Geschlechterverhältnisse vor 100 Jahren
H. Schramm:
der gute Ton: das richtige Benehmen in der Familie, der Gesellschaft, bei Tische und im öffentlichen Leben
Berlin 1907
heute lesen wir das Kapitel:
""der Verkehr zwischen Herren und Damen" (Auszug)
Zitat:
"Die Geschichte fasst aller ungebildeten Völkerschaften führt auf die
Bemerkung, dass die Achtung gegen das weibliche Geschlecht umso geringer
ist, je niedriger die Kulturstufe, auf der sich ein Volk befindet" (Wagner)
Schauen wir zurück in die deutsche Vergangenheit, so wird in unserem eigenen Volke die Wahrheitdieses Ausspruches nicht ganz bestätigt. Selbst dem ungelenken Germanen, dem Galanterie ein unbekannter Begriff war, haftete eine unbedingte Hochachtung und heilige Scheu vor dem Weibe an, und so abgeschmackt der schwülstige Minnedienst des Rittertums erscheint, es liegt ihm ein tiefes, ernstes Gefühl zugrunde, das uns unwillkürlich rührt und mit vielen Auswüchsen verwöhnt. Darum ist es nicht unbedenklich, wen fin de siecle eine gewisse Geringschätzung des weiblichen Geschlechts bemerkbar wird: wo bleibt da der Kulturfortschritt?
Selbstverständlich giebt es auch jetzt genug Männer, die sich auf den wahren Wert der Frauen verstehen, welchen der Deutsche nicht nach Äusserlichkeit beurteilt. Er schätzt, ganz im Gegensatz zu vielen anderen Völkern, vorzugsweise die inneren weiblichen Tugenden, als da sind
Treue, Fleiss, Sittsamkeit, Sanftmut, häuslicher Sinn und Klugheit.
Stets hat es Denker und Dichter gegeben, welche diese Frauentugenden hervorgehoben und verherrlicht haben; zahlreiche Stellen unserer Klassiker beweisen das. Wo immer nur der Mann in direktem Verkehr mit dem anderen Geschlechte tritt, findet er Gelegenheit, die ihm angeborene Vorliebe für dasselbe in jener hochachtungsvollen Weise zum Ausdrucke zu bringen, die der feinen Sitte des Kulturmenschen angemessen erscheint.
Goethe, der dem Frauencultus ein hohes Recht einräumte, erklärt in Tasso: "Willst du genau erfahren, was sich ziemt, So frage nur bei edlen Frauen an" und an einer anderen Stelle "Der Umgang mit Frauen ist das Element guter Sitten".
Goethe aber war ein echter Menschenkenner und in den Gewohnheiten seiner Zeit durchaus bewandert. Wir können uns nur in seiner Vorschrift anschliessen und den Jünglingen empfehlen, die Gesellschaft edler Frauen zu suchen, um von ihnen Tugend und Sitte zu lernen. Leider ist der Zuschnitt unserer Zeit ein durchaus unnatürlicher durch das absichtliche Fernhalten der beiden Geschlechter voneinander. Sie sind sowohl in der Schule als bei der Arbeit und beim Spiele getrennt; im späteren Leben aber nimmt diese Trennung eine noch viel ernstere Färbung an.
Daraus entsteht für beide Teile eine schlimme Lücke, die oft durch sehr thörichte, wenn nicht gar sündhafte Dinge ausgefüllt wird. Das Schlimmste aber ist, daß die jungen Leute sich durch dieses Sperrhafte weder kennen noch schätzen lernen, und daß die Männer ihre Frauen nicht am häuslichen Herde, sondern im Ballsaal suchen, was so widersinnig wie möglich ist. Denn wie sollte man in wenigen kurzen Nachtstunden bei Tanz und Kerzenschimmer unter oberflächlichem Geplauder den Kern des Weibes erspähen und fühlen, ob sie diejenige, welche in Herzens- und Charaktereigenschaften dem Ideal entspricht, das dem Jünglinge vorschwebt. Was Wunder, daß es so viele unglückliche und gleichgültige Ehen giebt! Wie diese aber das Volkswohl schädigen, leuchtet ein und schon von diesem Gesichtspunkte aus wäre eine Änderung der bestehenden Verhältnisse dringend zu wünschen. [..]
Die großen Verschiedenheiten der beiden Geschlechter liegen in ihren geistigen und körperlichen Eigenschaften und sind auf heilige Naturgesetze gegründet, sie dürfen nicht ungestraft ausser Acht gelassen werden.
