Frauen in der Wissenschaft
Von Rüdiger Hachtmann
Wissenschaft war, so sollte man meinen, bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts männlich. Männlich? Nicht ganz. Annette Vogt skizziert in einer lesenswerten Monographie die wissenschaftlichen Karrieren, aber auch die persönlichen Hintergründe vieler Frauen, die sich der Forschung und Lehre gewidmet haben. Sie behandelt einen langen, ereignisreichen Zeitraum, das halbe Jahrhundert zwischen 1899 und 1949, und konzentriert sich dabei auf den Berliner Raum, genauer: die nach 1945 in Humboldt-Universität umgetaufte Friedrich-Wilhelms-Universität und die 1911 gegründete Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG), deren wichtigste Institute ihren Sitz in Berlin-Dahlem hatten.
Es ist ein Vorzug der Arbeit, daß Vogt die NS-Zeit nicht verinselt, sondern einen Längsschnitt vornimmt, damit die Spezifika einzelner Epochen besser hervortreten. Zudem wird deutlich, daß der Prozeß der Emanzipation der Frauen in Forschung und Lehre nicht geradlinig verlief. Entscheidend für den Grad der Teilhabe von Frauen am universitären wie außeruniversitären Wissenschaftsbetrieb waren (man ist fast geneigt zu sagen: "natürlich") die Rollenbilder. Rollenbilder der Männer, aber auch der Frauen. Denn auch die bürgerliche Frauenbewegung folgte tradierten Rollenerwartungen. Frauen "sollten zwar studieren dürfen, aber 'frauengemäße' Fächer und zur Vorbereitung auf einen 'Frauenberuf', der ihre Weiblichkeit nicht (zer)störte" (Vogt). Vor allem Naturwissenschaftlerinnen oder gar Technikerinnen paßten nicht in dieses Klischee.
Angesichts dessen überrascht, daß "vor allem Naturwissenschaftlerinnen" bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts "relativ gute Berufschancen" besaßen, am meisten in der Industrieforschung (bis 1929) sowie in außeruniversitären Instituten, besonders in denen der KWG in Berlin-Dahlem, die - als Vorläuferorganisation der heutigen Max-Planck-Gesellschaft - die reichsdeutsche Spitzenwissenschaft verkörperte. Namentlich die KWG habe sich bis 1933 (und erneut ab 1936) durch "einen hohen Grad an Offenheit gegenüber Wissenschaftlerinnen ausgezeichnet", während an den Hochschulen (das zeigt Vogt in einem Exkurs über die Vorurteilsstruktur männlicher Dozenten Mitte der fünfziger Jahre) die Ressentiments stark blieben und zum Teil skurrile Züge annahmen.
Daß sich während der Weltwirtschaftskrise die Chancen von Frauen, in der Hochschule und an außeruniversitären Instituten Karriere zu machen, verschlechterten und daß dies während der NS-Herrschaft zunächst anhielt, entspricht den Erwartungen des Lesers. Verblüfft ist man dagegen über das, was Vogt "Paradoxie der Weltkriege" nennt: Wie bereits zwischen 1914 und 1918 verbesserten sich auch während des Zweiten Weltkrieges die Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten von Wissenschaftlerinnen dramatisch. Bemerkenswert ist, daß ausgerechnet "die Militärforschung Frauen [...] mitunter wesentlich bessere Bedingungen als der zivile Sektor der Forschungseinrichtungen" bot, ein Befund, der die feministische Täter-Opfer-Diskussion um eine wichtige Facette bereichern dürfte.
Die Untersuchung bestätigt empirisch das in der NS-Forschung mitunter bemühte Bild von einer "Emanzipation wider Willen". Zugleich betont die Autorin die Tiefe des Bruchs 1933: "Nicht-arische" Forscherinnen wurden stigmatisiert und systematisch vertrieben. Das biologistische Weltbild der Nazis drückte aber auch ihre "arischen" Kolleginnen in eine nicht-gleichberechtigte Stellung. Nicht die bloße Zahl der beschäftigten Forscherinnen ist hier aussagekräftig, sondern ihre Stellung im institutionellen Gefüge und ihre langfristige Resonanz. Darum war und ist es schlecht bestellt: Trotz herausragender Leistungen fanden und finden sich, so weist Vogt nach, in Lexika bestenfalls knappe, häufiger jedoch keinerlei Notizen über einzelne Wissenschaftlerinnen. Sie fielen dem Vergessen anheim. Annette Vogts Untersuchung ist sichtlich von dem Bemühen getragenen, dieser Tendenz entgegenzuwirken und wenigstens die Berliner Wissenschaftlerinnen dem Vergessenen zu entreißen. Das ist ihr insgesamt - mit zahllosen kurzbiographischen Skizzen und einigen weiteren systematischen Passagen, zum Beispiel zu den Promovendinnen - überzeugend gelungen.
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