Parsifal und Kundry. Ihre Symbolkraft im Maskulismus.
In der vergangenen Nacht wurde ich durch einen Teilnehmer, der sich "Ewiger Lerner" schrieb, mit folgender Antwort konfrontiert:
Auch Kundry (aus Richard Wagners "Parsifal") hatte in ihrer Vergangenheit als Herodias derart gesündigt.
Darauf las ich in u.a. in Michails Neuerscheinung "Medusa schenkt man keine Rosen" nach, und das bisher eher flüchtig Aufgenommene offenbarte mir nunmehr einen tiefen Sinn. Das ganze Nachwort nämlich steht unter einem Motto aus der Wagner'schen Oper.
Da nicht alle Teilnehmer diese Oper bzw. den Sagenstoff kennen, gebe ich hier einen Auszug, begrenzt auf den zweiten Akt von Wagners "Parsifal", aus K.Pahlen, "Das neue Opernlexikon". (Hervorhebungen und Anmerkungen - eckigen Klammern - durch mich.)
Der zweite Akt spielt in Klingsors Zauberschloß. Vor einem magischen Spiegel steht der aus der Gralsrunde Verstoßene [d.i. Klingsor] und späht nach neuen Opfern. Er sieht einen Ritter [Parsifal] seiner Festung nahen und bereitet alles zum Kampf vor: Er ruft die Blumenmädchen und zwingt durch geheimnisvolle Formeln Kundry zum Erscheinen. Widerstrebend erscheint das rätselhafte Weib, nun in strahlender Schönheit. Vergebens sucht sie dem Zauberer ihre Dienste zu verweigern. Er erinnert sie an ihre ewige Verdammnis, an ihre zahllosen Opfer, an Amfortas [dem tödlich verwundeten Gralskönig]. Heute gilt es, einen nicht weniger starken Feind zu stellen.
Auf einen Wink Klingsors verschwindet das Schloß, und ein tropisch üppiger Garten blüht auf an seiner Stelle. Der nahende Ritter [Parsifal], der die Wachen mit Leichtigkeit besiegt hat, tritt ein und sieht sich von den Blumenmädchen umringt. Lächelnd schaut er zuerst ihren Spielen zu, hört ihren berückenden Gesang. Immer enger schließen sie den Reigen um ihn, fordern ihn zum Bleiben, zur Liebe auf. Sanft zuerst, dann immer bestimmter weist er sie zurück.
Da ertönt eine Stimme: "Parsifal !" Der junge Ritter bleibt wie gespannt stehen. Seit er seine Mutter verließ, hat er diesen Namen nicht mehr vernommen. Es ist Kundry, die sich ihm nun nähert. Die anderen ziehen sich zurück, überlassen das Feld ihrer Meisterin, der "Urteufelin" Kundry. Mit weicher Stimme erzählt sie Parsifal die Geschichte seiner Eltern, ihrer Liebe, ihres Todes. [Anm.: Sie ist hellsichtig.] Gamurel [sein Vater] starb auf Kriegszügen fern im Orient, Herzeleide [seine Mutter] aus Trauer über den Verlust ihres Sohnes. Tief erschüttert lauscht Parsifal zu Kundrys Füßen. Wie um ihn zu trösten, küßt Kundry ihn lange auf den Mund.
Da geht in Parsifal die entscheidende Wandlung, die Erkenntnis vor sich. Heftig weist er das schöne Weib ab, ein deutliches Bild ist in seiner Seele aufgestiegen: Amfortas ! Die Wunde ! Es ist ihm, als fühle er sie plötzlich in seinem eigenen Körper brennen. Er kniet nieder und bittet Gott um Erleuchtung, um Rettung. Kundry steht wie gebannt, sie fühlt in Parsifal eine überirdische Kraft, der ihre sinnliche Kraft nicht gewachsen ist. Ihre von Klingsor geleiteten Verführungskünste verwandeln sich in Bewunderung, in Liebe. Nun will sie sich Parsifal nähern, ihn umarmen, weil ein mächtiges Gefühl sie zu ihm treibt und sie in seiner Stärke Erlösung zu finden hofft. Doch Parsifal ist jetzt von seiner Sendung restlos erfüllt. Er erkennt wie in einer Erleuchtung seine Aufgabe. Nun weiß er es: In diesen verführerischen Armen ist Amfortas dem Gral untreu geworden, hier an dieser gleichen Stelle hat er die Wunde empfangen, die zu schließen ihm, dem hellsichtig Gewordenen, bestimmt ist.
