Stark durch Schwäche.
Stark: Männlich, deutsch, leistungsfähig.
Schwach: Weiblich, ausländisch, behindert.
Obige Zuordnung gilt in einem bestimmten Kontext: Wer von uns - männlich, deutsch, erkennbar leistungsfähig - würde es wagen, mit einer ihm unbekannten Frau - zusätzlich Ausländerin und Analphabetin - in einem geschlossenen Raum zu verweilen ?
Bekanntlich wäre das hoch riskant. Nicht weil Frauen, Ausländerinnen, Behinderte usw. böse wären oder böser als eine irgendeine Referenzgruppe. Sondern aus folgendem einfachen Grund: Greifst du die Frau an, so kann sie sich - nicht selten erfolgreich - wehren. Greift die Frau auf ihre Weise, d.h. mithilfe einer Anwältin, dich an, so hast du mit Sicherheit verloren. Diese Erfahrung haben zahlreiche deutsche Männer gemacht, die mit einer Platzwunde am Hinterkopf, wenn nicht mit einem Messer im Rücken die Polizei aufgesucht haben. Allein die offenkundige Tatsache, daß eine "Auseinandersetzung" stattgefunden hat und du der Mann, der Deutsche, der Nichtbehinderte bist, macht dich zum Täter und Schuldigen.
Interessant ist nun die Beschreibung der diesem Tatbestand zugrundeliegenden Ideologie durch Friedrich Nietzsche in seiner 1887 erschienenen "Genealogie der Moral". Dieses schmale, sehr schön zu lesende Buch (Nietzsche lesen bereitet bekanntlich niemals Langeweile) hat eine außerordentliche breite Wirkung ausgeübt, die allerdings viel seltener mit seinem Namen verbunden wird als die Wirkung z.B. des Marxismus mit Marx.
Nach Nietzsche gibt es eine "Herrenmoral" - das ist die Moral der Gesunden, Starken, Erfolgreichen - und eine "Sklavenmoral". Letztere ist allerdings kompliziert aufgebaut. Mit den hier so benannten Sklaven sind nicht weniger begabte, jedoch bescheidene Menschen gemeint, welche die Rolle akzeptieren, die ihnen zugewiesen ist, sondern Solche, die in ihrem Status einen Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit erleben und daraus ein Ressentiment bilden, das zuletzt kultur-schöpferisch wirkt. Zum Vorschein kommt eine "Kultur" des Niedrigen und Gemeinen; eine "Kultur" der Rache am Starken.
Nach Nietzsche nahm diese Entwicklung ihren Ausgang bei den Priestern und ist insofern vornehmlich mit dem Judentum verknüpft. Die Priester waren bzw. sind Machtmenschen, vornehmer Abstammung zwar, aber bereits mit einem Keim der Entartung behaftet, welche sie zu zur Kultur einer gesunden Lebensweise zwang, die ihrerseits aber selbst zur Krankheit wurde: Askese, Sinnenfeindlichkeit, Metaphysik, und ein extremes Gefühlsleben; dieses aber mit einem Hang zur subtilsten Rachsucht. Durch die Priester wurde das "Böse" geschaffen. Das Böse ist ein priesterliches Wort für das Gute im Sinne des Starken und Gesunden. Was früher als gut galt und als privilegiert durch das Leben selbst, ist jetzt das Böse. Das Schwache aber, durch die Herren als "schlecht" (nicht "böse")bezeichnet, ist nun das "eigentlich Gute".
