Roman Herzog zur EU-"Verfassung"
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Die in jüngster Zeit veröffentlichten Grünbücher der EU lassen erkennen, in welche Richtung die Kommission denkt und plant. Hier einige Beispiele: erhebliche Ausweitung der heutigen Antidiskriminierungsregulierung, unter anderem auf genetische Merkmale, soziale Herkunft und Vermögen; Komplettvereinheitlichung des Verbraucherschutzes samt Sammelklagen und einer faktischen Abschaffung der Vertragsfreiheit bei der Gewährleistung; EU-weite Harmonisierung erheblicher Teile des Arbeitsrechts mit einer Eingliederung von freien Mitarbeitern, Handels- und Versicherungsvertretern in den sozialversicherungsrechtlichen Arbeitnehmerstatus; EU-weite Harmonisierung der Vorschriften zur Festsetzung der familien- und scheidungsrechtlichen Unterhaltsansprüche.
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Artikel 13 EG-Vertrag gibt der EU die Rechtsetzungskompetenz, die privatrechtliche Vertragsfreiheit einzuschränken, ?um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen.? Die EU hat dies inzwischen für alle dort angeführten Diskriminierungsgründe getan und faktisch eine Beweislastumkehr zugunsten potentiell Diskriminierter eingeführt. Damit ist, was Diskriminierungsgründe angeht, die Kompetenz aus Artikel 13 ausgeschöpft.
Die Grundrechte-Charta führt weitere Diskriminierungsgründe an. Den in Artikel 20 GRC enthaltenen allgemeinen Gleichheitssatz ? ?Alle Personen sind vor dem Gesetz gleich? ? konkretisiert Artikel 21 Absatz 1, indem er den Organen und Einrichtungen der EU jedwede Form der Diskriminierung untersagt, ?insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.?
Was Artikel 21 Absatz 1 bezweckt, ergibt sich eindeutig aus den ?Aktualisierten Erläuterungen zum Text der Charta der Grundrechte?, die der Grundrechte-Konvent formuliert und der Verfassungskonvent angepasst hat: ?In Absatz 1 hingegen wird weder eine Zuständigkeit zum Erlass von Antidiskriminierungsgesetzen (...) noch ein umfassendes Diskriminierungsverbot in derart weiten Bereichen festgelegt. Vielmehr behandelt Absatz 1 die Diskriminierung seitens der Organe und Einrichtungen der Union (¿).?
Klarer kann man es kaum ausdrücken. Das ficht die Europäische Kommission jedoch nicht an. Sie erwägt mit dem Hinweis auf Artikel 21, sobald die Grundrechte-Charta Rechtsverbindlichkeit erlangt hat, die Einschränkungen der privatrechtlichen Vertragsfreiheit auszuweiten auf in Artikel 21 enthaltene weitere Diskriminierungsgründe.
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http://www.welt.de/politik/article955079/Warum_die_EU-Verfassung_problematisch_ist.html