"Ein Mann darf alles wagen, überstehn, doch wie gefährlich ist es, wenn ein Weib aus seiner schmalen Schranke tritt" (Platen)
Ja sehr gefährlich, in der Tat. Darum bleibe sie, wo es irgend geht, "vom Streit des Tags durch ihren Herd geschieden". Aber viele hasten hinaus aus der süssen Beschränktheit ihres Daseins ohne zwingenden Grund. Bleibet am häuslichen Herde, ihr Frauen und Mädchen, als Hüterinnen der Sitte, als Priesterinnen der Liebe unt Treue! Und werdet ihr vom Schicksal in das Geräusch der Welt geführt, seid auch hier eingedenk eures hohen Berufes und gebt ein wolthuendes Bild ernstlicher Pflichterfüllung und weiblicher Tugenden.
Wie traurig klingen Ehrenbergs Worte über unsere Töchter: "Sie lernen alle Künste, nur nicht die, ihre Stellung nützlich auszufüllen." Traurig aber wahr! Bringt sie aus der Welt, beweiset das Gegenteil! Lasst alle falschen Emancipationsbestrebungen, seid weiblich und ihr werdet euch in der Achtung der Männer dadurch sicherer als durch alles andere befestigen.
Die Hochachtung aber ist die Basis aller vergangenen und gegenwärtigen Frauenverehrung, die Ursache aller kleinen und grossen Ritterdienste. Ist sie fest gepflanzet in den Herzen, so ergeben sich alle Forderungen des guten Tones von selbst: die Höflichkeit, die Dienstfertigkeit sind ihre Blüten. Einem gebildeten Manne werden sie als selbstverständlich gegen das zarte, schutzbedürftige Geschlecht der Weiber erscheinen. Er wird es natürlich finden, überall da einzuspringen, wo die Kräfte der Frauen nicht ausreichen, ohne sich auf diese gelegentlichen Dienste etwas zugute tu thun. Er wird sich beeifern, ihnen das Leben angenehmer zu machen durch Liebenswürdigkeiten, welche keine persönlichen Carakter tragen, sondern dem ganzen Gechlechte gelten. [..]
zu Gegendiensten aber ist eine Dame nie verpflichtet, im Gegenteile, Sie muss sich strengstens vor solchen hüten. Es darf nie den Anschein haben, als bemühte sie sich in irgend einer Weise um einen Herrn. [..]
Manche Herren verfallen in den Fehler, Damen gegenüber zu süsslich, zu überschwänglich zu werden und die ganze Unterhaltung zwischen nichtssagenden Phrasen und faden Schmeicheleien hin- und herzubewegen. Wie wenig dieses elden verständigen Frauen zusagen kann, leuchtet ein. Ja, wir möchten fast sagen, daß eine solche Art ganz ausserordentliche Ähnlichkeit mit einer Beleidigung hat, weil sie doch entschieden bei den zuhörenden Damen einen Mangel an Bildung, beschränkten Verstand oder eine besonders starke Dosis Eigendünkel voraussetzt. [..] Keinn Herr aber darf glauben, das richtige Thema gefunden zu haben, wenn er in die Tiefen der Küche oder der Kinderstube steigt, um den Damen recht etwas Bekanntes und doch zugleich Interessantes zu bringen. Dergleichen würde ihn ohne weiteres lächerlich machen. Man suche doch nicht gar so ängstlich; es giebt genug Dinge, welche beiden Geschlechtern das nämliche Interesse einflössen und sich durchaus mit dem guten Tone vertragen kann. Theater, Konzert, Vergnügungsfahrten,berühmte Männer der Jetztzeit und des Altertums, Tagesneuigkeiten, Kunst, Literatur u.a.m. geben für viele Stunden reichlich Konversationsstoff. [..]
Dass den Damen überall der Vortritt gebührt, wurde wiederholentlich erwähnt, doch giebt es einzelne Ausnahmen von dieser Regel. Beim Besteigen von Treppen und hohen Bergen geht der Herr voran, desgleichen an Stellen und Wegen, die irgend welche Unsicherheit oder Schwierigkeit vermuten lassen. Beim Aussteigen aus dem Wagen nimmt er schon aus dem Grunde den Vortritt, um den Damen behilflich sein zu können. An allen öffentlichen Plätzen geht er voran, um für Plätze zu sorgen und den Weg frei zu machen, Dinge, die für eine Damue höchst unbequem und unpassend wären. [..]
In erster Linie hat ein Herr natürlich für Bequemlichkeit und Annehmlichkeit derjenigen Damen zu sorgen, in deren Begleitung er sich befindet; das entbindet ihn jedoch keineswegs von seinen Ritterpflichten der übrigen Damenwelt gegenüber. Für jeden gebildeten Mann von guten Sitten ist es ein Gesetz, keine Gelegenheit vorübergehen zu lassen, dem weiblichen Geschlechte seine Hochachtung in der zartesten Weise darzuthun.
Soviel zur patriarchalischen quälerischen Unterdrückung der Frauen in den letzten Jahrhunderten.
Und jetzt seid ihr so nett und erklärt mir nach dieser Gesellschaftsordnung den Unterschied zwischen Männern und Sklaven.