Im Christentum sieht Nietzsche Nichts als eine Konsequenz der jüdisch-priesterlichen Ressentiment-Kultur:
"[...]aus dem Stamme jenes Baums der Rache und des Hasses, des jüdischen Hasses - des tiefsten und sublimsten, nämlich Ideale schaffenden, Werthe umschaffenden Hasses, dessen Gleichen nie auf Erden dagewesen ist - wuchs etwas ebenso Unvergleichliches heraus, eine neue Liebe , die tiefste und sublimste aller Arten Liebe: - und aus welchem andern Stamme hätte sie auch wachsen können ?...Dass man aber ja nicht vermeine, sie sei etwa als die eigentliche Verneinung jenes Durstes nach Rache, als der Gegensatz des jüdischen Hasses emporgewachsen ! Nein, das Umgekehrte ist die Wahrheit ! Diese Liebe wuchs aus ihm heraus, als seine Krone, als die triumphirende, in der reinsten Helle und Sonnenfülle sich breit und breiter entfaltenden Krone, welche mit demselben Drange gleichsam im Reiche des Lichts und der Höhe auf die Ziele jenes Hasses, auf Sieg, auf Beute, auf Verführung aus war, mit dem die Wurzeln des Hasses sich immer gründlicher und begehrlicher in Alles, was Tiefe hatte und böse war, hinunter senkten.
Dieser Jesus von Nazareth, als das leibhaftige Evangelium der Liebe, dieser den Armen, den Kranken, den Sündern die Seligkeit und den Sieg bringende "Erlöser" - war er nicht gerade die Verführung in ihrer unheimlichsten und unwiderstehlichsten Form, die Veführung und der Umweg zu eben jenen jüdischen Werthen und Neuerungen des Ideals ? Hat Israel nicht gerade auf dem Umwege dieses "Erlösers", dieses scheinbaren Widersachers und Auflösers Israel's, das letzte seiner sublimen Rachsucht erreicht ? Gehört es nicht in die geheime schwarze Kunst einer wahrhaft grossen Politik der Rache, [...] dass Israel selber das eigentliche Werkzeug seiner Rache vor aller Welt wie etwas Todfeindliches verleugnen und an's Kreuz schlagen musste, damit "alle Welt", nämlich alle Gegner Israel's unbedenklich gerade an diesem Köder anbeissen konnten ? Und wüsste man sich andrerseits, aus allem Raffinement des Geistes heraus, überhaupt einen gefährlicheren Köder auszudenken ? Etwas, das an verlockender, berauschender, betäubender, verderbender Kraft jenem Symbol des "heiligen Kreuzes" gleichkäme, jener schauerlichen Paradoxie eines "Gottes am Kreuze", jenem Mysterium einer unausdenkbaren letzten äussersten Grausamkeit und Selbstkreuzigung Gottes zum Heile des Menschen ? [...]"
Nun, diese Konsequenz, die Nietzsche zieht, halte ich für vollkommen abwegig, wie auch die ganze Abhandlung auf pseudowissenschaftlichen Abwegen einer vermeintlichen "Genealogie der Moral" schreitet. Ich habe mir diesen Exkurs gestattet, weil hier (und in anderen themenverwandten Foren) auch Teilnehmer schreiben, Conny vor Allen, welche immer wieder ihre Kritik der Religion in einer Argumentationsweise vortragen, die letztlich auf Nietzsche zurückweist - auch wenn das den Schreibern vielleicht nicht bewußt ist.
N.'s Psychologie des Ressentiments in der Moral aber ist von bleibendem Wert. Sie hat auch ihren Wert für eine Beleuchtung der sexistischen Ideologie, und darum wollte ich sie hier einmal zur Sprache bringen. Wer in sexistischen Foren liest, fühlt sich versetzt in dieses "unterirdische Reich der zitternden Rache", der "zum Verdienste umgelogenen Schwäche", das Nietzsche sehr anschaulich beschrieben hat.
In besagter Abhandlung findet sich übrigens auch folgende hellsichtige Bemerkung:
"[...]die Verkleinerung und Ausgleichung des europäischen Menschen birgt unsre grösste Gefahr, denn dieser Anblick macht müde...Wir sehen heute Nichts, das grösser werden will, wir ahnen, dass es immer noch abwärts, abwärts geht, in's Dünnere, Guthmütigere, Klügere, Behaglichere, Mittelmässigere, Gleichgültigere, Chinesischere, Christlichere - der Mensch, es ist kein Zweifel, wird immer "besser"...Hier eben liegt das Verhängnis Europa's - mit der Furcht vor dem Menschen haben wir auch die Liebe zu ihm, die Ehrfurcht vor ihm, die Hoffnung auf ihn, ja den Willen zu ihm eingebüßt. Der Anblick des Menschen macht nunmehr müde - was ist Nihilismus, wenn er nicht das ist ? ... Wir sind des Menschen müde..."
