig von Mama. Eine Spezies, die beim Grillen ihre Erfüllung findet (…) Der Mann gilt höchstens noch als die Krone der Erschöpfung. (…) Männer fühlen am liebsten gar nicht. Und wenn, dann verunsichert und überfordert. (…) In der Ehe sind es bis zu 85 Prozent die Männer, die emotional dichtmachen. (…) Beziehungsinvaliden und Gefühlsphobiker (…) Ihr Gefühlsleben bleibt dagegen eingeschränkt, sie können sich nicht äußern, gehen nur wenige nahe Beziehungen ein. (…) Loyalität, dass Mann zu dumm ist, die Firma rechtzeitig zu wechseln, bevor er gefeuert wird. (…) Männliche Gefühlsphobiker und Beziehungsinvaliden werden zunehmend abserviert. Vier von fünf Scheidungen gehen mittlerweile von Frauen aus. Und auch im Bett ist Mann samt seinem besten Freund gefordert. Bubis zahnloser Kuschelsex (…) werden nicht mehr hingenommen. (…) Er kann wenig Sinnvolles weitergeben. (…) Tatsächlich aber hat er nur noch Kontrolle über die Knöpfe seiner TV-Fernbedienung. Denn mächtig ist der Mann nur noch in seiner Vorstellung. Je unsicherer Männer werden, umso unbesiegbarer werden die Gladiatoren und Terminatoren auf den Bildschirmen männlicher Fantasie. Umso wahnwitziger wird die männliche 'Mission impossible'. Wer im beruflichen Alltag die Entscheidungen aus der Hand geben muss, der greift zum Joystick und entscheidet über das Ableben der Moorhühner. Wer in seiner Sexualität daran verzweifelt, wie er bei der sachgerechten Bearbeitung des G-Punkts seinen Kopf abschalten und sie gleichzeitig beinhart, aber einfühlsam nehmen soll, der schiebt wenigstens seine Porno-Videos so oft und so tief in seinen Videorecorder, wie er es will. Und wer in der Familie keinen Stich bekommt und statt Porsche einen Corsa kutschieren muss, der kommt immerhin mit Schumi als Erster ins Ziel und boxt seine Gegner mit den Klitschko-Brüdern in den Staub. Wo auch die virtuelle Welt aus Telefonsex und PC-Game den wachsenden Burn-out nicht ausgleichen kann, bleibt Mann noch die Flucht in die Sucht. Sex, Extremsport, Alkohol, Arbeit oder Aktienkäufe. Gut ist, was ablenkt und Betäubung verspricht. (…) und starke Körperbehaarung eher als affig denn als männlich gilt, (…) Blasse Juristen mit der Muskulatur einer Stabheuschrecke posen neuerdings vor ihren Flurspiegeln und treffen sich mit männlichen Fleischmassen, deren Hauptgericht Anabolika sind, zum gemeinsamen Eisenpumpen in der Mucki-Bude. (…)"
(Quelle: "Brigitte" Nr. 19/2001)