Familiengerichte u. Psychol. Gutachter
Prof. Dr. Uwe Jopt, Universität Bielefeld
Erwartung und Hoffnung des Familiengerichts gegenüber Psychologischen Gutachtern
- Anmerkungen zu einer empirische Untersuchung -
Warum überhaupt Psychologische Gutachter?
Bis zur Scheidungsrechtsreform von 1977 war alles ganz einfach. Sofern sich Eltern bei der Scheidung ums Sorgerecht stritten, bekam in der Regel derjenige das Kind zugesprochen, der schuldlos geschieden wurde. Entsprechend brauchte man damals auch keine Psychologischen Sachverständigen (SV). Das änderte sich erst, nachdem das Schuldprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt und die Auswahl des geeigneteren Elternteils mit dem neuem Auswahlkriterium „Kindeswohl“ begründet wurde. Damit stand jetzt zwar das Kind selbst im Zentrum der Sorgerechtsregelung, zugleich war die Suche nach dem „richtigen“ Elternteil aber auch ein Vielfaches schwerer geworden. Insbesondere in Fällen hochstrittiger Eheleuten erwies sich die neue Richtgröße für den psychologischen Laien, und das waren die Familienrichter alle, als wenig hilfreich, da das Kindeswohl aus juristischer Sicht lediglich als Generalklausel galt, die im konkreten Fall stets erst aufs Neue bestimmt werden musste.
Diese Unklarheit begründete die Geburtsstunde der familienpsychologischen Begutachtung. Psychologen oder Kinderpsychiater (beide Professionen werden fälschlicher Weise von vielen Gerichten bis heute gleichgesetzt) wurden als willkommene Gehilfen gesehen, um stellvertretend für das Gericht immer dann den für das Kindeswohl besser geeigneten Elternteil vorzuschlagen bzw. auszuwählen, wenn die Juristen selbst sich in dieser Frage nicht sicher waren. Die typische Vorgehensweise eines SV bestand darin, dass er aus der diagnostischen Erfassung einer Reihe sogenannter kindeswohlrelevanter Kriterien – dazu zählen Kindeswille, Bindungen, diverse Kontinuitäten und die Betreuungs- und Förderungsmöglichkeiten auf Seiten beider Eltern – die „richtige“ Lösung ableitete, die er dann seinem gerichtlichen Auftraggeber, meist im Rahmen eines ausführlichen schriftlichen Gutachtens, zur Entscheidung vorschlug.
Natürlich war die Wahrscheinlichkeit von Anfang an hoch, dass das Gericht diese Empfehlung aufgreifen würde, schließlich hatte es den Experten gerade dafür eingeschaltet. Häufig verbunden war damit allerdings zugleich die – rechtswidrige – Delegation der Verantwortung für eine Entscheidung von großer Tragweite für das Kind. Denn nachdem der Gutachter seine Empfehlung abgegeben hatte – zum zukünftigen Lebensmittelpunkt des Kindes, nicht selten auch zum Sorgerecht -, blieb für den Richter im Grunde nichts mehr zu entscheiden übrig. Faktisch war somit im familiengerichtlichen Alltag der SV vielfach zum „heimlichen Richter“ mutiert.
Daran hat sich im Prinzip bis heute nichts geändert, obwohl es seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 nur noch auf ausdrücklichen Antrag eines Elternteils möglich ist, vom gemeinsamen Sorgerecht abzuweichen und es einem allein zu übertragen. Einzige Voraussetzung: es muss feststehen, dass der beantragte Eingriff ins Elternrecht dem Kindeswohl „am besten entspricht“ (§ 1671 BGB). Diese veränderte juristische Fragestellung spiegelt die neue Grundüberzeugung im Kindschaftsrecht, wonach das oberste Ziel familiengerichtlicher Intervention im Trennungsfall darin besteht, Eltern bei der Entwicklung einer einvernehmlichen Lösung für die Zukunft ihrer Kinder behilflich zu sein. Nur auf diese Weise ließen sich die seelischen Belastungen der Kinder wirksam bekämpfen.
