Nicht unbedingt OT: Das Internetz soll "kindersicher" werden
Wie eine Koalition aus Technologie- und Medienunternehmen unser Internet zu einem sicheren Ort für Kinder machen will
Unter der Leitung von EU-Vizepräsidentin Neelie Kroes betreibt die EU-Kommission eine “Digitale Agenda”, deren Inhalt das Internet und Digitalisierungspolitik im Allgemeinen sind. Unter dem Banner der Digital Agenda konstituierte sich eine Arbeitsgruppe, die sich der Bekämpfung von Kindesmissbrauchsdarstellungen im Internet widmet, ihr Name:
“Coalition of top tech & media companies to make [the] internet [a] better place for our kids“.
["Verschmelzung von technischen- und Medienfirmen, um das Internet für unsere Kinder sicherer zu machen."]
Mitglieder sind unter anderem solch ausschließlich am Wohlergehen der Allgemeinheit interessierte Unternehmen wie die Datenfresser und Privatsphärevernichter Facebook und Google. Nebst erklärten Gegnern von Netzneutralität wie der Deutschen Telekom und dem willfährigen Internetzensurgehilfen Vodafone befinden sich noch weitere Provider mit an Bord. Abgerundet wird diese illustre Runde durch die Teilnahme des Blackberry-Herstellers RIM, der bekanntlich repressiven Regierungen zwecks Ausspähung Zugriff auf die Gesprächs- und Datenleitungen seiner Kunden gewährt. Darüber hinaus sitzt mit Microsoft der weltweit schärfste Verfechter von OpenSource (Achtung, Ironie!) mit am Beratungstisch. Und um das Bild perfekt zu machen, darf Apple nicht fehlen. Apple ist ein Unternehmen, welches es für angemessen hält, seinen Kunden den Zugriff auf aus Apples Sicht “anstößige” Inhalte zu verbieten. Wenn es also eine Handvoll Unternehmen gibt, denen man vertrauensvoll Zensur- und Filtertechnologie an die Hand geben kann, dann sicherlich Unternehmen wie die zuvor genannten.
So viel zur Einordnung der betreffenden Akteure, die sich auf die Fahne geschrieben haben, das Internet zu einem besseren Ort für unsere Kinder zu machen.
Von einer Sitzung dieser Koalition wurde nun durch den Blogger Fefe ein Gesprächsmitschnitt verlinkt, der es Interessierten ermöglicht, sich einen Eindruck davon zu machen, mit welcher Geisteshaltung diese “Koalition der Willigen” sich anschickt, unter dem Prätext der Bekämpfung von Kindesmissbrauchsdarstellung Zensur- und Filtertechnologien zu propagieren.
Ich habe mir die nun veröffentlichte Sitzung angehört und für die interessierte Öffentlichkeit meine persönlichen Highlights jeweils mit Zeitmarke herausgearbeitet.
0:14:30 – Eine Dame von Nintendo lobte im Vorfeld ein aus Japan stammendes Verfahren, bei dem “vertrauenswürdige” Seiten klassifiziert werden und bei dem auf Computern ein Filterprogramm läuft, was demjenigen, der es dort installiert hat, erlaubt, Zugriffe auf Seiten, die nicht “vertrauenswürdig” sind, zu sperren. Die Dame von Nintendo lobt dieses Verfahren in höchsten Tönen. Daraufhin stellt Christian Bahls von Mogis der Dame von Nintendo ein Szenario vor, in dem ein Kindesmissbraucher seinem Kind den Zugang zu Seiten, die das Thema “Kinderrechte” zum Thema haben, verwehren könnte. Auf das Problem angesprochen weiß die Dame sich nicht wirklich zu helfen und stammelt sich förmlich einen zu Recht. Allem ganz offensichtlichen Missbrauchspotenzial zum Trotz versteigt die Dame sich bei 0:16:30 zu der glorreichen Aussage
“I think this is useful”.
["Ich glaube, dass dies nützlich ist."]
0:31:00 – Hier geht es um die Frage, wie man bereits bekannte Kindesmissbrauchsdarstellungen im Netz detektiert. An dieser Stelle kommt ein männlicher Vertreter von Microsoft ins Spiel. Microsoft arbeitet mit einer Technologie namens photoDNA. Bei 0:40:30 wird Microsoft auf Privacy-Aspekte angesprochen, die mit solch einer Lösung einhergehen (es handelt sich bei photoDNA nämlich faktisch um Deep Package Inspection Technologie). Der Vertreter von Microsoft wiegelt ab und versteigt sich im Anschluß zu einer Aussage, die dokumentiert, daß der Herr offenkundig nicht begreift, was da eigentlich passiert:
“Its not that we analyze the picture. [...] We scan and check for matches between the pictures and the signatures.”
