Hänsel und Gretel - und der Sexismus.
Im Folgenden spreche ich von einer Oper. Wie bitte ? Ja, auch Michail Xenos umrahmt das Nachwort in seinem Buch ("Medusa schenkt man keine Rosen") mit Zitaten und Erläuterungen zu einer Oper, nämlich zu Wagners "Parsifal". Also, warum nicht ? Mir geht es jetzt um die Oper von einem Wagner-Assisten - er trug den märchenhaft komischen Namen Engelbert Humperdinck -, und die Oper selbst heißt "Händel und Gretel". Uraufgeführt sie am 23. Dezember 1893. Sie fand rasch Verbreitung in der ganzen Welt und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt.
Da es auf Weihnachten zugeht, steht dieses Stück jetzt auf den Spielplänen der Kölner und der Bonner Opernhäuser gleichzeitig. Wo sonst noch, weiß ich nicht; hier aber ist die Aufführung naheliegend, da auch der Geburtsort des Komponisten - Siegburg - naheliegt. Er ist von Bonn mit derStraßenbahn zu erreichen.
Worum geht es ? Um Hänsel und Gretel, gemäß dem bekannten Märchen. Insofern handelt es sich um eine Kinderoper. Doch sollten auch die Eltern es sehen bzw. hören, denn inbezug auf die Musik ist es ein Meisterwerk, dessen Aufführung ein Wagner-Orchester voraussetzt.
Nun aber ist ja das Thema irgendwie prekär. Kurt Pahlen (in "Das neue Opern Lexikon", 1995) etwa schreibt hierzu:
"Ob Kindern allerdings Stoffe nahegebracht werden sollen, in denen Hexen Kinder verschlingen und massenweise verschwinden lassen [...], sei stark bezweifelt. Die Zeiten, in denen man Kinder - noch dazu "artige" - erschreckte, sind, hoffentlich für immer, vorbei",
ohne freilich dem Werk seine Anerkennung zu versagen.
Als ich meinen (demnächst 10-jährigen) Sohn zu einer Feier seines Sportvereins brachte und dabei an den heutigen Opern-Termin erinnerte, meldete sich auch eine andere Mutter, die für ihre Kinder Karten gekauft hatte. Dies nahm ich zum Anlaß, laut auf die Vorzüge der Textgestaltung hinzuweisen:
"Ja also, Eines hat mich schon voriges Jahr begeistert, nämlich, daß die alte Hexe zwar der Entsorgung, genauer gesagt, der Feuerbestattung überführt wird, dabei aber in einen durchaus genießbaren Lebkuchen transformiert wird. So ein richtig großer Lebkuchen. Und wer weiß, woher all die Lebkuchen, welche wir den Kindern in ihre Teller legen, eigentlich kommen ? Ich muß sagen: Diese Lösung halte ich für die beste. Hier haben wir doch ein richtiges Happy-End !"
Als ich ein Weilchen später das Gespräch fortführen wollte - ich dachte an den tieferen Sinn dieser alten Märchen, und daran, daß, zufolge einem Märchen-Experten, die Hexe eigentlich ein Duplikat der Mutter ist -, da scheiterte ich an dem eisigen Ausdruck im Gesicht dieser Frau. Sie guckte mich auch nicht mehr an.
Ich kann nur empfehlen: Schickt eure Kinder in diese Oper ! Denn sie verstehen auch ohne Erklärungen, worum es geht.
Gruß
Student
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