"Gefährder"
Wie üblich, eine Gefährderin gibt es natürlich nicht, erst recht nicht im häuslichen Bereich und bei Stalkern sowieso nicht.
http://www.bundestag.de/wissen/analysen/2008/Gefaehrder.pdf (2 Seiten)
Aktueller Begriff
Nr. 36/08 (23. Juli 2008)
"Gefährder" 1. Begriffsbestimmung
Der in der sicherheitspolitischen Diskussion häufig verwendete Begriff "Gefährder" ist nicht
legal definiert. Er hat bislang keinen Eingang in gefahrenabwehrrechtliche oder strafrechtliche
Gesetze gefunden, obwohl er auch schon vor den terroristischen Anschlägen vom 11. September
2001 benutzt wurde. Dementsprechend wird der Begriff "Gefährder" nicht einheitlich verwandt.
Bund und Bundesländer haben sich für die Arbeit der Sicherheitsbehörden auf eine Begriffsbestimmung
geeinigt; diese beruht auf einem Beschluss der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Landeskriminalämter
und des Bundeskriminalamtes ("AG Kripo";) aus dem Jahr 2004. Seither gehen
das Bundesministerium des Innern (BMI) und mit ihm die Bundesregierung sowie verschiedene
Sicherheitsbehörden der Länder von folgendem Begriff aus:
"Ein Gefährder ist eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass
sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne
des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.";
Unter den Katalog des § 100a StPO fallen schwere Straftaten wie Mord und Totschlag, Verbreitung,
Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften oder Bandendiebstahl. Die konkrete Gefahr
- etwa eines Anschlags - ist keine Voraussetzung für eine Einstufung als "Gefährder".
2. Anwendungsbereiche
Der Begriff "Gefährder" ist ein Arbeitsbegriff der Sicherheits- und Ordnungsbehörden, der in verschiedenen
polizeilichen und geheimdienstlichen Kontexten verwendet wird - mit dem genannten
Inhalt schwerpunktmäßig bei der Bekämpfung terroristischer Gefahren. Hierbei wird von den
Polizeibehörden zwischen "Gefährdern" in den Bereichen der politisch motivierten Kriminalität
(rechts- bzw. linksextremistischer Terrorismus) sowie "Gefährdern" in den Bereichen der politisch
motivierten Ausländerkriminalität (islamistischer Terrorismus) unterschieden. In diesem Zusammenhang
werden beispielsweise in der Datei "Gewalttäter Links"; und der "Datenbank Islamismus";
(DABIS) des Bundeskriminalamtes unter anderem personenbezogene Daten gespeichert.
Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 und den folgenden Anti-Terror-Maßnahmen wird
der Begriff "Gefährder" verstärkt im Kontext der Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus
gebraucht. So hat etwa das Bayerische Staatsministerium des Innern im Oktober 2004 die
Arbeitsgruppe "Beschleunigte Identifizierung und Rückführung von Gefährdern aus dem Bereich
des islamistischen Terrorismus/Extremismus" (BIRGiT) eingerichtet. Wesentliches Ziel der Arbeitsgruppe
ist es, in Bayern lebende "islamistische Gefährder" auszuweisen.
Daneben hat der Begriff "Gefährder" aber auch Eingang gefunden in andere ordnungs- und strafrechtlich
relevante Problemkreise:
- aufenthaltsrechtliche Fragestellungen,
- versammlungsrechtliche Vorfeldmaßnahmen wie "Gefährderanschreiben", "Gefährderansprache",
- präventive Maßnahmen gegen gewaltbereite Fußballfans,
- präventive Maßnahmen gegen Gewalt in Beziehungen und so genannte Stalker, auch hier
"Gefährderansprache",
- Verhinderung rechtsradikaler Aktivitäten.
Nr. 36/08 (23. Juli 2008)
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3. Rechtliche Grundlagen
Für die Frage nach den Rechtsgrundlagen für die Einstufung als "Gefährder" sind allgemein zwei
Ebenen zu unterscheiden: die Ebene der Erfassung einer Person als "Gefährder" aufgrund bestimmter
personenbezogener Merkmale und Verhaltensweisen sowie die Ebene der Verwendung
der kategorisierten Erkenntnisse für präventive oder repressive Maßnahmen gegen die betreffende
Person.
Erfassung als "Gefährder"
Eine allgemeine "Gefährder-Datei" existiert nicht. Vielmehr gibt es eine Reihe von polizeilichen
(Präventiv-)Dateien und Datenbanken, in denen personenbezogene Daten nach verschiedenen
Kriterien erfasst werden. Da grundsätzlich bereits die Speicherung einen Eingriff in das durch
Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht darstellt, bedarf
es zur Rechtfertigung einer spezialgesetzlichen Ermächtigung. Diese muss die weiteren Voraussetzungen
der Speicherung, Auskunfts- und Löschungsansprüche usw. regeln. Dementsprechend
enthalten alle Polizeigesetze der Bundesländer eine Generalklausel zur Datenverarbeitung,
welche dazu befugt, Daten zu speichern, zu verändern und zu nutzen, soweit es zur Erfüllung der
polizeilichen Aufgaben erforderlich ist.