["Wir analysieren das Bild nicht. [...] Wir Prüfung die Übereinstimmungen zwischen den Bildern und den Unterschriften."]
0:44:20 – Ein Jurist äußert Bedenken wegen der Rechteverwerterindustrie. Er erklärt, daß diese Technologie, sobald sie erst einmal flächendeckend von sozialen Netzwerken, Internet Service Providern und weiteren Akteuren zur Erkennung von Kindesmissbrauchsdarstellungen genutzt würde, augenblicklich das Interesse der Rechteverwerterindustrie auf sich ziehen würde. Diese würde nämlich fordern, daß damit auch Copyrightverstöße geahndet werden müssten. Der Vertreter von Microsoft antwortet auf diese Frage mit einer aus meiner Sicht zumindest fragwürdigen Antwort:
“At the moment photoDNA is available only for the purpose of taking down child abuse material.”
["Im Moment ist photoDNA nur verfügbar um Kinderpornographie zu erkennen."]
Tatsächlich befindet photoDNA sich bereits heute bei Facebook im Einsatz. Was genau Facebook damit macht, ist meines Wissen unbekannt. Tatsächlich ließe sich mit photoDNA bei Facebook die Verbreitung sämtlichen Bildmaterials unterbinden, welches Bestandteil einer Verbotsliste ist. Infografiken, die sich beispielsweise gegen lupenreine Demokraten wie Herrn Putin oder die zweifelhaften Praktiken der Rechteverwerterindustrie richten, könnten prinzipiell auf dieselbe Weise erkannt und unterdrückt werden, wie Bilder, die als Kindesmissbrauchsdarstellungen identifiziert wurden. Interessanter Weise beteuert der Microsoft-Vertreter, daß Microsoft zurzeit keine Pläne habe, photoDNA auch anderweitig zu nutzen.
0:48:00 – Weil Microsoft photoDNA auch in Verbindung mit seiner hauseigenen Suchmaschine Bing propagiert, weist Christian Bahls auf ein Problem hin, das darin besteht, daß Suchmaschinen oder Botnetze bei Bekanntwerden des Hashes einer Kindesmissbrauchsdarstellung dazu genutzt werden könnten, an die eigentlichen Kindesmissbrauchsdarstellungen zu kommen. Filesharingdienste arbeiten im Grunde nach demselben Prinzip: Man identifiziert eine Datei anhand ihres Hashes und durchsucht das Netz nach der Datei, zu der der betreffende Hash passt. Die Reaktion Microsofts ist ähnlich der der Dame von Nintendo: Man weiß nicht so recht, was man darauf antworten soll und verweist auf die Rechtslage, nach der es in den USA ein Gesetz gibt, was den Umgang mit den Hashes regelt. Demnach müsste man doch eigentlich nur in Europa darüber diskutieren, wie man die Veröffentlichung der Hashes in Europa regelt. Daß das Internet sich nicht wirklich für territoriale Grenzen interessiert, scheint dem Vertreter Microsofts noch nicht in den Sinn gekommen zu sein.
0:57:40 – Es kommt die Frage auf, ob photoDNA komprimierte oder verschlüßelte Dateien lesen kann (photoDNA kann offenbar beides nicht). Außerdem wird der DPI-Aspekt kritisiert und daß es in vielen Ländern (verfassungs)rechtliche Bedenken gegen DPI gibt. Eine Dame, die mutmaßlich ebenfalls von Microsoft kommt, meint, daß es aus ihrer Sicht keine rechtlichen Bedenken gibt, räumt aber ein, daß Microsoft hierfür eine eigene Abteilung beschäftigt, die damit betraut ist.
1:00:00 – Meine persönlicher Höhepunkt war der Vorschlag eines Herren, der meint, Microsoft solle per Windows-Update die Hashes von Kindesmissbrauchsdarstellungen an alle Windows-Computer verteilen und dann basierend darauf die Computer seiner Kunden nach Kindesmissbrauchsdarstellungen durchsuchen und im Falle eines Fundes, den Eigentümer sofort identifizieren und ihn anschließend festnehmen zu lassen. Christian Bahls lacht laut auf und bittet um die Gelegenheit, die Frage zu beantworten, worauf hin alle im Saal sehr amüsiert sind. Bahls erläutert dann dankenswerter Weise wie undenkbar absurd dieser Vorschlag ist.
Rainer
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Kazet heißt nach GULAG jetzt Guantánamo
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- Nicht unbedingt OT: Das Internetz soll "kindersicher" werden -
Rainer,
04.03.2012, 12:55
- Schon mal das neue Feature der Google-Bildersuche getestet? - Kugellager, 04.03.2012, 16:24