Trotzdem verstehen sich die meisten SVs jedoch auch nach der Reform weiterhin vor allem als „Entscheidungshelfer“ für das Gericht, die vorschlagen, welchem Elternteil ggf. das Sorgerecht bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht (was auf dasselbe hinaus läuft) übertragen oder wie der Umgang geregelt werden sollte. Entsprechend unverändert ist auch ihr methodisches Vorgehen geblieben: Immer noch kommen beispielsweise verschiedenste Testverfahren zum Einsatz, obwohl längst außer Frage steht, dass keine einzige dieser „versteckten Kameras“ zum Aufspüren des vermeintlich wahren Kindeswillens den wissenschaftlichen Gütestandards genügt.1
Auch hat sich an der alten methodischen Struktur nicht bereits dadurch Grundlegendes verändert, dass heute zunehmend mehr Gutachter Eltern zum gemeinsamen Abschlussgespräch einladen, um sie dafür zu gewinnen, ihrem Vorschlag noch vor seiner gerichtlichen Absegnung zuzustimmen. Das kann der Psychohygiene dienen, methodisch Neues verbirgt sich hinter dieser Variante jedoch nicht. Auch Gutachter, die den Wunsch des Gerichts aufgreifen und Vermittlungsgespräche mit dem Ziel der Akzeptanz ihrer diagnostischen Erkenntnisse führen, stehen trotzdem in der Tradition des entscheidungsorientierten Ansatzes.
Dadurch besteht heute eine beträchtliche Diskrepanz zwischen gesetzlichem Auftrag des Familiengerichts und der Auftragsausführung Psychologischer Gutachter. Allerdings kann sich der SV darauf berufen, dass ihm die Zivilprozessordnung (ZPO) auch keine andere Wahl lässt. Denn nach Ansicht einer Reihe von Juristen steht unerschütterlich fest, dass Gutachter im Familienrecht ausschließlich Entscheidungsvorschläge für das Gericht erarbeiten, aber nicht selbst an der Einigung zerstrittener Eltern mitwirken dürfen. Die sei rechtlich unzulässig, wenngleich es im Interesse des Kindes auch noch so sinnvoll sein mag. Mit den Worten eines OLG-Richters: „Steht dagegen die Beratung bzw. Intervention durch den Sachverständigen mit dem Ziel einer einvernehmlichen Regelung im Vordergrund, so ist das, so wünschenswert es im Einzelfall aus richterlicher Sicht sein mag, nicht zulässig“2.
Man wird niemandem widersprechen, der solche „Logik“ als absurd bezeichnet.
Wie aber gehen FamilienrichterInnen mit diesem Widerspruch zwischen (kindlicherseits) Gebotenem und (rechtlicherseits) vermeintlich Verbotenem um? Einerseits verpflichtet sie das Gesetz, sich für die Befriedung von Eltern einzusetzen, wobei es ihnen grundsätzlich freigestellt ist, welche Wege sie dafür einschlagen und welche Hilfen sie in Anspruch nehmen (Amtsermittlungsgrundsatz, § 12 FGG). Zum anderen sollen sie aber ausgerechnet denjenigen, der am ehesten über die Kompetenzen verfügen dürfte, dieses Ziel zu erreichen, den SV, nicht mit dieser Aufgabe beauftragen dürfen. Setzen sie ihn dennoch ein, muss wiederum befürchtet werden, dass durch sein entscheidungszentriertes Vorgehen das Spannungspotential auf Seiten der Eltern sogar noch ansteigt, weil sie, ohnehin bereits hochstrittig, durch seine „Empfehlung“ nun auch noch in Gewinner und Verlierer aufspalten werden, wodurch jeder Konsens in noch weitere Ferne rückt. Eine logisch kaum noch nachzuvollziehende Lage.