"Lasst mich mit eurem Geschlecht in Ruhe!"
Geschlechterrollen
Warum uns das Gerede von weiblicher und männlicher Befindlichkeit verdummt.
Wer keine Lust hat, sich mit seiner geschlechtlichen Identität zu beschäftigen, sollte den Fernseher lieber ausgeschaltet lassen. Zuerst zeigten jüngst die Tagesthemen in nüchterner Melancholie den Zapfenstreich – direkt im Anschluss aber diskutierte bereits eine dieser Talkrunden über schlimme Männerriten (Zapfen!) und neue Frauen an der Macht, die ja immer alles viel besser können (weil besonders kommunikations-, kooperations- und empathiefähig). Es war nur eine von gefühlt tausend Sendungen in den vergangenen Wochen, in der das Geschlecht zur Hauptkategorie des Zusammenlebens erhoben und über die angeblich gewaltigen Unterschiede zwischen Männern und Frauen diskutiert wurde.
Wer keine Lust hat, sich mit seinem Geschlecht zu beschäftigen, darf nicht im Zeitschriftenladen stöbern oder im Netz herumklicken: Beruflich erfolgreiche Frauen erklären dem stern ihren beruflichen Erfolg. Das Philosophie Magazin fragt sich auf dem Cover, ob Frauen moralischer seien als Männer. Moralischer wird derweil schon mal die Bild -Zeitung, sie schafft ihr nacktes Mädchen auf der Seite eins ab und wird von allen dafür gelobt, außer von den Bauarbeitern. In nahezu allen Zeitungen – auch in der ZEIT – wird die Frauenquote, etwa im Journalismus, diskutiert und das machohaft Männerbündische in der real existierenden Geschlechterwelt beklagt. Was im Widerspruch steht zu einer anderen Geschlechterdebatte, die gerade erst abgeklungen ist, nämlich der Warum-sind-die-Männer-nur-so-unmännlich-geworden-Debatte (angestoßen von Nina Pauer in der ZEIT Nr. 2/12).
Wer keine Lust hat, sich mit seinem Geschlecht zu beschäftigen, darf in keinen Buchladen geraten: Er wird stapelweise auf kluge Bücher stoßen, die die mangelnde Emanzipation der Frauen beklagen, neuerdings auch auf kluge Bücher, die die mangelnde Emanzipation des Mannes beklagen, etwa auf Ralf Bönts anregendes Pamphlet Das entehrte Geschlecht.
Msnn staunt: http://www.zeit.de/2012/12/Identitaetsdebatte-Geschlechterrollen