Kundry ahnt, was in Parsifal vorgeht. Verzweiflung erfaßt sie. Stand sie nicht schon mehrmals, in verschiedenen Wiedergeburten, vor der gleichen Situation und versagte ? Verlachte sie Jesus nicht, verführte sie nicht Amfortas ? Kundry sehnt sich nach Schutz vor dem Abgrund, der sie immer wieder magisch hinabzieht, sie sieht ihr Heil in Parsifals Reinheit und Stärke. Sie sucht die Hilfe auf dem einzigen Wege, den sie in dieser Verkörperung kennt: den des Fleisches.
Doch Parsifal weist sie zurück, die unbeugsame Karft des Glaubens strahlt von ihm aus. In höchster Erregung, von widerstrebenden Gefühlen zerrissen, ruft Kundra nach Klingsor. Der Zauberer erscheint und schleudert den Speer nach Parsifal. Doch die Waffe bleibt über dessen haupte in der Luft stehen, sie kann dem Auserwählten nichts zuleide tun. Parsifal ergreift sie und zeichnet feierlich ein Kreuz über den Zaubergarten. Der Spuk versinkt, Wüste breitet sich ringsum aus. Der zusammengebrochenen Kundry weist Parsifal den Weg der Erlösung: "Du weißt, wo du mich wiederfinden kannst !" Und seiner Aufgabe voll bewußt, schreitet er langsam, den heiligen Speer andächtig vor sich hintragend, zur Gralsburg.
Es war zur Zeit der Studentenrevolte (ich war damals Schüler), da mir ein Buch in die Hände fiel, das mich trotz seiner sehr trockenen Diktition faszinierte wie zuvor nur noch Nietzsches "Zarathustra": Das war "Die Große Mutter" des Jung-Schülers Erich Neumann, geschrieben 1949. Ich hatte es in einer Neuauflage aus der Taschenbuchreihe "Geist und Psyche" vor mir. Darin war die Rede vom Beginn des Patriarchats, das heißt von den großen Helden aus der Zeit des griechischen Mythos, unter Anderem von Perseus, welcher der Medusa den Kopf abschlug. (Dieser Perseus wurde sehr bald mein Lieblings-Held.) Und diese Heldentaten, so der Tiefenpsychologe Neumann, würden von uns Allen auf Symbol-Ebene, d.h. in unseren Träumen, noch einmal durchgemacht und bildeten Stationen auf unserem Individuationsweg. Und - ich träumte in den Nächten zwischen der Lektüre von all diesen Figuren; ja ich träumte hellsichtig Passagen der Lektüre vorweg. In der Tat, ich war begeistert wie selten in meinem Leben !
Später kam ich, angeregt durch dieses Buch, auf das Werk eines Pioniers der Vökerkunde, nämlich auf J.G. Frazer und seinen "Goldenen Zweig". Darin ist die Rede u.a. von den "Jahreskönigen", die sich rituell töten lassen, um in der Fruchtbarkeit des Feldes wieder aufzuerstehen.
Was die Artus-, Grals- und Parzival-Sage betrifft, so kam ich darauf erst später durch die anthroposophische Literatur. (Auch in den Waldorfschulen ist die Parzival-Sage ein fester Bestandteil des Unterrichtsstoffes.) Bei all meiner Lektüre zur Sache habe ich damals aber keine Bezüge zum Problem des Sexismus erkannt. Hierauf mich zu stoßen, blieb dem "Ewigen Lerner" in letzter Nacht vorbehalten - und / oder dem Autor von "Medusa schenkt man keine Rosen".
Vielleicht sollten wir einmal nachdenken über die Eignung von Symbolfiguren für unsere Bewegung. Perseus ist eines davon. Parsifal bezieht einen neuen Aspekt, den christlichen Aspekt mit ein. Der ist vielen von den Aktivisten fremd, da sie großenteils aus der 68-Bewegung kommen oder von ihr beeinflußt sind. Für mich aber hat sich mit diesem Anstoß ein neuer Blickwinkel eröffnet. Ich danke dem o.G. dafür.
Gruß
Student