Zuletzt:
Daß für den Titel-Satz - Stark durch Schwäche - auch die Umkehrung gilt, entnahm ich einem Ernährungsratgeber. Dort war von den gesundheitlichen, d.h. schwach-machenden Folgen einer Mehl-Verarbeitung die Rede, welche die Keimbestandteile des Kornes zunehmend entfernt, bis schließlich nur noch die sogenannte (Getreide-)Stärke übrigbleibt. Die Überschrift hierzu hieß denn auch
Schwach durch Stärke,
vielleicht nicht ohne Anspielung auf den (längst zum Bonmot avancierten) Titel-Satz.
Gruß
Student
Stark durch Schwäche.
Hallo Student!
Das ist aber ein geniales Posting! In der Tat sieht es genauso ein weiterer großer Philosoph wie Nitzsche (meine Wenigkeit...kein Spaß)
Nämlich: In der (christliche? falschausgelegte christliche? muslimische?) Annahme, das Gute wäre hier und das Böse wäre dort, immer und ausnahmlos, bewegen wir uns schleichend aber ständing in Richtung des immer schwächer werdens, und zwar durch meistens aufrichtige Bemühungen, das Gute zu tun.
Wie das funktioniert? Wir wollen dem Leben vorschreiben, wie es zu sein hat! Das ist aber unmöglich, denn das Leben ist dynamisch. Wir verlieren dadurch die Fähigkeit, uns über das Leben zu wundern. Wir kennen nicht die Zukunft, wir meinen aber wir kennen sie zu gut, und versuchen große Pläne umzusetzen, um der angeblichen Katastrophe entgegenzusteuern. Alle Versuche in dieser Richtung, nämlich das Leben vorauszusagen, in der gesamte Geschichte, sind kläglich fehlgeschlagen, und zwar die große, gesellschaftlich weitragende Versuche wie der Feminismus, aber auch Einzelschicksale von zb großen Künstlern, die zwar genial waren aber früh oder völlig verrückt endeten. Auch einfachen Leuten gelingt es kaum am Lebensabend fröhlich durch die Gegend zu laufen, trotz allen Theorien. Dadurch, dass wir hier im Westen Unwissen durch Wissen ersetzt haben, könnten wir auch nicht viel daran ändern. Was ist das Problem? Wir versuchen tatsächlich durch Schwäche stärker zu werden, durch Demut, durch Kasteiung, durch Entschuldigung, durch Anerkennen des eigenen Unvollkommenseins! Wenn ein Samen zu schwach ist, kann nicht einmal durch die erste Erdschicht durch! Auch im Christlichen Glauben hat Jesus immer gesagt "Ihr sollt wie ich werden"! Niemals hat er gesagt "Ihr solltet schwach werden", oder irre ich mich. Anerkennen der eigener Schäche schon, aber daran festhalten, niemals!
Der bessere Weg wäre:
1. Uns nur mit uns selbst zu vergleichen, uns jeder Tag wenn auch nur ein kleines Stück vorwährts bewegen.
2. Vertrauen an das Leben zeigen, dadurch dass wir zu uns selbst stehen, ehrlich zu uns sind.
3. Leid durch Freude ersetzen wo es möglich ist, allerdings ist jede Situation anders.
4. Uns über das Leben freuen, so wie das Leben gerade ist. Man kann nicht die Rosinen picken, das Leben ist ein Packet mit allem drin.
5. Stärker werden, ein Boat welches durch kein Gewitter umzukippen ist.
Nikolaos Nitzsche der Fünfte
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*Es gibt KEINEN Grund für eine Nicht-Feministin, einem Mann, den sie liebt, KEINEN Kaffee zu machen!*
Stark durch Schwäche inbezug auf das Evangelium.
hat Jesus immer
gesagt "Ihr sollt wie ich werden"! Niemals hat er gesagt "Ihr solltet
schwach werden", oder irre ich mich. Anerkennen der eigener Schäche schon,
aber daran festhalten, niemals!
