Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Erstaunlich differenzierter ORF-Bericht über Kachelmann

Kurti, Wien, Tuesday, 31.05.2011, 01:09 (vor 5327 Tagen)

Ein Urteil, das keine Fragen beantwortet

Für die einen ist die Unschuldsvermutung zur lästigen Zumutung geworden, für die anderen zur Unschuldsgarantie - und für alle war die Wahrung der Privatsphäre Nebensache: Noch selten gerieten Medien so außer Rand und Band wie bei Berichten über die Vergewaltigungsvorwürfe gegen den Schweizer TV-Moderator Jörg Kachelmann.

Dienstagvormittag, 14 Monate nach Kachelmanns überraschender Verhaftung auf dem Frankfurter Flughafen, fällt das Landgericht im deutschen Mannheim das Urteil im Vergewaltigungsprozess. Beweise für den Vorwurf von Kachelmanns früherer Freundin, er habe sie im Zorn brutal vergewaltigt, weil sie ihn verlassen wollte, gab es in 43 Verhandlungstagen nicht. Das hinderte viele deutsche Medien nicht daran, schon seit Monaten ein selbst gefälltes Urteil zu trommeln.
Für „Bild“ sind „Frauen immer Opfer“

Die größten Akteure der Meinungsmache von ungewohntem Ausmaß waren auf der einen Seite die „Bild“-Zeitung, die mit Alice Schwarzer als Kolumnistin gegen Kachelmann polemisierte, und auf der anderen Seite der „Spiegel“ und die „Zeit“, die demonstrativ Partei für den Angeklagten ergriffen. Als Sekundanten agierten dabei etwa die Illustrierte „Bunte“ und das Magazin „Focus“, die mit voyeuristischen Berichten knietief in der Intimsphäre der beteiligten Personen wateten.

Die Berichterstattung vor allem dieser Medien im Fall Kachelmann hatte nur selten etwas mit Gerichtsreportagen und Chronikberichterstattung zu tun. Eher glich sie dem Schlachtenbummler-Jargon aus Fußballländerspielen. Dabei wurde etwa der Staatsanwalt als „durchaus überzeugend“, die Aussagen des angeblichen Opfers als zweifelsfrei wahr und Kachelmanns Anwalt als „eitel“ mit „durchsichtigen Manövern“ geschildert. Und ohnehin seien „immer Frauen Opfer der Liebe“ (alle Zitate aus „Bild“).
Von Einsicht keine Spur

„Spiegel“ und „Zeit“ waren nur ein wenig zimperlicher in der Parteinahme für Kachelmann: Dort waren Kachelmanns Anwälte „präzise und scharfsinnig“ und nahmen „die Anklage auseinander, bis nichts übrig blieb. Beweise? Mitnichten.“ Der Staatsanwaltschaft wiederum wurde vorgeworfen, entlastende Fakten bewusst zu verdrehen oder zu verschweigen („Spiegel“). Die „Zeit“ assistierte etwa mit dem Vorwurf, die Ankläger seien darauf aus, Kachelmanns Existenz zu zerstören, weil ihnen „die Beweise geradezu unter den Händen zerrinnen“.

Von Einsicht war bis zuletzt keine Spur, im Gegenteil: Das mediale Wettrüsten der Parteinahme trieb immer wildere Blüten. Die „Bild“-Zeitung bezichtigte Kachelmann etwa in ihrer Sonntag-Ausgabe wegen dessen unsteten Liebeslebens indirekt des Wahnsinns in einer „teuflischen“ und „gefährlich genialen“ Ausprägung. Im „Spiegel“ wiederum wurde den Anklägern unterstellt, sie lebten in einer „Parallelwelt“, weil sie ihre Vorwürfe lediglich mit dem „Glauben“ an die Aussagen von Kachelmanns Ex-Geliebter begründeten.
Ansehen als „Kollateralschaden“ zerstört

Wie in fast jedem Vergewaltigungsprozess - vor allem, wenn Angeklagter und angebliches Opfer eine Beziehung zueinander hatten - gab es bei diesem Prozess jedoch nicht viel mehr als die Entscheidung, wem man glaubt. Es gab nur wenige konkrete Themen für das Beweisverfahren, die dafür umso ausführlicher von Gutachtern seziert wurden: ein Messer, das möglicherweise im Spiel war - oder auch nicht; Verletzungen, die sich das Opfer selbst zugefügt hatte - oder auch nicht.

Verteidiger und Ankläger konnten daher nicht viel anderes tun, als die Glaubwürdigkeit der jeweiligen Gegenseite infrage zu stellen. Als „Kollateralschaden“ entstand dabei das Bild des Prominenten mit Doppelleben und eigentümlichen sexuellen Vorlieben auf der einen Seite; und das einer aus verschmähter Liebe hysterisch und pathologisch auf Rache sinnenden Frau auf der anderen Seite.
http://www.orf.at/stories/2061081/2061083/

Gruß, Kurti

Erstaunlich differenziert?

hoerer, Tuesday, 31.05.2011, 02:35 (vor 5327 Tagen) @ Kurti

Wie in fast jedem Vergewaltigungsprozess - vor allem, wenn Angeklagter und
angebliches Opfer eine Beziehung zueinander hatten - gab es bei diesem
Prozess jedoch nicht viel mehr als die Entscheidung, wem man glaubt.

Ist es schon so weit, dass es in einem Gerichtsverfahren genügt, irgendwem zu glauben, oder geht es nicht doch eigentlich darum, für eine Anklage Beweise vorzulegen?

Sind wir schon so tief in die Beliebigkeit eingetaucht, dass entscheidet, ob Bild gegen oder Zeit für Kachelmann ist? Und bleibt ein nachhaltiger Nachgeschmack, weil sich für beide Positionen Verfechter gefunden haben?

Dann sollten solche Verfahren in Zukunft einfach durch eine Lotterie ersetzt werden. Damit ersparen wir der Öffentlichkeit viele unnötige Kosten

Erstaunlich differenziert?

Kurti, Wien, Tuesday, 31.05.2011, 02:38 (vor 5327 Tagen) @ hoerer

Zu Deinen Thesen kann ich eigentlich nur Eines sagen: Ja, leider. Zu ungefähr 80 Prozent sind wir schon soweit.

Gruß, Kurti

Freie Beweiswürdigung gab es schon immer

pappainaustria, Tuesday, 31.05.2011, 10:44 (vor 5327 Tagen) @ Kurti

Die Richter haben freie Beweiswürdigung:

Beispiel: 11 Zeugen

10 Zeugen entlasten den Angeklagten
1 Zeuge belastet den Angeklagten

Der Richter würdigt die 10 Zeugen als unglaubwürdig und verurteilt den Angeklagten. Er muss es allerdings nachvollziehbar im Urteil begründen.

So funktioniert der Rechtsstaat. Es entscheiden Menschen.

Macht auch Sinn, wenn die 10 Zeugen Mafia-Mitglieder sind und der eine Zeuge Mafia-Opfer

Erstaunlich differenzierter ORF-Bericht über Kachelmann

Rumpelstilzchen @, Tuesday, 31.05.2011, 11:51 (vor 5327 Tagen) @ Kurti

es ist doch immer wieder erstaunlich, wie gut Presse sein kann, wenn man sie lässt..

powered by my little forum