Regelmäßig muss als formelle Voraussetzung eine so genannte Errichtungsanordnung getroffen
werden, in der die Reichweite der Speicherung genau beschrieben ist. Materiell-rechtlich müssen
die Tatbestandsvoraussetzungen der jeweiligen Ermächtigung vorliegen; abstrakt sind dies
typischerweise die Schutzgutbetroffenheit, eine Gefahr für dieses Schutzgut und die Verantwortlichkeit
der erfassten Person. Zudem muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein.
Verwendung der kategorisierten Erkenntnisse
Die gesammelten Erkenntnisse dürfen nur in den Grenzen der geltenden Sicherheits- und Ordnungsgesetze
verwandt werden. So soll beispielsweise allein die Einstufung als
"Gefährder" in
einer beim Bundeskriminalamt geführten Datei ";Gewalttäter Links"; nicht ausreichen, um den Erlass
eines an die betroffene Person ("Gefährder") gerichteten Anschreibens ("Gefährderanschreiben")
zu rechtfertigen. Der Grund: Polizeiliche Eingriffe in Grundrechte setzen nach ordnungsrechtlichen
Vorgaben - neben weiteren Tatbestandsvoraussetzungen - grundsätzlich eine konkrete
Gefahr voraus, während bei der Datenerfassung abstrakte Gefahren ausreichen können.
Quellen:
- BT-Drs. 16/3965, S. 2, Frage 1; BT-Drs. 16/3570, S. 6, Frage 9; BT-Drs. 16/3284, S. 16, Frage 24; Drs. 18/2760
der Bürgerschaft der Freien und Hansestadt Hamburg (zur Definition und Verwendung des Begriffes „Gefährder“).
- BT-Drs. 13/7454 (Frage 11) und BT-Plenarprotokoll 13/171 vom 23. April 1997, S. 15469 (A-C)/Anl. (Frage und
Antwort zu so genannten „;Gefährderprogrammen“;).
- Bundesverfassungsgericht, NStZ-RR 1997, 330 (Verwendung des Begriffes "Gefährder" in einem Sachverhalt aus
dem Jahr 1991).
- OVG Lüneburg, NJW 2006, 391 ff.; VG Göttingen, Urteil vom 27. Januar 2004, Aktenzeichen 1 A 1014/02, zitiert
bei juris (zum Gefährderanschreiben).
- VG Ansbach, Beschluss vom 24. April 2008, Aktenzeichen AN 19 S 07.00211, bei juris (zur Ausweisung wegen
Gefährdung der freiheitlich demokratischen Grundordnung, § 54 Nr. 5a Aufenthaltsgesetz).
- Roos, Jürgen, Gefährderansprache und Versammlungsrecht, Kriminalistik 2006, S. 261 ff.
- Zwischenbericht der AG BIRGiT (Stand 1.7.2007), abrufbar unter http://www.stmi.bayern.de/.
- Buggisch, Walter; Knorz, Walter, Terrorismusbekämpfung einmal anders, Kriminalistik 2006, S. 226 ff. (zur AG
BIRGiT in Bayern).
- Beschluss der 178. Innenministerkonferenz der Länder vom 24. Juni 2005, S. 28, abrufbar unter www.bundesrat.de
(zu präventiven Maßnahmen gegen Gewalt in Beziehungen).
- von Denkowski, Charles, Einstufung als (islamistische) Gefährder und (heimliche) Folgeeingriffe, Kriminalistik 2007,
S. 325 ff.
- Rechtsgrundlagen für die Datenspeicherung (Generalklauseln): Bund: § 29 Abs. 1 S. 1 BPolG, § 25 Abs. 1 S. 1
BKAG; Baden-Württemberg: § 37 Abs. 1 Satz 1 PolG; Bayern: Art. 38 Abs. 1 PAG; Berlin: § 42 Abs. 1 Satz 1
ASOG Bln; Brandenburg: § 39 Abs. 1 BbgPolG; Bremen: § 36a Abs. 1 Satz 1 BremPolG; Hamburg: § 16 Abs. 1
PolDVG; Hessen: § 20 Abs. 1 Satz 1 HSOG; Mecklenburg-Vorpommern: § 36 Abs. 1 Satz 1 SOG M-V; Niedersachsen:
§ 38 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG; Nordrhein-Westfalen: § 24 Abs. 1 PolG NRW; Rheinland-Pfalz: § 33 Abs. 1
POG; Saarland: § 30 Abs. 1 Satz 1 SPolG; Sachsen: § 43 Abs. 1 Satz 1 SächsPolG; Sachsen-Anhalt: § 22 Abs. 1
Satz 1 SOG LSA; Schleswig-Holstein: § 188 Abs. 1 Satz 1 LVwG; Thüringen: § 40 Abs. 1 PAG.
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Es ist kein Merkmal von Gesundheit, wohlangepasstes Mitglied einer zutiefst kranken Gesellschaft zu sein