Wissenschaft Aktuell: Diskriminierung und Gehirnbeanspruchung
Unterschwellige Diskriminierung beansprucht das Gehirn stärker als offener Rassismus
[Kognitionspsychologie / Sozialwissenschaft]
Princeton (USA) - Die Tage von Rassendiskriminierung und Apartheid sind glücklicherweise vorüber. Dennoch gibt es in Europa, in den USA und vielen anderen Ländern den alltäglichen, unauffälligen Rassismus. Wie dieser wahrgenommen wird und wie viel Gehirnkapazität er beansprucht, haben jetzt zwei amerikanische Forscherinnen untersucht. Wie sie in der Zeitschrift "Psychological Science" darlegen, haben ihre Experimente ergeben, dass versteckter Rassismus bei den Betroffenen mehr mentale Kraft beansprucht als offene Diskriminierung. Zumindest gilt dies für Schwarze, die Diskriminierung erleben. Weiße bekommen versteckte Diskriminierung oft nicht einmal mit; sie brauchen mehr Gehirnaktivität, um sich mit offenem Rassismus auseinanderzusetzen.
Diskriminierungen wie etwa "Nur für Weiße"-Aufschriften im Südafrika der Apartheid-Zeit lösten natürlich bei den ausgegrenzten Schwarzen Zorn und Verbitterung aus. Doch die rein verstandesmäßige Erfassung der Situation dauerte nicht sehr lange und blockierte das Gehirn nicht für andere Prozesse. Anders bei dem alltäglichen unterschwelligen Rassismus, etwa wenn sich ein Schwarzer auf eine Stelle bewirbt und weiß, dass er -- nach objektiven Kriterien betrachtet -- der beste Kandidat ist. Erhält dann ohne Begründung ein Weißer die Stelle, dauert der Verarbeitungsprozess im Gehirn länger und blockiert den Betroffenen möglicherweise bei anderen Denkvorgängen.
Jessica Salvatore und J. Nicole Shelton haben Situationen dieser Art im Experiment nachgestellt und ließen schwarze und weiße Probanden dabei zusehen. Konkret zeigten sie den Versuchspersonen den Entscheidungsprozess von Personalchefs bei der Auswahl eines Bewerbers. Die Unternehmen, Personalentscheider und Bewerber waren fiktiv, aber die Versuchsteilnehmer glaubten, sie sähen reale Entscheidungsprozesse in realen Firmen. Der Rassismus wurde in beiden Richtungen dargestellt: In einigen Szenen waren Weiße die Entscheider, die schwarze Bewerber ablehnten, in anderen Situationen waren schwarze Entscheider gegen einen weißen Bewerber. Die Situationen waren so dargestellt, dass immer zweifelsfrei klar war, wer jeweils der objektiv beste Kandidat für eine Stelle war. Aber nur in manchen Fällen wurde er auch tatsächlich eingestellt. Und auch nur manchmal gab es eine Begründung dafür, warum man sich nicht für den Besten entschied. Einige Begründungen waren offen rassistisch, andere kamen verhüllt daher. So wurde beispielsweise ein Bewerber nicht genommen, weil er "zu vielen Minderheiten-Organisationen angehöre".
Um nun die jeweilige Gehirnbeanspruchung bei offenem und verdecktem Rassismus zu vergleichen, ließen die Forscherinnen die Versuchspersonen nach den gezeigten Szenen einen so genannten Stroop-Test machen. Bei diesem Test werden Farbwörter in einer Schriftfarbe dargestellt, die nicht mit der Bedeutung des Farbwortes übereinstimmt, etwa das Wort "grün" in blauer Schrift. Das Gehirn erkennt immer das Wort schneller als die Farbe, in der es geschrieben ist. Die Forscherinnen maßen nun die Geschwindigkeit, mit der die Versuchspersonen die Schriftfarbe bestimmten.
Tatsächlich war das Gehirn der schwarzen Versuchspersonen, die die verdeckte Diskriminierung anderer Schwarzer hatten mit ansehen müssen, immer noch blockiert von der Analyse der gesehenen Situationen. Schwarze, die die offene Diskriminierung gesehen hatten, taten sich beim Stroop-Test dagegen leichter. Zur Überraschung der Wissenschaftlerinnen war es bei den weißen Versuchspersonen umgekehrt: Diejenigen, die die offene Ausgrenzung anderer Weißer gesehen hatten, brauchten länger für die Verarbeitung des Gesehenen und schnitten dann im Stroop-Test schlechter ab. Shelton und Salvatore erklären dies damit, dass Weiße selten mit Rassismus gegen Weiße konfrontiert sind. Versteckten Rassismus zu entdecken sind sie überhaupt nicht gewöhnt. Nur wenn ihnen gewissermaßen mit der Keule auf den Kopf klar gemacht wird, dass jemand von ihnen wegen seiner Hautfarbe einen begehrten Job nicht bekommt, beginnen sie, sich mit der Situation auseinanderzusetzen. (wsa070920dm1)
Autor: Doris Marszk
Quelle: Association for Psychological Science
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