Hallo Nikos !
Die "Frohe Botschaft", also das "Evangelium", ist nicht leicht zu verstehen. Für die allermeisten Menschen zu Jesu Zeit war es entweder eine Lächerlichkeit oder ein Ärgernis oder Beides zusammen. Heute ist es wiederum nicht anders; wir werden uns dessen nur nicht immer bewußt, weil das Evagelium institutionalisiert worden, also - scheinbar - akzeptiert worden ist, und wir also nicht mehr darüber nachdenken.
Es gibt aber Gelegenheiten, wo wir dann doch noch zum Nachdenken kommen. Als etwa der Vorgang der Hinrichtung von Sadam Hussein öffentlich zu sehen war, nahmen manche Kommentatoren daran Anstoß: Das sei eine zu intime Angelegenheit. Dann machten Andere darauf aufmerksam, daß auch heute noch in vielen Häusern die Nachbildung eines Menschen zu sehen ist, der noch am Kreuze hängt, durch das er soeben öffentlich hingerichtet wurde; daß dieser Hingerichtete zudem als Gott bezeichnet wird; und daß diese Ungeheuerlichkeit Niemanden veranlaßt, sich darüber aufzuregen oder sich irgendwelche Gedanken zu machen.
Jede große Idee ist pervertierungs-fähig. Auch der Sexismus war anfangs beseelt von dem Willen, dem Menschen im Weibe neue, bis dahin unausgeschöpfte Möglichkeiten der Reifung und Entfaltung zu verschaffen. Ein Umsturz der natürlichen Ordnung war nicht von vornherein geplant. Dann aber wurde daraus eine Bewegung misandrischer (männerhassender) Trittbrettfahrerinnen, die nun ihre große Stunde der Abrechnung gekommen sahen; eine Bewegung rache- und machthungriger Weiber, die es ihren "Unterdrückern" nun endlich einmal zeigen und sich für "jahrtausendelange" Mißachtung schadlos halten wollen.
Der Inhalt des Evangelium ist die Wiederherstellung des göttlichen Urbildes im Menschen durch unseren himmlischen Vater, der hierzu selbst in Menschengestalt erscheinen mußte; somit die erstmalige Erlösung von der dem Menschen angeborenen Schadhaftigkeit; sowie die Möglichkeit für uns Alle, dieser Wiederherstellung teilhaftig zu werden.
Eine Erlösung von der Schadhaftigkeit setzt aber ein Bewußtsein von dieser Schadhaftigkeit voraus. Selbstverständlich ist dies Bewußtsein offenbar nicht. Der Mensch kann sich so behaglich eingerichtet haben in unserer Welt der Versuchungen und Verführungen, daß er keine Sehnsucht nach einer verlorenen und wiederzugewinnenden Höhe mehr kennt.
Er kann sich stark fühlen in seinem rauschhaft erhöhten Ich und dann mit Verachtung herabblicken auf die Schwachen, welche eine Erlösung "nötig haben". Das traf für Nietzsche zu.
Er kann aber auch seine Schwäche sehr wohl fühlen und einen Haß empfinden gegen die Starken, die ihn in seinem gleichwohl vorhandenen Machtstreben hindern. In der Folge kann er zum Trittbrettfahrer des Heilsversprechens werden, indem er nicht wirklich demütig wird, sondern sich über die "Verworfenen" erhebt, ja sogar, wie der Kirchenvater Tertullian, den Nietzsche ausgiebig zitiert, sich an der Vorstellung der zu erwartenden Höllenstrafen seiner Gegner sadistische Genugtuung verschafft.
