Trotz Sexismus-Kritik: Klausur bestanden.
Ich sah die Liste und rieb mir die Augen: Klausur bestanden. Zwar nur mit Note 4,0, aber immerhin. Dabei hatte ich das US-amerikanische Lehrbuch, das Pflichtlektüre ist für den "Einführungskurs Ethnologie", gar nicht gelesen, nicht einmal in der Hand gehabt, und folglich diesbezügliche Fragen falsch oder gar nicht beantwortet. Ich bin nämlich der Meinung, daß wir keine fremdsprachigen Lehrbücher brauchen, um eine Kulturnation zu bleiben (oder wieder eine zu werden).
Da war aber noch ein weiteres Hindernis, das ich ebenfalls mutwillig selbst herbeigeführt habe. Außer der Fragenbeantwortung hatten wir nämlich noch zwei kurze Essays zu schreiben. Eines der Themen, welches mir vorlag, betraf Stratifizierung, also gesellschaftliche Schichtenbildung, speziell Systeme sozialer Ungleichheit. Ich konzentrierte mich auf die geschlechtliche Ungleichbehandlung. Zitat:
[...] So sterben bei uns Männer im Durchschnitt 6-7 Jahre früher als Frauen. Da dies, wie die sogenannte Klosterstudie nachweist (www.klosterstudie.de), keine biologischen Ursachen haben kann, handelt es sich folglich um einen strukturellen Androzid.
Ferner hat der og. Fetozid (pränatale Mssentötung) rein weibliche Urheberschaft: Männer dürfen weder die Tötung ihrer ungeborenen Kinder anordnen, noch haben sie ein Widerspruchsrecht gegen den Tötungsvollzug der Mutter.
Drittens haben wir einen induzierten Genozid ingestalt von Zeugungsverweigerung und von Auswanderung der besser ausgebildeten Männer. Dies hat demographisch relevante Folgen. Ursache: Sexuelle Ungleichheit.
Erstmals in der Geschichte haben wir jetzt auch ein Matriarchat im strengen Wortsinne: Mütter haben praktisch (fast) alle Rechte, Väter (fast) alle Pflichten. Fast alle Sorgerechtsstreitigkeiten werden zugunsten der Mutter entschieden; Umgangsboykotte der Mütter werden fast niemals sanktioniert.
Ebenso haben wir eine Gynokratie - nicht im Sinne eines Feminats (die weibliche Kanzerschaft hat keine gesellschaftliche Auswirkung) -, sondern im Sinne einer historisch einmaligen Privilegierung von Frauen. Extreme Ungleichheiten bestehen u.a. im Bildungssystem (Mädchenförderung), in der Einstellungspraxis (Uni Bonn: "Bei gleicher Eignung und Qualifikation werden Frauen bevorzugt eingestellt", also auf die Stufe von Behinderten gesetzt), im Strafrecht (Tötung von Kindern und Alten ganz überwiegend durch Frauen, dann aber i.d.R. straffrei) und im Einkommen (bei Teilzeitbeschäftigung verdienen Frauen i.D. 22 % mehr; Quelle: Statistisches Bundesamt).
Quellen u.a.: MANNdat.de; Sexismus-Kritik (Weblog); Institut für Geschlechterforschung, Bremen (Leiter: Prof. Gerhard Amendt).
Im restliche Drittel ging ich auf nicht geschlechtsrelevante Benachteiligung ein. - Für diesen Essay erhielt ich die Bewertung 0. Begründung: Thema verfehlt. Heute sprach ich die Dozentin vosichtig darauf an. Sie sagte richtig, daß ich mich nicht auf das Lehrbuch bezogen habe. Aber das hatte ich in dem zweiten, gut bewerteten Essay auch nicht. Da ging es um Religion. Zeugt es nicht von geistiger Eigenständigkeit (zu der das Studium einen ja in die Lage versetzen soll), wenn man schreibt, was noch in keinem Lehrbuch steht ?
Traditionelle Kastensysteme wie in Indien sind weltweit in Auflösung begriffen. Dafür bildet sich, ausgehend von den Industrieländern, ein neues Schichtensystem heraus, das es bisher nie gegeben hat: das sexistisch-genderistische. Zwar könnte man auch noch die Benachteiligung von Immigrantenkindern im Bildungswesen erwähnen. Diese Kinder werden aber, bei uns jedenfalls, z.B. im Strafrecht eher bevorzugt. Das einzig nennenswerte Schichtensystem sozialer Ungleichbehandlung, das zudem von völlig neuer Art ist und die Bezeichnung totalitär verdient, ist das oben beschriebene.
Unmittelbar vor Klausurbeginn hatte ich übrigens noch einmal die besondere Gelegenheit, die Folgen meines Themas zu erwägen, denn es kursierte ein Zeitungsartikel mit ungefähr dieser Überschrift: Wie können Frauen in der Ethnologie Karriere machen ? - "Das ist die erste Klausurfrage, die wir zu beantworten haben", äußerte ein Kommilitone sarkastisch. - "Wieso", fragte ich, "ist denn die Frau X wirklich eine Feministin ? Bisher kam sie mir ganz normal vor." - Doch doch, hieß es, Frauenförderung sei ihr großes Thema.
Nun, ich bin mit dem Klausur-Ergebnis aus besagten Gründen zufrieden, und ebenso mit den Studienbedingungen in diesem Fach (für mich: Nebenfach). Es handelt sich um ein Mädchen- oder Kuschelstudium, das nicht besonders anstrengt. Die Dozenten sind freundlich und verständnisvoll, der Umgangston locker. Ein militanter Sexismus herrscht nicht. Es werden lediglich die bestehenden weiblichen Priviligien genutzt.
Ob freilich so ein "Orchideen-Fach" förderungswürdig ist, müssen Andere entscheiden. Man kann nämlich in Zweifel ziehen, ob wir Ethnologie - im eigentlichen Verständnis - überhaupt noch brauchen. Ursprüngliche Völker gibt es kaum noch; ebenso werden die Möglichkeiten der Feldforschung aus politischen Gründen immer weiter eingeschränkt. Das führt dazu, daß zunehmend Felder bearbeitet werden, die eigentlich der Geographie, Soziologie, Wirtschaft, Psychologie oder Philosophie angehören. Einige Ethnologen wie Th.Bargatzky wenden sich gegen diesen Trend; hier wird er umgekehrt gefördert.
Sollte einmal der Sexismus/Genderismus auf dem Lehrplan stehen, so wäre ich natürlich "Feuer und Flamme" !
Gruß
Student