"Stark durch Schwäche"- das hat also zwei Gesichter :
o Man kann stark werden dadurch, daß man seine Schwäche anerkennt und Hilfe annimmt in dem Willen, die Schwäche zu überwinden. Allerdings setzt die Anerkenntnis der Schwäche bereits eine gewisse Anfangs-Stärke voraus. Sie besteht in Gottvertrauen.
o Man kann - umgekehrt - aus Schwäche Kapital schlagen, indem man sich zum Anspruchs-Opfer macht. Man macht Anspruch auf "Entschädigung" geltend, und dieser Anspruch, da auf Perversion beruhend, ist parasitär und wird uferlos. Die Anspruchshaltung gründet sich aber auf Selbstvergottung.
Somit charakterisiert ist auch der Feminismus: Frauen erleben sich als die "wahren" Männer und verlangen uferlos Entschädigung dafür, daß sie es doch nicht sind (und auch niemals sein können). Sie müßten erkennen, daß sie "nur" Frauen sind; dann würde man ihnen auch wieder in die Mäntel helfen und sie als Damen verehren. Sie wären dann wirklich "stark durch Schwäche".
Gruß
Student
Stark durch Schwäche.
Lieber Nikolaos der Fünfte,
das ist in meinen Augen eine ziemlich christliche Sicht. Der Mensch als Geschöpf Gottes "wird" und ist also nicht fertig, denn die ganze Schöpfung ist (für uns!) "nur" ein großes Werden. Für Gott ist sie fertig, klar, weil er ja nicht der Zeit unterliegt, aber für uns ist sie eben (glücklicherweise) nicht fertig, sondern Hoffnung, Zukunft, noch unfertig eben.
Das Unfertigsein des Menschen ist die logische Voraussetzung für jegliche menschliche Freiheit. Wären wir nämlich fertig, dann wären wir einfach das, was wir sind, basta aus, und nichts weiter sonst - und damit logischerweise vollkommen unfrei im Hinblick auf das, was wir sind. Das Unfertigsein bedeutet aber auch, daß wir voller Mängel sind. Und die spüren wir an uns und an all den anderen Menschen, was großes Leid erzeugt.
Durch unser prinzipielles Unterworfensein unter die Zeit als Erfahrungsmodus der Wirklichkeit sind wir sterblich, aber frei. Wenn wir aber sterblich sind, dann wären wir eigentlich ebenfalls unfrei (begrenzt nämlich in der Zeit, also mit Anfang und eben auch einem Ende), sofern das tatsächlich alles wäre. Wenn menschliche Freiheit sich überhaupt verwirklichen kann, dann nur deshalb, weil wir 1. sterblich sind und 2. nicht sterben müssen. Dieses verrückte Paradox ist nach unserem christlichen Glauben durch Jesus Christus aufgehoben worden. Der Buddha hat nur das endgültige Erlöschen anstreben können, nicht ewiges Sein. Das ist weniger, nicht mehr als ewiges Sein! Du weißt, ich war lange Jahre Buddhist, ich weiß genau, von was ich hier rede, auch wenn es hier nicht im Einzelnen dargelegt werden kann. Wie auch immer: So ist auf jeden Fall meine Entscheidung!
Die menschliche Schwäche anzuerkennen, ist für einen Menschen schlicht und einfach ehrlich, und natürlich ist Ehrlichkeit eine unverzichtbare Voraussetzung, um ewiges Leben zu erlangen. Lügner müssen unbedingt sterben, weil Lüge nicht ewig bestehen kann und darf. Aber das Anerkennen meiner Grenzen bedeutet doch nicht, daß ich ewig in diesen Grenzen bleiben möchte! Im Gegenteil! Nur, ich selbst kann eben nicht raus aus ihnen, bloß weil ich das möchte. Was tust du in 2000 Jahren? Weißt du es schon? Ich auch nicht. 
Ein Mensch, der meint, er sei "fertig", ist im selben Moment ein sehr, sehr schwacher Mensch und bleibt das auch für immer, wenn er diesen Irrtum nicht rechtzeitig einsieht. Ein Mensch, der meint, er sei stark, meint aber auch, daß er fertig sei. Und darin irrt er sich eben total. Deshalb können wir nur demütig sein, denn wir sind Geschöpfe und haben uns nicht selbst gemacht. Wir müssen sorgfältig und sehr viel lernen, sonst verplempern wir unsere knappe Zeit, und was wir zu lernen haben und was nicht, das sagt eben der, der lehrt: der Lehrer also, der, der uns "hergestellt" hat, damit wir was von ihm lernen. Nur so herum hat die Sache natürlich überhaupt einen Sinn!
Umgekehrt lügt ein Mensch, der meint, er sei schwach, der aber trotzdem "fertig" sein möchte, seine tatsächliche Schwäche in Stärke um, verstrickt sich dadurch immer mehr in diese seine Lüge und geht am Ende an ihr zugrunde. Das ist genau das, wovon Nietzsche redet. Mit dem christlichen Glauben hat es aber absolut nichts zu tun. Der christliche Glaube ist das Stärkste auf der Welt, was es überhaupt gibt, weil er etwas vollkommen Heroisches tut, was er aus dem, worin er sich befindet (der Zeit nämlich), eigentlich überhaupt nicht zu tun in der Lage wäre.
Niemand gibt sein Leben her für eine Zukunft, die gar nicht seine eigene ist - außer er ist völlig verrückt. Wer sein Leben hergibt für andere, der tut es deshalb, weil er weiß, daß dieses Leben vorläufig ist und in etwas ruht, das nicht der Zeit unterliegt. Nur dieser gelassene Heroismus erlaubt es überhaupt einem Menschen, bewußt und entschieden in eine Dunkelheit hineinzuspringen, in der er absolut nichts erkennen kann. Wer keinen Glauben hat, der kann das nicht - muß es aber irgendwann natürlich trotzdem tun, weil wir ja in der Zeit sind und deshalb ein jeder von uns einmal sterben muß. Deshalb ist dies DIE entscheidende Frage der menschlichen Existenz. Jesus Christus hat sie endgültig beantwortet am Kreuz. Seitdem ist die Sache restlos klar, jedenfalls für einen Christen, der kein Feigling, sondern tatsächlich ein solcher ist.
Der Papst hat heute übrigens zufälligerweise genau darüber etwas in seiner zweiten Enzyklika veröffentlicht. Ein sehr schwieriger, sehr theologischer Text, in dem es aber unter anderem genau darum geht.
Gruß vom
Nick dem Neunten *g*
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Wenn wir Toren wüßten, daß wir welche sind, wären wir keine.
Stark durch Schwäche.
Zu welchem Schluß Du selbst dabei kommst bleibt hier außen vor. Ich selbst habe Nietzsche auch nie gelesen, komme allerdings durch meine Gedankengänge genauso zu Nietzsches Ansichten, die Du hier wiedergibst.
Stark durch Schwäche inbezug auf das Evangelium.
Hallo Student!
Zweifellos richtig. Allerdings schwebt mir noch etwas anderes vor. Um wieviel einfacher ist es Gott zu sein, wenn man zb keine eigene Kinder großziehen muss, wenn man keinen Job nachgehen muss, wenn man die eigene gebrechliche Eltern nicht pflegen muss. Damit meine ich natürlich, dass wir Menschen ohne Zweifel schwach sind, aber, ebenso ohne Zweifel, auch ganz stark. Gleichzeitig geschieht es, scheint es mir. Ich vergleiche es gerne mit eine Blume, die einerseits unter die Sonne liegt, andererseits tief im Dreck. Das ist aber die selbe Pflanze, dennoch werden beider Teile der selben Pflanze dazu benötigt, um die Gesamtheit der Pflanze zu erhalten. Indem Menschen eine Besserung des Ich anstreben, OHNE dass sie selbst diese Änderung für notwendig halten, oder auch OHNE zu wissen, dass die Änderung überhaupt notwendig ist, entscheiden sie sich dafür, sich von der Gesamtheit des Ganzen abzuschneiden.
Die Gesamtheit des Lebens bedarf, dass wir auch schwach sind. Ohne dem Tod sein (verdienten?) Platz zu geben, können wir dem Leben kaum respektieren.
Nikos
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*Es gibt KEINEN Grund für eine Nicht-Feministin, einem Mann, den sie liebt, KEINEN Kaffee zu machen!*